Geschrieben am 3. Oktober 2016 von für Litmag, Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Olav H. Hauge

olavhhaugeca1940Wege

Auf dem Weg sah ich Wege:
ein Weg war über
und ein Weg unter
und Weg auf allen Wegen.
Im Kreis gehen manche
andere grad.

Der arme Schlucker sitzt
wo er hingesetzt ist.
der Kluge versucht
ein Stückchen von allen;
Hel oder Himmel
erwarten den, der nur
einen wählt.

Das wars, was
sie mir über Wege sagten,
aber nicht alles:
Wohin der Traum
reicht, gelangt kein Fuß,
und der ein oder andere fand
heilendes Gras
auf der Insel
in seinem Loghica.*

* Anspielung auf den See Loycha in Irland, auf dem sich der Legende nach eine schwimmende Insel befindet, die immer wieder dem Ufer so nahekommt, dass man sie mit einem einzigen Schritt betreten kann. „Ist einer krank und gelingt es ihm auf die Insel zu kommen, findet er dort ein heilendes Gras. Er wird davon gesund, doch in dem Augenblick, als er die Insel betrat, trieb sie vom Ufer ab“.

Übersetzt von Klaus Anders

Wie arm wären wir unheilbar Poesiesüchtigen ohne die Bücher der von Margitt Lehbert so vorbildlich gegen jedes herumschwirrende Zeitlüftchen gehegten und gepflegten ‚Edition Rugerup‘?! Immer wieder lernen wir durch die Arbeit dieses kleinen, feinen Verlags Autoren kennen, von denen wir ansonsten vermutlich niemals etwas gehört und gelesen hätten. Wer von uns Weltignoranten kennt denn zum Beispiel schon das Werk des Norwegers Olav H. Hauge?

Er wurde, so entnehmen wir einer Mitteilung des Verlags, 1908 in Ulvik am Hardangerfjord geboren. „Er lernte Gärtner und betrieb später Obstgartenbau auf dem Hof, den er von seinen Eltern geerbt hatte. Vor allem aber wollte er Dichter sein, eine Profession, die er sich selbst lehrte. Auch trat er als Übersetzer von Lyrik aus dem Amerikanischen, Englischen, Französischen und Deutschen hervor. Olav H. Hauge gilt als einer der bedeutendsten norwegischen Dichter des 20. Jahrhunderts. 1994 starb Hauge in Ulvik, wo er sein ganzes Leben verbracht hatte.“

Und sein Leben, so kann man einem Porträt entnehmen, war von oft schroffen Widersprüchen und psychischen Dramen gezeichnet. Einige Jahre verbrachte er in einer geschlossenen Anstalt, um ihn vor sich selbst und die Umwelt gegenüber seinen aggressiven Anfällen zu schützen. Er wuchs in einer abseits gelegenen norwegischen Berglandschaft auf, war aber immer von großer Weltneugierde geprägt. In einer frühen Tagebucheintragung feierte er Hitler als „einen großen Mann“, aber von diesem Urteil distanzierte er sich später dann immer mehr und auch glaubwürdig. Nach seinem eigenen Selbstverständnis wollte er kein ‚moderner Schriftsteller’ sein, aber seine Gedichte sind alles andere als behäbig dahinfließende norwegische Berglyrik.

Nicht nur Gedichte hat Hauge geschrieben, sondern auch ein umfangreiches Tagebuch, das jetzt ebenfalls in einer deutschen Übersetzung in der ‚Edition Rugerup‘ erschienen ist – wo denn sonst?! Dort finden wir auch einen im besten Sinne ‚bedenklichen‘ Eintrag zur Poesie: „Große, rhythmusgetragene Poesie zu schreiben ist gefährlich für den, der sie macht und den, der sie liest. Es liegt tiefe Weisheit in Platons Warnung vor der Lyrik. Die Geister zu wecken ist gefährlich, das habe ich viele Male erfahren. Kaltschmieden, so wie es die Modernisten machen, ist ganz ungefährlich, das sind Gedichte für den Gedanken eher als für das Herz.“ Im Sinne Platons muss man tatsächlich vor der Poesie warnen. Ob aber das „Kaltschmieden“ der Modernisten tatsächlich so ungefährlich ist wie Hauge es hier behauptet? Und noch einen ganz wunderbaren Eintrag aus dem Tagebuch muss man zitieren, der auch für die Poesie gilt: „Tradition ist ein starker Fluß, der die Baumstämme vieler tragen kann. Es nützt nichts, das Holz auf der eigenen Pisse zu flößen, es kommt nicht weit.“ Man möchte mehr lesen von einem Dichter, der uns eine so wahre Lebensweisheit zu vermitteln versteht…

Carl Wilhelm Macke

Das Gedicht ist erschienen in: Olav H. Hauge: Gesammelte Gedichte. Aus dem Norwegischen von Klaus Anders. Horbs und Berlin, 2012. 338 Seiten. 24,90 Euro. Foto Hauge: Oslo Museum, Quelle. Creative Commons.

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Die fast tägliche Konfrontation mit Nachrichten von verfolgten, inhaftierten oder hingerichteten Journalisten lässt gleichzeitig auch den Wunsch nach anderen Bildern und einer anderen Sprache wachsen. Immer wieder erfährt man auch von Journalisten, die nicht nur über das Dunkle und Böse in der Welt recherchieren, sondern auch Gedichte schreiben. Wie heißt es in einem Gedicht von Georgos Seferis „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen…“ (www.journalistenhelfen.org).

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