Bitte
Komm wieder auf die Wiese
auf die du noch niemals kamst
und leg dich ins Gras
in dem du schon immer liegst
laß den Uferstaub durch die Finger rinnen wie Mehl;
Wieder ist nie immer zum ersten Mal
Komm wieder über den Sand
der über dich weht
komm wieder über das Wasser
das dich bedeckt
still der noch Unbegegneten Trennungskummer:
Nie ist nun zum ersten Mal wieder Immer
Sag wieder daß du da bist
klopf wieder an
sing dein Vergessen
daß ich es lernen kann
Wein in die Augen zurück die Tränen mach neu:
Immer ist zum ersten Mal wieder Nie.
Wenn überhaupt in den ‚unruhigen‘ späten Sechziger- bis frühen Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Lyrik gelesen wurde, dann mussten es Gedichte sein, die die Herrschenden zum Zittern brachten. Oder Gedichte, die zur internationalen Solidarität anstachelten. Oder Gedichte, die mit den Nazi-Jahren abrechneten. Oder – schon seltener – die daran erinnerten, dass es nicht nur eine Liebe zu den Massen, sondern auch zu einzelnen Menschen gab. Also las man – wenn überhaupt – Gedichte von Bertold Brecht, von Pablo Neruda, von Jannis Ritsos, von Nazim Hikmet, vielleicht von Paul Celan und Rose Ausländer. Und man wartete immer gespannt auf neue Gedichte von Erich Fried.
Er besonders traf mit seinen Gedichten die Erwartungen einer Generation, die in den Universitäts-Mensen an den Tischen mit Raubdrucken marxistischer Klassiker herumschlich, die am Nachmittag auf der Demo mit Che-Plakaten durch die Städte latschten und am Abend sich mit der Lektüre von nicht allzu langen, aber immer mit feiner Dialektik formulierten Gedichten vom ‚linken Alltag‘ erholen wollten.
Gedichtbände von Fried, die vom Wagenbach-Verlag manchmal im Jahresrhythmus herausgebracht wurden, gehörten zu Pflichtexemplaren in den Buchregalen der ‚linken Szene‘. Und als Erich Fried in der Hochzeit der RAF-Attentate Gedichte schrieb, mit denen er oft scharf entlang des Mainstreams der bürgerlichen Öffentlichkeit und der ‚linken RAF-Solidarität‘ nach Worten gegen das Schweigen suchte, galt er als ‚potentieller Staatsfeind‘.
Unmöglich in dieser Zeit ein Gedicht von Fried im Schulunterricht zu lesen, auch wenn in ihm kein Hauch von politischer Parteinahme zu finden war. Aber mit dem langsamen Herabsinken der aufgewühlten Jahre des Protests in die Archive der deutschen Zeitgeschichtsschreibung, wurde es auch um Erich Fried stiller. Sein Tod im November 1988 (in Baden Baden) wurde zwar noch in der Öffentlichkeit registriert, z.T. sogar mit größeren Gedenkartikeln, aber die große Aufmerksamkeit gegenüber seinem Werk war zu diesem Zeitpunkt bereits verblasst. Vielleicht wurde (und wird) Fried noch als Übersetzer von Shakespeare-Dramen zur Kenntnis genommen, aber Gedichte von Fried zu lesen und zu rezitieren scheint irgendwie out zu sein.
Vielleicht aber sollte man jetzt gegen jeden Zeitgeist und gegen das Vergessen mal wieder Gedichte von Erich Fried lesen. Vielleicht sogar einige seiner früheren Gedichte, die man in den Jahren des kämpferisch politischen Fried nicht zur Kenntnis genommen hat. Zum Beispiel das Gedicht „Bitte“ aus dem 1968 (!) im heute längst verschwundenen Claassen Verlag erschienenen Band „Befreiung von der Flucht“: ein wunderbares von Wunsch und Wirklichkeit, Nähe und Distanz, Spiel und Ernst geformtes Gedicht. Die Wiederentdeckung von Erich Fried steht an. Man wird sehen, wie viele unbekannte oder vergessene Schätze man aus seinem vielfach verschütteten Werk herausheben kann. „Sag wieder daß du da bist/ klopf wieder an/sing dein Vergessen/daß ich es lernen kann.
Carl Wilhelm Macke
Gedicht erschienen in: Erich Fried: Befreiung von der Flucht. Gedichte und Gegengedichte. Claassen Verlag 1968.
Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM
Abbildung: Erich Fried: Frühstücksgespräche. Ohrbuchverlag. 57 Seiten. 15,00 Euro.