Geschrieben am 30. April 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Tadeusz Różewicz

Różewicz_croppedEin Adler

Oft bin ich ein Adler, so
kommts mir vor
am Schreibtisch
Ich fliege steil in den
Himmel empor
am Schreibtisch

Ich balle die Faust und drohe
der Welt
am Schreibtisch
Zerschlage die Ketten und
bin ein Held
am Schreibtisch

Den Kapitalisten heize ich ein
am Schreibtisch
Die Imperialisten schlage ich
klein
am Schreibtisch

Ich kriege und siege mich
groß und heiß
am Schreibtisch
Vielleicht auch gähne ich nur,
wer weiß
am Schreibtisch

Aus dem Polnischen übersetzt von Karl Dedecius

 

Dass wir im deutschsprachigen Raum mit so vielen Namen polnischer Lyriker des XX. Jahrhunderts vertraut sind, ist nicht zuletzt auch das Verdienst des heute 93jährigen Karl Dedecius. Eine nicht mehr überschaubare Anzahl von Gedichten hat er ins Deutsche übersetzt. Viele polnische Autoren hat er überhaupt erst bei uns bekannt gemacht. Und Bücher über Bücher hat er herausgegeben, die nur ein Ziel hatten: die neuere Polnische Kultur in Deutschland bekannter zu machen und umgekehrt auch die neuere deutschsprachige Literatur in Polen bekannter zu machen. Dafür hat er auch zu Recht viele Preise erhalten. Zu den polnischen Schriftstellern, deren Werke er zumindest teilweise ins Deutsche übersetzt hat, gehört auch Tadeusz Ròźewicz.

Geboren wurde Ròżewicz 1921 in der zentralpolnischen Kleinstadt Radomsko. Erste Gedichte von ihm erschienen bereits 1938. Nach dem Krieg studierte er Kunstgeschichte in Krakau, verbrachte fast zwanzig Jahre in Gliwice und lebte dann bis zu seinem kürzlichen Tod am 24. April 2014 in Wroclaw.

„Mit seinem Tod endet das 20. Jahrhundert der großen polnischen Dichtung“, schrieb Kulturminister Bogdan Zdrojewski. „Für mich ist er ein Nobelpreisträger ohne den Nobelpreis.“ Von Ròżewicz existieren (in deutscher Sprache) auch einige sehr kluge Gedanken über seine eigene Poesie. „Meine eigenen Gedichte betrachte ich mit großem Mißtrauen. Ich habe sie aus dem Rest der übriggebliebenen, geretteten Worte gefügt, aus uninteressanten Worten, aus Worten vom großen Müllhaufen, vom großen Friedhof…Ich versuche wiederherzustellen, was mir für mein Leben und das Leben der Poesie am wichtigsten scheint. Die Ethik. Und weil für mich dien Ethik mit Politik und nicht mit Ästhetik zusammenhängt, hat meine Kunst einen politischen Akzent“ (aus: „Luftfracht. Internationale Poesie 1940 bis 1990“, Frankfurt am Main, 1991).

Wie herrlich selbstironisch er sich in seiner Rolle als ein „politischer Dichter“ sah, klingt in seinem Adler-Gedicht an. Die Kapitalisten und Imperialisten werden Am Schreibtisch kurz und klein geschlagen. Aber eben nur am Schreibtisch und nur aus Langeweile… „Vielleicht auch gähne ich nur“…

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe „Weltlyrik“: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber „Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute“ (Der polnische „Weltreporter“ Ryszard Kapuscinski). CWM

Foto: Wikimedia Commons, Quelle, Autor: Michał Kobyliński from http://gilling.info/ – Poetyckie Foto Niusy

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