Geschrieben am 17. Oktober 2012 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Jozefina Dautbegović

Deine Poesie

Leer ist sie wie ein Haus das
in Eile verlassen wurde
Niemand zündet das Licht
der Worte in deinem Gedicht an
aufgehäufte Ziegel sind
in der Dunkelheit
Selbst in einem Haus, das in Eile
verlassen wurde
bleiben die Stimmen
unvollendete Gesten
der Durchzug im Vorhang
In deiner Poesie wohnt
seit ich gegangen bin,
niemand mehr.

Übersetzt von Klaus Dieter Olof

Niemand hat im deutschsprachigen Raum den Tod von Jozefina Dautbegović im Jahr 2008 registriert. Wer überhaupt kannte bei uns die 1948 in Bosnien geborene Lyrikerin, in deren Gedichte immer wieder das Motiv der Verlassenheit, der Flucht, der Entwurzelung, der gewaltsamen Vertreibung aufscheint? Mir selber sind nur zwei Gedichte von ihr in deutscher Sprache bekannt, die in dem nicht genug zu lobenden „Buch der Ränder“ von Karl-Markus Gauß und Ludwig Hartinger aufgenommen worden sind (Klagenfurt, Salzburg, 1995).

Dautbegović war 1992 aus Bosnien in das kroatische Zagreb geflohen. Einer Würdigung ihres Werkes von Neval Berber können wir entnehmen, dass Jozefina Dautbegović eine der wichtigsten lyrischen Stimmen in den Regionen des gewaltsam zerbrochenen ehemaligen Jugoslawien gewesen ist. Und Berber, der ihre Gedichte gut kannte, zögert nicht in ihnen ein Echo des Nobelpreisträgers Josif Brodskij und auch von Jean Amery zu vernehmen.

Von einer Schriftstellerin, die ein so schönes Gedicht wie „Deine Poesie“ geschrieben hat, möchte man gerne mehr wissen und lesen. Aber Sarajewo und Bosnien stehen schon seit langer Zeit außerhalb unserer Aufmerksamkeit. Verlassene Häuser, die die Zeit überwuchert.

Carl Wilhelm Macke

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