Geschrieben am 5. Juni 2013 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Titos Patrikios

Titus PatrikiosDie Geschichte von Ödipus

Er hatte versucht, die Rätsel zu lösen,
die Dunkelheit zu erhellen in der sich alle
bequem einrichteten
so sehr sie sie auch bedrückt.

Er erschrak nicht vor dem, was er sah,
sondern vor der Weigerung der anderen
es einzugestehen.
Würde er immer die Ausnahme bleiben?

Er ertrug die Einsamkeit nicht mehr.
Und um seine Nächsten zu finden
stach er sich die zwei Stifte tief in die Augen.

Doch wieder erfasste er
mit dem Tastsinn
die Dinge, die niemand sehen wollte.

Titos Patrikios

Übersetzt von Anna Lazaridou und Helena Pekalis

Titos Patrikios war jüngst zu Gast in dem nicht genug zu lobenden und zu bewundernden „Münchner Lyrik-Kabinett“. Er rezitierte einige seiner älteren Gedichte und ließ den Abend ausklingen mit einer langen, immer wieder neu ansetzenden Hymne auf die Poesie. Diesen Text hier wiederzugeben, würde den selbst gesetzten Rahmen dieser WeltLyrik sprengen. Ob es seinem großen Vertrauen in die Poesie geschuldet ist, dass Patrikios an diesem Abend so gelassen und souverän über die griechische Krise sprach?

Seine Kritik an der Unkenntnis in Deutschland über die Griechische Gegenwartskultur ist ja berechtigt und betrifft nicht zuletzt auch unser Wissen über die moderne Lyrik Griechenlands, zu deren wichtigsten Repräsentanten auch Patrikios  gehört. Geboren wurde er 1928 in Athen. So wie auch Iannis Ritsos beteiligte er sich am Widerstand gegen die deutsche Besatzung und wurde nach dem Bürgerkrieg als politischer Gefangener nach Makronissos deportiert.

In den fünfziger Jahren gründete er eine Literaturzeitschrift. In Paris studierte er Soziologie. Die Jahre der Militärdiktatur verbrachte er im französischen wie italienischen Exil. Seit vielen Jahren lebt er wieder in Athen.

Patrikios hat sich selbst einmal einen „furchtlosen Schiffbrüchigen“ genannt. Vielleicht ist das auch eine gute Umschreibung seiner Poesie und auch seines jetzt schon über achtzigjährigen Lebens. Wer sich so radikal der Poesie verschreibt, hat tatsächlich nichts zu fürchten, keine Gefangenschaft und auch keine wirtschaftliche Krise. Aber er kann auch mit seinen Träumen und seinen politischen Idealen „Schiffbruch“ erleiden. Patrikios weiß, wovon er spricht und schreibt. Sein Gedicht über die „Geschichte von Ödipus“ kann man auch ein Selbstbildnis lesen…

Carl Wilhelm Macke

Das Gedicht ist erschienen in: Titos Patrikios: Spiegelbilder. Aus dem Griechischen übersetzt von Anna Lazaridou und Helena Pekalis. Romiosini 1993.

Tags : ,