Geschrieben am 12. September 2012 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Oktay Rifat

Die See, die Frau und die Eule

von Oktay Rifat

Die Frau mit der Eule schaut uns an,
ohne je zu blinzeln.
In ihrer offenen Hand liegt eine Münze.
Wir und die Fischer schauen sie müssig an.
Einer von ihnen wirft einen Fisch,
ein anderer flickt sein Netz, schert sich um nichts.
Ihre Augen und ihre Hand bleiben offen
wie die Augen der Eule.
Plötzlich kommt die See herein
und schüttet ihr Indigoblau
auf Eule und Frau.
Ohne sich umzuschauen
kehren sie dahin zurück, wo sie herkamen.
Blaues tieftiefes Blau.

Aus dem Türkischen von Ruth Christi, Richard McKane und Joachim Sartorius

Oktay Rifat (* 10. Juni 1914 in Trabzon; † 18. April 1988 in Istanbul) stand immer im Schatten des international sehr viel bekannteren Nazim Hikmet, für den er sich während seiner Inhaftierung immer eingesetzt hat. Rifat studierte Jura in Paris und arbeite nach seiner Rückkehr in die Türkei als Rechtsanwalt und Angestellter im staatlichen Rundfunkbüro in Ankara. Zusammen mit seinen Freunden entwickelt er einen eigenen Stil jenseits der traditionellen Stilelemente türkischer Literatur. Vielleicht mehr noch als Hikmet hat Rifat die neuer türkische Literatur zur Moderne hin geöffnet. Es wird Zeit, daß Gedichte von Oktay Rifat endlich auch einmal in deutscher Sprache ediert werden.

Carl Wilhelm Macke

Aus: Joachim Sartorius, Hg.: Für die mit der Sehnsucht nach dem Meer. Hamburg, Marebuchverlag 2008. 160 Seiten. 18,00 Euro.

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