Geschrieben am 14. Mai 2014 von für Film/Fernsehen, Litmag

Kommentar: Wolfram Schütte über die bayrische Trias von Politik, Kabarett & TV

BrLach-Loyalität

–Über eine Genialität der CSU & das Vergnügen des Bayernvolks. Von Wolfram Schütte

Nur wenige werden sich heute noch an den einst oft zitierten Satz von Max Frisch über den „gefährlichen politischen Agitator“ Bert Brecht erinnern: „Brecht hat die durchschlagende Wirkungslosigkeit eines Klassiker“. Als erklärter Klassiker, behauptete der Schweizer Brecht-Verehrer, sei der Augsburger leider nachhaltig politisch „stillgestellt“. Sein als „eingreifend“ gedachtes „Episches Theater“ bleibe politisch folgenlos.

Daran musste ich jetzt wieder denken, als ich die Übertragung des Maibockanstichs im Hofbräuhaus im Bayrischen Fernsehen sah. Nach der „Fränkischen Fassnacht“ & dem „Salvatoranstich auf dem Nockherberg“ ist es in diesem Jahr schon die dritte jokose Veranstaltung, in deren Mittelpunkt sowohl die bayrische Polit-Prominenz, als auch deren gleichzeitige satirische Lächerlichmachung steht und beides vom Bayrischen Rundfunk als kabarettistische Abendunterhaltung nicht nur übertragen, sondern auch als Feature-Show inszeniert wird, die uns die handelnden Personen „hautnah“ vor Auge & Ohr führt.

In keinem Land der Bundesrepublik gibt es etwas Vergleichbares mit dieser bayrischen Trias von Politik, Kabarett & TV; nirgendwo in Deutschland (& wohl auch auf der Welt!) ist das beiderseitige Juxvergnügen aneinander ungetrübter als im Bayern der CSU, die sich ihre schärfsten Satiriker zum Gaudi des Staatsvolks ins Haus holt & lachend an die Brust drückt – wenn bayrische Politiker nicht sogar auch noch zusätzlich eigenhändig als Satiriker ihrer selbst & ihrer Kollegen auftreten.

Ich habe das schon von dem ehemaligen Münchner SPD-Oberbürgermeister Christian Uhde erlebt, wie gerade jetzt von Markus Söder, der auf dem von ihm in seiner Funktion als bayrischer Finanzminister verantworteten Maibockanstich mit dem von ihm eingeladenen Satiriker Django Azül durchaus erfolgreich um die Lacher im Saal konkurrierte.

Tantenhaft empört sich eine pikierte SZ über „Södersche Schmutzeleien“ & denunziert sie den auf Seehofers leer gebliebenen Platz in der ersten Reihe sich hinflätzenden Franken Söder beim abwesenden Ministerpräsidenten.

Denn Söder – wohl die unheimlichste, wo nicht sogar unsympathischste Figur des leitenden CSU-Personals –, erntete auch viel Beifall für seine Sottisen gegen den CSU-Ministerpräsidenten & dessen hämisches Gelache, als der oft von Seehofer öffentlich geschurigelte Franke Söder „die wahnsinnige Ähnlichkeit von Kabinett und Kabarett“ konstatierte.

Zumindest in Bayern, muss man da hinzufügen, wo laut Söder der „einzige Unterschied“ zwischen beiden darin bestehe, dass „im Kabarett alle über einen lachen, im Kabinett lacht nur einer über alle“. Und dann lachen alle einverständig über den einen, der – ob als Politiker oder als Satiriker – eine hässliche Wahrheit über die Herrschaft kabarettreif ausspricht.

In Regimen, die befürchten, durch solche Aufdeckungen gefährdet zu werden, gilt sie als Geheimnis & Tabu & wird als Herrschaftswissen öffentlich beschwiegen. Bei Zuwiderhandlungen drohen – etwa dem Satiriker, der sie durch die Blume angedeutet hatte – schwerwiegende Repressalien bis hin zum Tod.

Im heutigen Bayern ist das alles ganz anders. Da herrscht ein Hofnarrentum, wie es wohl kaum je „in alten Zeiten“ möglich oder gar an der Tagesordnung gewesen war; da lädt sich die allmächtige Herrschaft der CSU nämlich bekannt-freche, spitz-bösartig formulierende Satiriker ein & honoriert sie fürstlich, damit sie unter den TV-Augen des Wahlvolks & im Blickkontakt mit den Gewählten kräftig vom Leder & die regierenden Herr- & Frauschaften nach allen Regeln schmerzhaftester satirischer Kunst in den Dreck ziehen; und die jeweils Traktierten & Bloßgestellten lassen sich von keinem im Gelächter über sich (& die ihnen zugesprochene Niedertracht) übertreffen. Die grinsende Miene, die sie zum selbst verordneten öffentlichen Spiel machen, ist sozusagen eine bajuwarische Spezialität & nennt sich „Derblecken“.

Was unter diesem Traditionsbegriff heute scheinbar als „Freibrief“ für oppositionelle Meinungen & für das Aussprechen andernorts verpönter Wahrheiten über die regierenden Machthaber erscheint, ist längst zu einem lustvollen & lachhaften staatstragenden Ritus geworden in einem Staat, in dem Demokratie den Feudalismus legitimiert, mit dem die CSU dauerregiert.

