1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE ist zurück! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: David Dawson: „Lucian Freud Painting the Quen”.
Malen vor Thronen
Ein Maler muss selbst erst zum König seiner Zunft emporgehoben worden sein, ehe ihm die Ehre zuteil wird, einen der Mächtigen dieser Welt zu porträtieren, Staatsmann, Konzernherrn, ein gekröntes Haupt gar. In diesem merkwürdig anachronistischen Akt der bildnerischen Verewigung steigern beide, Maler wie Modell, ihren Wert aneinander. Obwohl mittlerweile die präzisesten Abbildungsmaschinerien verfügbar sind, bleibt der Nimbus des Malens doch ungebrochen bis in unsere Tage, und vorerst scheint da kein Ende in Sicht. Das, was der Mensch mit dem Auge erfasst und von eigener Hand danach umsetzt, auf altbackenen Materialien wie Leinwand, Karton, Holz, steht nach wie vor in allerhöchstem Kurs.
Im Akt des Malens, so glaubt der Mensch in fast schon religiösem Eifer, geschieht etwas, was allein nur er kann, der Mensch, niemals eine Maschine. Freilich muß es ein besonderer Mensch sein, ein Künstler – irgendwo im holprigen Gelände von Genie und Wahn, Geschenk der Götter und Scharlatanerie. Wenn es ernst wird im Leben und wichtig, misstraut der Mensch dem Wagenpark seiner technischen Erfindungen, auf die er sonst so stolz ist, und verlässt sich zuletzt auf seine handwerklichen Fertigkeiten. Atavismus sticht Zivilisation aus: Gegen den Homo Faber hat der Ingenieur selbst in unserer techniktrunkenen Zeit nicht den Hauch einer Chance.
Das könnte die Botschaft sein, die aus unserem Bild der Woche herauszulesen ist, David Dawsons Fotografie „Lucian Freud malt die Königin, 2001“.
Eine Fotografie, wirklich? Viel eher, finde ich, sieht das Bild mit seinen raffinierten malerischen Valeurs wie das fotorealistische Gemälde eines jungen Amerikaners aus, der sich lustig macht über Europa. Das Bild hat tatsächlich eine innere Komik, die mich auch jetzt beim Schreiben immer wieder zum Lachen bringt. Allein schon dieser Stuhl aus Rot und Gold, in dem die englische Königin „thront“. Im Foyer jedes ambitionierten Mittelklasse-Hotels auf der Welt findet man ihn nicht anders. Hier aber posiert das Möbel, als verkörpere es Glanz und Größe des britischen Empires. Oder dieses Diadem im weißen Haar der alten Dame: Ein etwas staubiges Relikt der 1950er Jahre etwa, oder hat das Wilhelm der Eroberer nach der Schlacht von Hastings 1066 seiner Gemahlin zu Füßen gelegt (wie Könige das gern so tun)?
Nein. Dieses schöne stimmungsvolle Bild ist nachweisbar nur eine Fotografie. David Dawson, in diesen Jahren Julian Freuds Assistent, hält eine der Porträtsitzungen fest, wie sie 2000/2001 in London tatsächlich stattgefunden haben.
Da sitzt die Königin also mit Diadem auf ihrem Stühlchen, freundlich lächelnd, Hände im Schoß des gefällig blauen Kostüms, das notorische Täschlein in Griffnähe. Ihr gegenüber der Maler, den Rücken zum Betrachter, auf sein Handwerkszeug gebeugt, Palette und Pinsel. (Seine Haltung nicht unähnlich der, die man von Elizabeths Prinzen Philip in der Öffentlichkeit her kennt). Die Monarchin hält zwar noch die Stellung, doch die Arbeit ist getan. Fertig steht sie auf dem Holzkreuz zwischen ihnen, der Staffelei. Lediglich der Kopf der Königin, in Lebensgröße.
Vor der nackten Weite der gut ausgeleuchteten grauen Wand verliert sich das Porträt auf dem Gestänge geradezu: enttäuschend klein. (Und das ist es mit seinen 23 x 15 Zentimetern „in Wirklichkeit“ ja auch.)
Das ganze Szenario in seiner Künstlichkeit ist jetzt, nach dem Malakt, von einer lächerlichen Beziehungslosigkeit. Alles, was zwischen diesen beiden Menschen in der letzten Zeit stattgefunden hat, das Hin und Her der Maleraugen zwischen der Sitzenden, dem Bild, der Palette, ist stillgestellt. Eingefroren. Kein Wort mehr zu sagen. Vor der antwortlosen Leere der Wand steht das Ergebnis ihrer Arbeit (vor allem seiner). Das Werk. Wie eingeschrumpft. Ein Konzentrat. Die Ähnlichkeit zwischen Bild und Abbild ist deutlich zu erkennen, und doch sind beide Köpfe vollkommen verschieden.
Das Malen, auf das die Menschheit nicht verzichten will in Augenblicken, die ihr wichtig sind, festgehalten von einem Fotografen – als sei es selbst gemalt. Ob die freundlich lächelnde Dame sich mag, wenn sie gleich vor ihr Abbild tritt, oder wird sie erschrecken?
Michael Zeller
David Dawson: Lucian Freud Painting the Quen, 2001, 2011. Government Art Collection (England).
Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt : wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.