Ohne Titel
Ich, um zu geben
nur Worte hab ich bereit
nur das Gedicht
das Atemkleid.
Die hab ich gebreitet
über die Insel
ein tiefblauer weiter
beständiger Himmel.
Dann wehte der Jahreswind
der Nord oder West
das Sein bleibt nicht fest
und sie schwinden.
Übersetzt von Riccardo Caldura, Maria Fehringer und Peter Waterhouse
Wie entdeckt man eigentlich Dichter und ihre Gedichte? Vielleicht auf Umwegen über die Werke anderer Schriftsteller, wo man zum ersten Mal den Namen eines unbekannten Dichters liest. Die lange Reise von Claudio Magris entlang der Donau („Biographie eines Flusses“, München, 1988) endet mit einem Zitat, das mich neugierig gemacht hat. „Mach, daß mein Tod, Herr“, heißt es in einem Vers von Marin, „sei wie das Fließen eines Stromes in t’el mar grando, in das große Meer“.
Nur einmal und nur an dieser allerletzten Stelle taucht der Name Marin auf. Und Magris schreibt auch nichts weiter über ihn, lässt seine Leser vollkommen im Dunkeln über diesen Dichter, von dem man auch nicht erfährt, woher er stammt und in welcher Sprache er schreibt. „In t’el mar grando“ lässt nicht mehr als eine Ahnung von der italienischen Sprache aufkommen. Neugierig geworden beginnt man also eine kleine Recherche, um mehr über jenen Marin zu erfahren.
Geboren wurde Biagio Marin 1891auf der kleinen Adriainsel Grado. Zur Schule ging er in Gorizia, unweit von Triest gelegen, wo er auch die deutsche Sprache erlernte. Anschließend studierte er in Florenz, lernte dort auch berühmte Literaten seiner Zeit kennen. In Wien, der nächsten Lebensetappe, begann er mit dem Schreiben von Gedichten. Nach dem Militärdienst, der ihn auch zur Teilnahme am 1. Weltkrieg zwang, ging er nach Rom, um ein Philosophiestudium abzuschließen. Er ging wieder zurück an die nordöstliche Adria, zuerst nach Triest, dann immer wieder nach Grado, wo er dann bis zu seinem Lebensende ( 1985 ) blieb. Angeblich, so liest man es in umfangreicheren Porträts, habe er ‚tausende von Gedichte‘ geschrieben, die aber auch nur zu einem Teil in italienischer Sprache ediert wurden. Fast alle seiner Gedichte schrieb Marin im Gradeser Dialekt.
Vielleicht wäre sein Werk auch – außer in seiner Heimatregion – vergessen worden, wenn er nicht von Schriftstellern wie Pier Paolo Pasolini und dann vor allem von Claudio Magris einem größeren italienischem Publikum bekannt gemacht worden wäre.
Übersetzt in deutscher Sprache liegt nur ein schmaler Band mit dem Titel „Der Wind der Ewigkeit wird stärker“ vor. „Marin“, so schreibt Andreas Puff-Trojan in einer Rezension, „ist ein Dichter jenseits allen Geredes. Seine lyrische Rede hat Wert, gibt Sinn und man hofft, dass weitere Texte Marin übersetzt werden mögen“. Die Gedichte, in denen der alte Marin den „Wind der Ewigkeit“ immer stärker spürt, sind wunderbar. „Aus Verwandlung kommt Gesang;/ du sollst nicht bedauern;/ wie kurz die Tage dauern/ die Verzauberung ist lang“.
Carl Wilhelm Macke
Gedicht entnommen aus: Biagio Marin: Der Wind der Ewigkeit wird stärker. Übersetzt von Riccardo Caldura, Maria Fehringer und Peter Waterhouse. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1991. 112 Seiten.
Abbildung: Denkmal Biagio Marin im „Parco della Rose“ in Grado, Ausschnitt, Wikimedia Commons, Foto-Urheber: Frankforter, Quelle