Geschrieben am 5. März 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (59): Venus Callipigia

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE ist zurück! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: Die schönärschige „Venus Callipigia”.

Venus Callipigia

Am liebsten nackt

Der wöchentlich geübte Zehnerschritt hat mir diesmal einen besonders aufregenden Gast in meiner Küche beschert. Es war von eigenem Reiz, beim Aufbrühen des Morgentees sieben Tage lang den Blick über die herrlichen Gesäßbacken dieser antiken Frauenskulptur gleiten lassen zu dürfen. Und es amüsierte mich, wenn ich zurückdachte an die Veitstänze des jungen Mannes in den Räumen des Nationalmuseums von Neapel. Wie ich, damals noch fotografierend, um die halbnackte Plastik herumgeschwänzelt war, um ihr mit meinem Gerät in sämtliche Ritzen zu dringen. Dass das ein heikles Gelände war zwischen verschiedenen Sinnlichkeiten, war mir natürlich auch seinerzeit schon bewusst gewesen, und mit dem älteren Museumswärter, der immer wieder mal en passant nachschauen kam, wie es um uns beide stand, hatte sich ein komplizenhaftes Augenzwinkern hergestellt, und damit überließ der Ältere mit seinem schmalen Oberlippenbärtchen den jüngeren Phantasten seinem Treiben. Darin sind italienische Saaldiener groß.

Und jetzt, nach Jahrzehnten, dieses Wiedersehen, in der Prosa alltäglicher Vollzüge. Wieder strahlt mich dieser vollkommen gerundete Frauenpo an, freigelegt, wie die Götter ihn geschaffen haben, als Augenfang, ohne jede störende Ablenkung. Venus Callipigia, die Schönärschige. Fleisch und Blut wird gefeiert in Marmor. Die Augen des Betrachters, damals wie heute, greifen sie zärtlicher an, als Hände es je könnten. Es muss, meine ich, nicht der Blick eines Mannes sein, der sich an der schieren Schönheit dieses Körperteils erfreut.

In sämtlichen Kulturen unserer Welt bleibt das Gesäß lieber verhüllt. Es ist seit je die Schmuddelecke des menschlichen Organismus. Etwas von Unreinheit haftet ihm an, als Pforte der Ausscheidung, und zugleich von sexueller Eindeutigkeit, als Verlockung zum Vereinigungsspiel. Mit beidem, dem Ausscheiden wie dem Begatten, tun sich alle Kulturen schwer, von Religionen ganz zu schweigen. Bilder davon werden lieber unter dem Tisch herumgereicht, mit feuchten Fingern. Daran haben bis heute auch sämtliche sexuellen Revolutionen wenig ändern können. Die Pornoindustrie mit ihren astronomischen Umsatzzahlen ist der schlagende Beweis. Und es gibt noch genug Regionen auf dem Erdkreis, in denen das Herumzeigen der Schönärschigen auch heute noch einem Todesurteil gleichkäme.

Der nackte menschliche Körper als Skandalon: Es ist die griechisch-römische Antike gewesen, die seiner Schönheit sich weit geöffnet hat und ihn feierte, einerlei ob Mann oder Frau. Die Marmorstatue der Venus Callipigia stammt aus dem letzten vorchristlichen Jahrhundert, der Epoche des Augustus, als Rom sich zu einer Weltmacht rüstete. Aus den darniederliegenden Städten Griechenlands holten sich die reichen Römer ihre Kunst, ließen die Bronzeplastiken in Marmor nachbilden. Nach dem Untergang der Antike lag auch die Schönärschige lange im Bauschutt der Ewigen Stadt begraben und wurde erst im späten Mittelalter geborgen. Den Kopf hatte sie dabei eingebüßt, doch das süße Gesäß war ohne jede Schramme über die Jahrhunderte gekommen und erfreute die Menschen wie am ersten Tag. Ein Bildhauer des Barock ergänzte den verlorenen Kopf, und er tat das ausgesprochen geschickt. Die Drehung des Kopfes, seine Rückwärtswendung, hinab aufs eigene Gesäß, lenkt den Blick des Betrachters auf das Zentrum der Plastik: diese beiden göttlichen Backen. Er braucht nur dem vorgegebenen Blick der sich selbst genießenden Frau zu folgen. Die Schwarz-Weiß-Fotographie des zwanzigsten Jahrhunderts, im Widerspiel von Licht und Schatten, betont noch einmal die sinnliche Qualität des antiken Standbildes.

Die ideale Aufstellung fand die Venus Callipigia bald nach ihrer späten Wiederentdeckung im Palast der römischen Familie Farnese. Sie stand in der Mitte des „Saals der Philosophen“, umgeben von achtzehn Statuen antiker Philosophen. Greise naturgemäß. „Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendige.“ Und zwar nackt.

Michael Zeller

Venus Callipigia. Marmor. Rom, erstes Jahrhundert vor Christus. Nationalmuseum Neapel.

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt : wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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