Geschrieben am 7. Mai 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Kiki Dimoula

dimoulaPhotographie 1948

Ich halte wohl eine Blume.
Merkwürdig.
Es scheint, daß durch mein Leben
einst ein Garten ging.

In der anderen Hand
halte ich einen Stein.
Mit Anmut und Stolz.
Kein Anzeichen,
daß ich gewarnt wurde vor Veränderungen, daß ich die Verteidigung schon kenne.
Es scheint, daß durch mein Leben
einst die Arglosigkeit ging.

Ich lächele.
Die Biegung des Lächelns,
die Mulde dieses Gefühls,
gleicht einem gut gespannten Bogen,
in Bereitschaft.
Es scheint, daß durch mein Leben
einst ein Ziel ging.
Und ein Hang zum Sieg.

Der Blick versunken
in die Erbsünde:
die verbotene Frucht
der Erwartung kostet er.
Es scheint, daß durch mein Leben
einst der Glaube ging.

Mein Schatten, nur ein Spiel der Sonne.
Trägt das Gewand des Zauderns.
Er ist noch nicht
mein Gefährte und auch mein Verräter nicht.
Es scheint, daß durch mein Leben
einst die Zulänglichkeit ging.

Du erscheinst nicht.
Aber der Abgrund in der Landschaft,
und ich an seinem Rand
mit einer Blume
lächelnd,
deuten auf deine baldige Ankunft.
Es scheint, daß durch mein Leben
einst das Leben ging.

Aus dem Griechischen von Danae Coulmas

 

An diesem Gedicht der 1931 in Athen geborenen und im deutschen Sprachraum kaum bekannten griechischen Lyrikerin Kiki Dimoula fasziniert mich der Aufbau, der an eine religiöse Litanei erinnert, obwohl doch jeder transzendente Klang – fast – nicht vorhanden ist. „Es scheint, daß durch mein Leben einst ein Garten ging…Es scheint, daß durch mein Leben einst die Arglosigkeit ging….Es scheint, daß durch mein Leben einst ein Ziel ging. Und ein Hang zum Sieg…Es scheint, daß durch mein Leben einst der Glaube ging…Es scheint, daß durch mein Leben einst die Zulänglichkeit ging…Es scheint, daß durch mein Leben einst das Leben ging.“ An jeder aufgeführten vagen Erinnerung („Es scheint…“) stockt die Lektüre. Welcher „Garten“ ging durch mein Leben? Welche „Arglosigkeit“ durchschritt das Leben, welches „Ziel“, welcher „Glaube“, welche „Zulänglichkeit“? Wie kann durch ein Leben das Leben gehen? Wessen Ankunft wird erwartet? Handelt es sich um den lange erwarteten Geliebten oder ist es doch mehr, auf das hier gewartet wird?

„Die Vieldeutigkeit“, so hat Paul Valèry einmal geschrieben, „ist die eigentliche Domäne der Poesie, Jeder Vers ist doppeldeutig, mehrdeutig“. In diesem Sinne ist „Photographie 1948“ von Kiki Dimoula ein wirklich gutes Gedicht, lange nachhallend, aufregend mit seinen vielen Fragen, sogar offen für das Transzendente, obwohl es doch scheinbar so vollkommen unreligiös daherkommt. Es will einem einfach nicht aus dem Kopf gehen…

(Mit Dank an Eleni Torossi, die mich auf Kiki Dimoula aufmerksam gemacht hat.)

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe „Weltlyrik“: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber „Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute“ (Der polnische „Weltreporter“ Ryszard Kapuscinski). CWM

Das Gedicht ist erschienen in: Danae Coulmas (HG): Griechische Lyrik des 20. Jahrhunderts. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2001. 278 Seiten.

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