Geschrieben am 4. September 2013 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Michael Krüger

Leipziger_Buchmesse_2013_Michael_KrügerGedicht

Ich könnte von Kriegen erzählen,
von Göttern, die sich aus Langeweile
das Leben ausdachten, von Igeln
in meinem Garten, von mir.
Ich könnte von einem Mann erzählen,
der die Lesarten des Unglücks studiert
wie ein rumänischer Philosoph.
Auch mit Lorbeer
kann man Dämonen vertreiben.
Aber lieber die Klappe halten,
die Stille ist laut genug.

Ob Michael Krüger in den Kanon der „Weltlyrik“ gehört? Geschenkt, lassen wir diese dumme Frage. Ihn würde eine Antwort am wenigsten interessieren. Aber die Frage, warum er als Verleger in den letzten Jahrzehnten ein so unglaubliches Gespür für Lyriker gehabt hat, die zweifellos zu den ganz Großen der zeitgenössischen Weltlyrik gehören, ist schon eine sehr viel klügere Frage. Tomas Tranströmer, Seamus Heaney, Joseph Brodsky, Derek Walcott, Adam Zagajewski fallen einem sofort ein. Man müsste weitere nennen: Mario Luzi, Charles Simic‘,  Les Murray, John Burnside und und und.  Merkwürdig – oder auffallend – dass hier nur männliche Autorennamen einfallen, aber lassen wir das an dieser Stelle.

Nur wenige im deutschsprachigen Verlagswesen haben sich immer mit so viel Passion und Verve für die Lyrik aus allen Epochen und Erdteilen geschlagen – manchmal auch schlagen lassen – wie er. In seinem Nekrolog für den Freund und verehrten Dichter Joseph Brodsky schreibt Krüger an einer Stelle: „An der Poesie, an ihren Formen, ihrem Rhythmus, ihrer Intensität, maß er die Welt. “ Ein Satz, der Wort für Wort auch auf Krüger zutrifft bis auf – Gott sei Dank – die für einen Nekrolog notwendige Zeitform der Vergangenheit.

Auffallend, wie viele Nobelpreisträger für Literatur man unter den Autoren des von Krüger (noch) geleiteten Münchner „Hanser-Verlags“ findet. Und kaum einer der Journalisten, die mit Krüger ein Gespräch führen, unterlässt auch die Frage, wie man dieses scheinbar absolute Gespür für literarische Qualität entwickelt. Auch hier zitiert Krüger dann gerne  Joseph Brodsky: „Um einen guten literarischen Geschmack zu entwickeln, gibt es nur den einen Weg – Gedichte lesen. “ Oder, die Ergänzung ist hier angebracht, man sollte auch versuchen, Gedichte zu schreiben.

Von Michael Krüger gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Gedichtbänden, die nicht in seinem eigenen Verlag, sondern bei Suhrkamp erschienen sind. Im derzeit neuesten Band „Umstellung der Zeit“ findet man auch das zu Beginn zitierte Gedicht mit dem denkbar nüchternsten Titel „Gedicht“. Die Verse lesend, fragt man sich sofort, ob es sich überhaupt um ein Gedicht handelt oder ob es nicht vor dem Schreiben von Gedichten warnt, wenn man überhaupt nichts zu sagen hat. Über alles „könnte“ man ein Gedicht schreiben, über Gott und die Welt, Krieg und Frieden, über kluge Menschen und das kleine alltägliche Glück (oder Unglück).

Und über alles das und noch viel mehr werden ja auch Tag für Tag auf allen Erdteilen viele Gedichte geschrieben. Es heißt, noch nie zuvor in der Geschichte seien so viele Gedichte geschrieben worden  wie heute im Zeitalter der (Video-) Bilder und der (Smartphone-) Töne.

Aber, so schreibt Krüger lakonisch zum Schluss dieses Gedichts, das vielleicht gar kein Gedicht ist, man könnte und sollte gerade deshalb auch einmal „die Klappe“ halten. „Die Stille ist laut genug“.

Ganz fein, kaum wahrnehmbar, aber raffiniert und mit langem intellektuellen Nachhall hat Krüger hier dann doch noch eine Zeitdiagnose hineingeschmuggelt. Schreibt sich  Michael Krüger, der ja laut Geburtsdatum auch zu der „68er-Generation“ gehört, mit seinen letzten Gedichten immer mehr aus den politischen Zeittumulten heraus? Geschenkt, noch so eine dumme Frage. „Klappe halten“…

Carl Wilhelm Macke

Gedicht entnommen aus: Michael Krüger. Umstellung der Zeit. Gedichte. Suhrkamp, Berlin 2013. 117 Seiten. 18,95 Euro. Foto: Creative Commons, CC0 1.0, Autor: Lesekreis, Quelle.

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