Geschrieben am 13. März 2013 von für Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (32): Hieronymus Bosch

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne, 1 Jahr lang: Ab Juni erscheint bei CULTurMAG wöchentlich für ein Jahr Michael Zellers SEH-REISE in zweiundfünfzig Ausfahrten, ein „Tagebuch in Bildern”: Betrachtungen zu Kunst und Leben, von den ägyptischen Pharaonen über die griechisch-römische Antike und das Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart. Heute: Hieronymus Bosch: Winterlandschaft. (Alle Folgen hier).

Bosch_winterlandschaft

Zweiunddreißigste Ausfahrt

So richtig kalt will es dem Betrachter in der holländischen „Winterlandschaft“ des Hieronymus Bosch gar nicht werden. Dieser Winter hat etwas durchaus Warmes. Im Goldbraun des breiten Flusses, auf dessen Eisfläche das Leben des Dorfes sich ausbreitet, ist die Sonne dieses Tags gespeichert. Das Leuchten im Eis täuscht Wärme vor, und die Augen machen das gerne mit.

Und die, die sich an der Sensation erfreuen, dass ihr Fluss zu festem Grund geworden ist, auf dem man stehen und gehen kann, sie frieren nicht. Kinder sind es überwiegend, die das Eis als Kulisse ihrer Spiele nutzen: Sie lassen die Kreisel darauf tanzen, schlagen den Puck, üben sich im Eisstockschießen, schlittern, rutschen, gleiten, auch mit Skiern. Sie sind auf dem Eis in ihrem Element, ihnen ist warm genug. Die Freuden eines eiskalten Wintertags sind ungebrochen auf dem Fluss.

Auch die Bauernhäuser zu beiden Seiten der Eisfläche sind aufgeladen vom Sonnenlicht: Der Backstein des Gemäuers in rötlich glühendem Ocker strahlt ebenfalls Wärmendes ab. Und der Schnee auf den steilen Dächern hüllt die Behausungen der Menschen ein – mit einer Decke, im vorgeprägten Bild der Sprache. Schutz eher als Bedrohung.

Doch abseits des aufheizenden Treibens der Menschen auf dem Eis, auf der rechten Bildhälfte, zeigt der Wintertag in Holland ein anderes Gesicht – sein eigentliches? Hier, in der toten Natur von Baum und Strauch, herrscht Kälte. Was den Kindern nebenan Anlass ist zur Freude, Aufforderung zu Spiel und Übermut – einen Schritt weit entfernt davon die Zone des Todes. Hier sind Mangel und Not zu sehen, der Hunger. Die schwarzen Krähen, aufflatternd oder im leeren Gezweig, sind getrieben von der Suche nach Nahrung. Alles, was sie zum Leben/Überleben brauchen, ist weggenommen vom Schnee. Der einsame Vogel rechts oben, allein auf nacktem Zweig, schaut abgekehrt aus dem Bild heraus in ein anderes Gelände. Hier bekommen das Grau und Rosa des Himmels einen Gefühlswert, dass es dem Betrachter kalt wird ums Herz, eiskalt. Das schwarze Tier in seinem Hunger als ein Bote des Todes.

Die „Winterlandschaft“ des Hieronymus Bosch hängt in Rom, einer Stadt, die Schnee nur selten erlebt, als ein eher exotisches Naturereignis, für zwei, drei Tage allenfalls. Der Käufer aus dem römischen Adel wird das Winterbild von Bosch mit ganz anderen Gefühlen erworben haben als jemand in den nördlichen Regionen Europas. Die Kälte, die die holländischen Krähen auszuhalten haben, am Rand des Überlebens, kennt er gar nicht. Das Grauen wird den Römer dabei angewandelt haben, das sich bei mittleren Temperaturen wohlig genießen lässt, als etwas, vor dem man sich selbst sicher wähnt.

Michael Zeller

Hieronymus Bosch: Winterlandschaft. Galleria Doria, Rom

Michael Zeller hat Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays verfasst. Sein letzter Roman „Falschspieler“ erschien 2008 zuerst unter dem Pseudonym „Jutta Roth“ als angebliches Debüt einer 1967 geborenen Autorin. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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