Geschrieben am 14. September 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag, News

Kunst: Die Doug-Aitken-Schau in der Frankfurter Schirn

Schirn_Presse_Portrait_Doug_cLaifLet’s get lost

Mit ihrer monumentalen Doug-Aitken-Schau ist der Schirn ein Sommer-Hit im besten Sinne gelungen, der voll auf das Format Art Rave setzt. Noch bis Ende September lässt sich Aitkens Feelgood in den Herbst verlängern. Von Kerstin Schoof

Wer sich derzeit durch Frankfurt bewegt, begegnet Doug Aitken auf Schritt und Tritt: überdimensionalen Staubwolken vor blauem Himmel oder Pferden, Bisons und Eulen in Hotelzimmern. Ein Selfie mit einem der tierischen Bewohner bringt an der Kasse zwei Eintrittskarten zum Preis von einer – die Aitken-Schau der Schirn lebt konsequent die Entgrenzung, Interaktivität und Vernetzung der Kunst, die dem Künstler so wichtig ist. Aitken will Erfahrungsräume schaffen, das Publikum in die Kunstwerke eintreten und teilnehmen lassen und dabei einen Flow erzeugen, der visuell ebenso wie musikalisch-rhythmisch wirkt und ein ganz eigenes, individuelles Zeit- und Raumempfinden entstehen lässt.

Die komplette Schirn wurde daher in diesem Sommer zum Multimedia-Event, in dem Video-Arbeiten ganze Hallen einnehmen und einzelne Motive oder Elemente durch die Ausstellung flottieren, immer wieder an der Oberfläche erscheinen und weiter entwickelt werden. So umgibt gleich die erste Installation „Song 1“ den Betrachter auf einer 360°-Leinwand mit „I Only Have Eyes For You“, das von unbekannten und prominenten Protagonisten an den unterschiedlichsten Orten neu eingesungen wurde. Zwei der Sänger tauchen wenig später in „Black Mirror“ wieder auf, das in einem dunkel-verspiegelten Raum auf mehreren Monitoren präsentiert wird und sich darüber hinaus kaskadenartig auf den Wänden spiegelt – ein eindrucksvolles Statement zu individueller Mobilität heute, umzingelt von Fernsehbildschirmen und Smartphone-Displays. Aitken inszeniert Chloë Sevigny in der Hauptrolle als eine Art weiblichen Lone Rider durch die Nicht-Orte der Informationsgesellschaft, getaktet durch eine wiederkehrende Abfolge von „Check In, Check Out“ – am Flughafen, im Hotel, auf der Urlaubsfähre, der Seilbahn oder im Mietwagen durch die Wüste, immer nach dem Motto „Never stagnate, never stop. Exchange, Connect, Move On“. Irgendwo zwischen Isolation und Austauschbarkeit angesiedelt finden sich Momente voller Wucht: von echter Selbstbestimmung, großartigen Landschaften und unendlichen Möglichkeiten.

Während die startenden Flugzeuge aus „Black Mirror“ in Installationen wie „Cloud Plane“ wiederkehren, widmet Aitken dem Hotelzimmer eine seiner vielleicht poetischsten Arbeiten, „migration (empire)“. Ein Biber schwimmt in der Badewanne, ein Reh räumt die Mini-Bar aus, der Berglöwe zerfetzt die Kissen – die Wildtiere, die Aitken in Motels quer durch die USA einquartiert, wirken anrührend deplatziert, fangen aber doch an, ihre neue Unterkunft irgendwie zu erkunden und zu nutzen. Der Blick der Tiere auf die Hotelzimmer erscheint dabei ebenso fremd wie unser Blick auf die Tiere im Hotel.

