Geschrieben am 13. März 2013 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Margherita Guidacci

Margherita_GuidacciPerdita di memoria

Tutto quel che hai imparato si stacca da te come un petalo vizzo.
Tu stessa sei la neve che ti cade d’intorno
E non hai più bisogno d’alzare gli occhi al cielo grigio
per capir quanto poco ti avanza del tuo giorno.

Gedächtnisverlust

Alles, was du gelernt hat, löst sich von dir wie ein welkes Blütenblatt.
Du selbst bist der Schnee, der um dich herum fällt.
Und du brauchst nicht die Augen zum grauen Himmel zu heben,
um zu begreifen, wie wenig dir bleibt von deinem Tag.

Funerale

Molte volte ho seguito il mio funerale,
unica attenta fra tanti distratti
e ho sparso generoso palate di terra
sulla mia bara.

E molte volte ho visitato la mia tomba
in date non fissate da nessuno calendario,
sostando con i miei fiori invisibili
presso il marmo di qualche cuore umano.

Che spavento può esservi nel ripetere ancora
un passo conosciuto fino alla noia,
se una sola variante – in mio favore –
vi sarà questa volta?

Toccherà infatti agli altri tutoli peso
del rituale.
A me, soltanto la parte più semplice:
adagiarmi, chiudere gli occhi, dimenticare.

Margherita GuidacciBeerdigung

Viele Male bin ich meiner Beerdigung gefolgt,
als einzig Aufmerksame unter so vielen Zerstreuten,
und habe großzügig bemessene Schaufeln Erde
auf meinen Sarg geworfen.

Und viele Male habe ich mein Grab besucht,
an Tagen, die in keinem Kalender standen,
mit meinen unsichtbaren Blumen verweilend
vor dem Marmor manchen menschlichen Herzens.

Was für ein Schrecken sollte darin liegen,
einen bis zum Überdruss vertrauten Schritt zu wiederholen,
dies eine Mal, in dem es – zu meinen Gunsten –
eine einzige Variante gibt?

Tatsächlich wird den andern die ganze Last
des Rituals zufallen.
Mir nur der einfachste Teil:
mich auszustrecken, die Augen zu schließen, zu vergessen.

(Übersetzt aus dem Italienischen von Ragni Maria Gschwend)

Gäbe es nicht das persönliche Engagement von Ragni Maria Gschwend wüssten wir im deutschsprachigen Raum wahrscheinlich nichts von der italienischen Lyrikerin Margherita Guidacci. Eine kleine Auswahl ihrer Gedichte ist vor Jahren einmal in den verdienstvollen „Straelener Manuskripten“ erschienen, mit denen das „Europäische Übersetzer-Kollegium Straelen“ hierzulande eher unbekannten Schriftstellern wenigstens eine bescheidene, aber sehr exquisite Form der Öffentlichkeit bieten will.

Margherita Guidacci wurde 1921 in Florenz geboren, wo sie ihr Literaturstudium mit einer Arbeit über Giuseppe Ungaretti abschloss. Neben ihrer Muttersprache beherrschte sie auch glänzend die englische Sprache und kannte sich souverän in der englischen wie amerikanischen Literaturgeschichte aus. Sie übersetzte u. a. Werke von Oscar Wilde, Emily Dickinson, Mark Twain, Henry James, Joseph Conrad und Elisabeth Bishop. Mit ihren Gedichten ging es ihr, so schreibt Ragni Maria Gschwend in einem die Übersetzungen begleitenden Nachwort, „nicht um den magischen Klang von Lauten, sondern um das ‚dramatische Potential von Bedeutungen‘“. Über das Schreiben von Gedichten hat sie einmal die folgenden, von Ragni Maria Gschwend übersetzten Verse verfasst: „… später, wenn sich die Wasser zurückziehen,/ werde ich wieder ein verlassener Strand sein./ Jetzt aber steigen sie! Und ich bin/ das Bett ihrer andrängenden Freude.“ 1992 starb Margherita Guidacci in Rom, wo sie die letzten Jahrzehnte ihres Lebens verbracht hatte.

Carl Wilhelm Macke

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