1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE ist zurück! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: Das Solomon Guggenheim Museum von New York.
Der Architekt als Bildhauer
Plastik oder Bauwerk? Der Gast in meiner Küchengalerie für diese Woche wäre schwer zu klassifizieren, zumal auf dieser Fotografie, wenn er nicht im Bildgedächtnis der meisten Zeitgenossen fest eingeschrieben wäre als eines der spektakulärsten Gebäude im zwanzigsten Jahrhundert: das Solomon Guggenheim Museum von New York, an den Fifth Avenue, gegenüber dem Central Park – allesamt prominente Adressen mit einer legendären Aura.
So wie der Fotograf das Gebäude inszeniert hat, nach seiner grundlegenden Renovierung vor 2000, scheint es sich tatsächlich eher um ein Werk der Bildhauerei zu handeln. In vier mächtigen runden Scheiben, nach oben sich verbreiternd, baut es sich auf: eine Rotunde auf den Kopf gestellt. So steht das Haus als Plastik vor dem gewittrigen Himmel einer Großstadt, im Abendleuchten untergehender Sonne, in das sich südwärts die Silhouetten einiger Hochhäuser auflösen.
Der dunkle Fleck rechts hat die saugende Kraft eines Schwarzen Lochs. Als balle sich in dem abwesenden Licht eine ungeheure Energie, die Gewalt des Amorphen. Umso beruhigender und wärmer, geradezu schmeichlerisch das handweiche Sandgelb der Rotunde, das ihre gigantischen Dimensionen zum Schweigen bringt (kröchen da nicht die Autos in seinem Schatten über die Fifth Avenue im Format von Spielzeug).
Eine merkwürdige Verkehrung der Dimensionen hat der Fotograf mit seinem Lichtarrangement geschafft: der angenehm-freundliche Koloss in einem bedrohlich wirkenden Umfeld. Mit dieser emotionalisierenden Optik erinnert die Fotografie von 2001 stark an die Tricks europäischer Landschaftsmalerei längst vergangener Epochen. Das Rom des 17.Jahrhunderts war berühmt dafür.
Wenn man mit den neuesten Aufnahmetechniken unserer Zeit (gerade mit ihnen) in altmeisterlicher Manier malen kann – warum soll der Architekt dann nicht seine Häuser entwerfen können, als sei er ein Bildhauer? Die Erbauer von Pyramiden und Domen wussten das seit Jahrhunderten und haben den Siedlungen der Menschen damit ihr Gesicht gegeben. Als Frank Lloyd Wright von den Guggenheims den Aufrag bekam, für ihre Kunstsammlung ein Museum hinzustellen, sollte das, mit sechsundsiebzig Jahren, sein erstes Bauprojekt in New York werden. Wright, der Mann aus Wisconsin, liebte die Städte nicht, am wenigsten New York. Auch der Bauplatz, eingezwängt zwischen mächtigen Gebäuden, behagte ihm wenig. Viel lieber hätte er gegenüber im Central Park gebaut. Kein Wunder, dass die Planung sich noch über mehr als zehn Jahre hinzog. Erst 1956 (da war der Architekt bald Neunzig) wurde der Grundstein gelegt, und bei der Eröffnung des Museums, 1959, war Frank Lloyd Wright bereits ein halbes Jahr tot.
Zwar war er so um den Triumph gebracht, sich als Schöpfer eines architektonischen Jahrhundertwerks feiern zu lassen. Dafür aber blieben ihm all die Streitereien erspart, die bald von allen Seiten einsetzten und die einem Künstler in der Regel sehr viel mehr nachgehen als das vollmundige Lob einer (kurzzeitig) begeisterungstrunkenen Öffentlichkeit. Peggy Guggenheim, die sich da längst mit ihrer Sammlung nach Venedig abgesetzt hatte, verhehlt in ihrer temperamentvollen Lebensbeichte „Ich habe alles gelebt“ keineswegs ihre Genugtuung über Wrights Tod, weil damit für das Museum „manche von seinen Problemen gelöst wurden, denn Wright dachte in erster Linie an seine Architektur und nicht etwa an die Bilder“. Und ein Kritiker der „New York Times“ befand, der Architekt als Bildhauer habe mit seinem Museum einen „Krieg zwischen Architektur und Malerei“ entfacht, „aus dem beide verletzt“ hervorgegangen seien.
Und es ist ja wahr: Bei aller Begeisterung, der sich wohl kein Besucher des Guggenheim Museums entziehen kann und will, wenn er vom Erdgeschoß aus in die fünf oder sechs Ränge hochschaut, die sich über ihm weiten unter der gläsernen Spinne des Dachs – wenn er dann auf den Schrägen der Spirale abwärtsgeht (schreitet!) und vor dem einzelnen Bild steht, in ziemlicher Entfernung davon, können ihn schon Zweifel beschleichen, ob ihm hier als Betrachter wirklich die optimalen Bedingungen geboten werden. „Besonders fussfühlige Personen haben, sobald sie vor einem Gemälde einhalten, das Empfinden, sie besäßen ein zu kurzes Bein“, rümpft 1975 ein deutscher Poet pikiert die Nase.
Mir selbst fällt eine Entscheidung im heiklen Streit der Musen schwer. Immer noch mag ich nicht mäkeln über Frank Lloyd Wrights epochalen Wurf. Diese Rampe: Da ist es doch! Aber an ein einzelnes Bild dieses Museums, auch nach mehreren Besuchen, erinnere ich mich nicht …
Michael Zeller
Solomon R. Guggenheim Museum. New York, 1943-1959. Architekt Frank Lloyd Wright. Fotographie David Heald, 2001.
Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt : wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.