Geschrieben am 23. April 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (63): Constantin Brancusi

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE ist zurück! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: Constantin Brancusi: „Nancy Cunard – Jeune Fille Sophistiquée”.

Constantin Brancusi

Blondes Holz mit Locke

Wozu eigentlich sind Titel gut in der bildenden Kunst, unter Gemälden und Plastiken? Gerade auch, wenn es sich um Werke der Moderne handelt, die ihre Gegenstände so stark abstrahieren und verfremden, dass ein inhaltlicher Bezug – wie früher bei einer Madonna oder einem Engel – sich nicht mehr ergibt?

Dann sind Titel kaum mehr Benennungen des Dargestellten. Es sind Interpretationen des Malers/Bildhauers, wie er seine Arbeit gesehen haben möchte. Und Anlässe, mit dem Betrachter allerlei Schabernack zu treiben – indem man ihn zum Beispiel gezielt in eine falsche Richtung lenkt.

Dieses Mal, bei der Holzplastik von Constantin Brancusi, hat mir allerdings ihre Benennung den Blick verändert.

Zwei Tage schon hatte ich das streng reduzierte Werk über der Küchenspüle im Blick, und jedes Mal blieb ich an dem erdnussartigen Auswuchs über dem schlanken Halb-Oval hängen, dem Körper der Plastik. Nicht aus Nachlässigkeit hatte ich darauf verzichtet, den Titel zu lesen, bevor ich die Kunstkarte in das Wechselrähmchen spannte. Brancusis elementare Formsprache braucht keine Erklärung, dachte ich mir. Ich will mich nicht ablenken lassen.

Und wurde dann am dritten Tag doch neugierig auf den Titel (die „Erdnuss“ ließ mir einfach keine Ruhe), öffnete den Rahmen wieder – und jetzt bin ich froh darüber. Der Rest dieser Woche mit Brancusi ist entspannter und lockerer verlaufen, mit „Nancy Cunard – Ein flottes junges Mädchen“ (Jeune Fille sophistiquée). Die Erdnuss war entmystifiziert, auf eine übermütige, lustige Weise: als die freche Locke über der Stirn eines Mädchenkopfes. Ich glaubte dem rumänischen Schlitzohr natürlich kein Wort. Aber die unfeierliche Art, in der er mit seiner eigenen Arbeit umspringt, brachte mich ihr näher.

Der Respekt ist darum nicht geringer geworden. Im Gegenteil. Aber meine Begeisterung war durch die Titelgebung auf einen Schlag geerdet, sie war menschlicher geworden, intimer. Wenn sich schon der Meister lustig macht über sein Tun, dann darf ich doch wohl mit lachen.

Naiv zu glauben, die Plastik sei ein Porträt des schicken Fräuleins Nancy. Sie ist ein weiteres Ergebnis von Brancusis lebenslangem Bemühen, die Bildhauerei zu entschlacken auf einfach gebaute Formen, die den Anschein des Elementaren, von Ursprungsnähe vermitteln – nein, dieses Elementare selbst sind. Konsequent ist sein Weg, wie ein Kunsthistoriker es schön gesagt hat, „in die strahlende Stille der letzten Dinge, die unter seiner Hand wieder zu den ersten werden.“

Von dem Zylindersockel in tiefem Braun hebt sich der Hauptkörper der Plastik   lotrecht in die Höhe. Man kann ihn als einen abgewendeten Kopf sehen, leicht angehoben. Wie zart der „Nacken“ geformt ist und die Falte, die ihn vom „Hinterkopf“ absetzt. Auf der Spitze balanciert dann diese gedrehte Form von eigenen Gnaden, massig genug, um dem Zylinder am Fuß ein Gegengewicht zu schaffen. Ob man dieses eigenartige Gebilde sich nun als „Erdnuss“ oder als „Locke“ übersetzen mag – als Ding unübertragbar, ist es da, Zeichen seiner selbst, und bringt die Gerade unter sich ins Schwingen.

Drei Formen in- und aufeinander stellen sich in den Raum. Zu ihrer Ein-heit gibt es keinerlei Entsprechung draußen. Ein Artefakt, ein Stück Kunst. Nicht mehr, nicht weniger. Man darf auch schlicht bewundern, allein schon die handwerkliche Fertigkeit. Brancusi hat auch hier die Oberfläche so glatt poliert, dass das Licht auf dem Holz spielen kann und zu den beiden Brauntönen unzählige weitere Farbabstufungen aufklingen. (In meinem Fall kam als drittes Braun noch der Holzrahmen dazu, in einem mittleren Ton zwischen beiden. Dem Meister hätte dieser Dreiklang sicher gefallen.)

Fräulein Nancy mit der pfiffigen Locke: Die Plastik, zwischen 1925 und 1927 entstanden, befindet sich in Amerika, in Kansas City. Just in diesen Jahren (1925, 1928) bereiste Brancusi Ausstellungen seiner Werke in den Vereinigten Staaten, in denen er zahlreiche Förderer hatte (vulgo Käufer). Ich halte es für gut möglich, dass ein Mister Cunard dieses Werk in einer Galerie sah und seinen Kaufwunsch äußerte. Brancusi mochte sich einen Spaß daraus gemacht haben, die halbwüchsige Tochter des Kunden mit diesem Titel zu umgarnen. Er war ein handfester Mann, der Rumäne, ein Junge vom Bauernhof und leidenschaftlicher Fußgänger – und ein elementarer Bildhauer des zwanzigsten Jahrhunderts dazu.

Michael Zeller

Constantin Brancusi: Nancy Cunard – Jeune Fille Sophistiquée. 1925-1927. The Nelsen-Atkins Art Museum of Art, Kansas City

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt : wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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