Der periodisch wahl-legitimierte bayrische CSU-Feudalismus – von dem die KP in China nur träumen kann – zeigt sich nicht nur in den souveränen Selbstherrlichkeiten ihres Führungspersonals & dem präpotenten Umgang, den ihre herausragendenMinisterpräsidenten mit ihren Kabinetten pflegen, sondern mehr noch im Verhalten ihres Wahlvolks, das sich im letzten Jahr „bis zur Kenntlichkeit“ (Brecht) entblößt hat.

Nach den weitreichenden, korruptiv-legitimierten „Selbstbedienungen“ der Landtagsabgeordneten, die eine wahrhaft feudalistische Vetternwirtschaft mit öffentlichen Geldern betrieben hatten, schien eine „Abstrafung“ der Partei an den Wahlurnen unumgänglich – wie das ja in westlichen Demokratien oft für weitaus geringfügigere & unschuldige Regierungsvergehen üblich ist.

Nicht aber in Bayern. “Trotzalledem“ erzielte die weitgehend „korrupt“ erschienene CSU wieder einmal die absolute Mehrheit. Unverkennbar wurde damit, dass die Bayern ihrer „Obrigkeit“ nichts übel nehmen & ihr alles verzeihen. Seit Franz-Josef Strauß´ Zeiten darf man als „Großkopfeder“ sich nämlich alles erlauben, aber nur nicht dabei erwischen lassen. Und wenn, wie jetzt bei dem von der Presse aufgedeckten Skandal, reicht es vollauf, wenn der Ministerpräsident (wie der Priester in der Dorfkirche) die „schwarzen Schafe“ abwatscht – & flugs ist deren „Sünde“ vergessen & vergeben beim CSU-Wahlvolk, dessen Einfalt höher ist als alle Vernunft.

Oder soll man eher vermuten, dass im bajuvarischen Katholizismus-als-Lebensform die moralische Schlitzohrigkeit, Gesetze & Haltungen insgeheim zu umgehen, allgemein in höherem Ansehen steht, als auch nur der geringste moralische Anspruch an sich & die anderen, der per se schon als „preißischer“ Rigorismus in Verruf steht? Und als fundamentalistischer „Protestanismus“ erscheint, der das „liberale“ katholische „Leben & Lebenlassen“ bedroht, mit dem man sich durchs Leben schlawinert, so gut es halt jeder kann? Ist das gar der tiefste Hintersinn des Achternbusch-Paradox: „Die Bayern sind alle Anarchisten; und die wählen die CSU!“

Zur Leutseligkeit der Herrschaft gehört es auch, dass sie ihr bayrisches Wahlvolk gewissermaßen „familiär“ zu Zeugen des von ihr selbst entzündeten kabarettistischen „Fegefeuers“ machen & die dramatis personae der bayrischen Politik nur bei ihren Vornamen aufgerufen werden. Auch das ist eine bayrische Besonderheit; denn in welchem anderen Bundesland zitieren die Wähler ihre Politiker bei ihren Vornamen? Selbst wenn sie so bekannt wie ein bunter Hund sind, bleiben sie doch z.B. „der Wowereit“ & nicht „der Klaus“ – während es in Bayern derzeit genügt, wenn „vom Horst“ die Rede ist oder vom „Markus“ & „der Ilse“, um die Hauptakteure des kabarettistischen Kasperletheaters der Landesregierung zum Vergnügen der Bayern auf die Bühne zu rufen.

Die einst kritikscheue & Kritiker hassende CSU („Ratten & Schmeißfliegen) hat bis auf weiteres das Patentrezept gefunden, wie man – zumindest in Bayern oder: nur in Bayern? – sich die Macht mithilfe der Mehrheit des Staatsvolks politisch gefahrlos & bis über beide Ohren grinsend sichert: indem man seine satirisch-kabarettistische Verhöhnung von Staats wegen selbst in die Hand nimmt & dafür sowohl Respekt als auch Mitgefühl für die scheinbare öffentliche „Selbstkasteiung“ einheimst: aber zugleich damit ebenso viel Vergnügen bereitet wie sich der Loyalität bei den Amüsierten versichert – von dem Vorteil ganz zu schweigen, nicht mehr lügen oder verschweigen zu müssen, weil man ja so lachend wie bußfreudig jede prekäre Wahrheit über sich offen aussprechen & einbekennen kann – wäre es auch die scheußlichste, hässlichste & gemeinste. Subversiver kann Affirmation kaum sein.

Man kann, um Frischs Einsicht über Brecht zu paraphrasieren, bei allem Spaßvergnügen von der „durchschlagenden Wirkungslosigkeit der Satire & des Kabaretts in Bayern“ sprechen. Bislang ist gegen diese jokose Genialität der CSU noch kein Kraut gewachsen.

Wolfram Schütte

Siehe auch: WoS über die „Karnevalisierung der Politik“, (CM vom 10.4.13) . Bild: Quelle.

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