Geschrieben am 23. Juli 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Stanislaw Jerzy Lec

Stanislaw_Jerzy_Lec_Polish_writerWenn ein Dichter

Wenn ein Dichter
an Gittern rüttelt,
sage nicht:
wie anders
klingen Harfen!

Und die ihn früher….

Und die ihn früher verfolgt hatten
brüsteten sich danach
nicht ohne Grund:
sie wären seinen Spuren

Übersetzt aus dem Polnischen von Karl Dedecius.

 

Kann man das poetische, das experimentelle wie auch politische Potential von Lyrik in wenigen Worten besser, treffender, überzeugender zur Sprache bringen als in diesen zwei kurzen Gedichten – oder handelt es sich um Aphorismen – von Stanislaw Jerzy Lec? Der 1909 in Lemberg geborene und 1966 in Warschau gestorbene Lec war einmal ein auch jenseits von Polen wegen seiner unendlich vielen, immer klugen, hintersinnigen Aphorismen sehr bekannter, vor allem ständig zitierter Autor: „Wer den Himmel auf Erden sucht, hat im Erdkundeunterricht geschlafen“. „Die Verfassung eines Staates solle so sein, dass sie die Verfassung des Bürgers nicht ruiniert“. „Am Anfang war das Wort – am Ende die Phrase“. „Seitdem er verkalkt ist, hält er sich für ein Denkmal“ usw. usw.. Man suche nur einmal im Internet unter seinem Namen nach Aphorismen und man wird unendlich vieler dieser extrem verdichteten Sequenzen von Lec finden.

Manche dieser ‚unfrisierten Gedanken‘, wie er sie selber nannte, gehen auch über in mehr oder weniger lange Gedichte, von denen einige wenige der unermüdliche Karl Dedecius ins Deutsche übersetzt hat. Und über die Aphorismen und Gedichte kann man dann vielleicht auch einen Zugang finden zu anderen Repräsentanten der an Lyrikern so reich beschenkten polnischen Kultur des 20. Jahrhunderts wie Zbigniew Herbert, Czeslaw Milosz, Wislawa Szymborska und Adam Zagajewski – um nur die bei uns bekanntesten Namen zu nennen. Diese Dichter lassen ‚Harfen klingen‘ und ‚rütteln an Gitter‘ und ‚verfolgt‘ von selbsternannten und/oder staatlichen Sprachschützern waren sie alle…

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM

Gedicht erschienen in „Polnische Gedichte des 20. Jahrhunderts“ Insel Verlag 2008. 543 Seiten. 38 Euro.
Foto: Jan Popłoński. Wikimedie Commons, Quelle.

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