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Art at Night

Dass es Aitken gelingt, Zuschauer geradezu massenhaft in seine Erfahrungsräume hinein zu ziehen, haben nicht zuletzt die Eröffnung der Ausstellung als Sommerparty und die „Schirn at Night“ ziemlich eindrucksvoll bewiesen. Ein ausverkauftes Haus, im Erdgeschoss Club-Disko mit Lightshow und Drinks, Festivalatmosphäre in den oberen Ausstellungsräumen, wo die Besucherströme vor den Videoarbeiten auf dem Boden campieren: Doug Aitken verortet sich klar in der Popkultur. Seine Anleihen bei Alltagsszenarien und Medienkommunikation, Musikvideos und Werbedesign machen ihn im besten Fall anschlussfähig, man könnte auch behaupten, gefällig – da ist der manchmal sehr weich abgemischte Sound der Videoarbeiten; die zahlreichen Schnitte und Sprünge, Nachbearbeitungen und Farbfilter, mit denen er sich nach dem eher sperrigen „Diamond Sea“ (1997) klar vom realistischen Dokumentarfilm verabschiedet: Industriegebiete, Fabrikhallen, Parkhäuser, leere Straßen bei Nacht werden gleichermaßen spielfilmreif durchästhetisiert. Doug Aitken, der dekorative All-American Artist?

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The All-American Artist

Ja und nein – die Begeisterung für große Bilder, neue Technologien, Geschwindigkeit, eine Lebensweise on the move sind jederzeit spürbar, aber diese Faszination ist nie unkritisch, sondern humanistisch motiviert. Das Interesse für den Menschen in den verschiedensten technischen Konstellationen steht für Aitken im Mittelpunkt: die Lust am Austausch und am Kontakt mit anderen geben seinen Werken eine richtiggehend warmherzige Note. Trotz aller Geschwindigkeit, trotz des medialen Overloads entsteht dadurch ein Raum, der paradoxerweise Ruhe gibt – zum Durchatmen, zum Nachdenken und für eigene Erfahrungen, ein eigenes Tempo. Let’s get lost, wie Aitken mit Verweis auf Chet Baker sagt – aber auch: let’s get found. Vielleicht scheint in Aitkens Werken nicht weniger auf als die utopische Perspektive einer Technik, die mit menschlicher Wahrnehmung und menschlichen Verhaltensweisen vereinbar ist. Und so lassen sich Aitkens Arbeiten an einem stillen Werktag in der Schirn fast genauso gut rezipieren wie beim Art Rave in der dicht gedrängten Besuchermenge.

Kerstin Schoof

Doug Aitken. Schirn Kunsthalle Frankfurt, 9. Juli – 27. September 2015. Mehr Informationen hier. Ein Video-Interview (aspekte) finden Sie hier, ein Porträt von ttt finden Sie hier.

Ausstellungskatalog: Doug Aitken. Herausgegeben von Matthias Ulrich und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein, Essays von Joseph Akel, Dominic Eichler, Jörg Heiser, Martin Herbert, April Lamm, Katya Tylevich und Matthias Ulrich. Dt./Engl. Ausgabe, Hardcover mit Papierwechsel, 200 Seiten, 150 Abbildungen, 32 x 24 cm (Hochformat), Gestaltung: Surfacegrafik, Frankfurt; Verlag für moderne Kunst, Wien, 2015, ISBN 978-3-903004-18-4, Preis: 32 Euro (Schirn), 39 Euro (Buchhandel).

Foto 1: Pressefoto Schirn. Porträt Doug Aitken © Graeme Mitchell/Redux/laif
Foto 2: Pressefoto Schirn.
DOUG AITKEN: Black Mirror, 2011. Drei-Kanal-Videoinstallation, drei Monitore, architektonisches Environment. 13 Min. Loop, Farbe, Ton, Maße variabel, Auflage 2/4. Courtesy the artist; 303 Gallery, New York; Galerie Eva Presenhuber, Zurich; Victoria Miro Gallery, London; Regen Projects, Los Angeles, Film Still © Doug Aitken
Foto 3: Pressefoto Schirn. DOUG AITKEN: Ausstellungsansicht von SONG 1, 2012/2015. © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2015. Foto: Norbert Miguletz

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