Geschrieben am 20. August 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Giorgos Seferis

Giorgos_Seferis_1963Nur ein Weniges noch
und wir werden die Mandeln blühen sehen
den Marmor in der Sonne leuchten
und das Meer sich wiegen

nur ein Weniges noch,
um ein Weniges lasst uns höher hinauf.

Aus dem Griechischen von Christian Enzensberger

 

Gedichte gibt es, die sind von einer ergreifenden Nüchternheit, fast möchte man sagen Schlichtheit, und gerade deshalb erstrahlen sie in einer den Leser sprachlos machenden Schönheit und Vollkommenheit. „Nur ein Weniges noch“ von Giorgos Seferis (1900 – 1971) gehört für mich dazu. Veröffentlicht wurde es zum ersten Mal 1935 in einem seiner ersten Gedichtbände mit dem Titel „Mythischer Lebensbericht“.

In diesem Jahr hatte er gerade den diplomatischen Dienst in der griechischen Botschaft in London hinter sich gebracht und stand vor einer weiteren Etappe seiner Diplomatenkarriere, die ihn nach Albanien führen sollte. Zeitlebens verbrachte Seferis als Diplomat viele Jahre im Ausland (u.a. Ägypten, Südafrika, Libanon, Großbritannien). Wo auch immer er sich befand, das Schreiben von Poesie hat er niemals aufgegeben. In den Jahren der Militärdiktatur zwischen den Jahren 1967 und 1974 fand die demokratische Opposition Griechenlands in den Gedichten von Seferis den Mut und den Willen für ihren Kampf gegen die Obristen.

Bei uns wurde die Poesie vor allem durch die Vertonungen von Mikis Theodorakis bekannt und für einige Jahre sogar sehr populär. Wenn die 68er Studies eine WG-Party feierten konnte man sicher sein, dass irgendwann im Verlaufe des Abends auch eine Platte mit Liedern von Theodorakis, gesungen mit der mitreißend sinnlichen und kräftigen Stimme von Maria Farantouri, aufgelegt wurde Heute ist das alles Geschichte, aber schön war’s doch…

Die Gedichte aber von Giorgos Seferis die bleiben, weil es immer auch wieder tragische und verzweifelte Momente gibt, in denen nichts mehr verbleibt als das Hoffen. „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen/den Marmor in der Sonne leuchten/und das Meer sich wiegen/ nur ein Weniges noch,/ um ein Weniges lasst uns höher hinauf“.

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM

Das Gedicht ist erschienen in: Giorgos Seferis: Poesie. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1962. Foto: Wikimedia Commons, Quelle.

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