Geschrieben am 9. April 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltylrik: Lindita Arapi

culturmag_logo_quadratDie Dinge, die ich anders sehe

denn der morgen
ist kein wunderbares erwachen
sondern neues leid
in einem kerker aus licht …
ich
seh den himmel nicht mehr blau
sondern rot
ich stehe auf und beginne den tag …
die frisch gewaschenen finger
werden schlangen, winden sich auf dem leib.
ich breche auf und geh …
mein weg
ist ein tiefer werdender fluss.
mich zu begrüßen
kommen die menschen auf mich zu …
doch ich lächle die steine an
mit händen und füßen.

Übersetzt von Joachim Röhm

 

Von William Hazlitt, einem 1830 in London verstorbenen englischen Essayisten und Schriftsteller, stammt die kluge Erkenntnis, dass ein Vorurteil nichts anderes sei als ein Kind der Ignoranz. Auf kaum ein europäisches Land trifft dieser Satz heute wohl mehr zu als auf Albanien. Wir, diese Verallgemeinerung ist in diesem Fall wohl erlaubt, wissen über Albanien so gut wie nichts und gerade deshalb strotzt unsere Haltung gegenüber diesem Land und seiner Kultur auch von Vor-Urteilen. Wir glauben zu wissen, dass es in Albanien nur Blutrache schwörende Familienclans gibt, die mit geklauten Autos handeln und deren junge Frauen in westlichen Bordellen ihr Geld verdienen.

Die 1972 in Lushnja geborene Schriftstellerin Lindita Arapi schreibt seit Jahren gegen die tief verwurzelte westlichen Stereotyp mit Essays, Romanen und auch Gedichten an. Zur Kenntnis genommen wurde sie aber bislang nur von den Wenigen, die auch bereit sind, ihre mit Vorurteilen vernagelte Ignoranz in Frage stellen zu lassen. Bisher veröffentlichte sie vier Lyrikbände in albanischer Sprache, von denen einen Auswahl auch in deutscher Sprache vorliegen. Zuletzt erschien „Am Meer nachts“ (2007).

Lindita Arapi lebt heute in Bonn und berichtet als freie Redakteurin bei der ‚Deutschen Welle‘ über das kulturelle und politische Leben auf dem Balkan. Sowohl in den Gedichten wie auch in der literarischen und journalistischen Arbeit versucht sie dabei, gemäß dem Titel eines ihrer Gedichte, „die Dinge anders zu sehen“, als wir es uns in unserer bequemen Ignoranz angewöhnt haben zu sehen. Und das betrifft nicht nur unsere Vorurteile gegenüber ihrem Herkunftsland, sondern auch gegenüber Menschen und Dinge in unserer eigenen Umgebung. Man möchte mehr wissen und lesen von einer Autorin, die so irritierend schöne Gedichte schreibt.

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe „Weltlyrik“: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber „Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute“ (Der polnische „Weltreporter“ Ryszard Kapuscinski). CWM

Gedicht erschienen in: Michi Strausfeld (Hg.): Dunkle Tiger. Lateinamerikanische Lyrik. S. Fischer Verlage, Frankfurt am Main 2012. 384 Seiten. 24,99 Euro. Foto: Wikimedia Commons, Quelle, Autor: Ruiz.

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