Geschrieben am 24. Oktober 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Kommentar: Die „Kriegsdrohnen“ erfinden den skrupellosen Global Player

„Wir haben nichts davon gewusst“

In der neuen „Lettre International“ klärt uns der Schriftsteller Heathcote Williams über die Kriegsverbrechen auf, die mit der aktuellen Generation der unbemannten Kriegsdrohnen begangen werden. Wolfram Schütte über einen Paradigmenwechsel in der technologisch-militärischen Kriegsführung.

Schon des Öfteren habe ich die These gehört, wenn es zur Nazizeit bereits das Internet gegeben hätte, wäre das scheußlichste Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts, der Holocaust, nicht möglich gewesen. Diese fortschrittseuphorische Ansicht, von der ich nicht weiß, ob ich ihr zuneigen sollte, will annoncieren, dass wir alle heute nicht wieder von einem ähnlichen Verbrechen, dank der Informationsverbreitung im www, überrascht werden würden. Die „Ausrede“, man habe „nichts davon gewusst“, gelte künftig nicht mehr.

Nach der erschütternden Lektüre des Eröffnungsbeitrags des eben erschienenen neuen, 98. „Lettre international“ – diese „europäische Kulturzeitschrift“ ist nun schon sehr lange das beste Zeitschriften-Periodikum auf unserem Markt – bin ich mir nicht mehr sicher, ob wir nicht schon seit geraumer Zeit (wie unsere Ahnen zur Zeit des Nationalsozialismus) wieder „nichts wissen“ – nur diesmal von etwas Anderem.

Denn der englische Schriftsteller Heathcote Williams hat dort unter dem Titel „Der Herr der Drohnen“ – in Anspielung auf William Goldings erschreckende anthropologische Gewalt-Phantasmagorie „Der Herr der Fliegen“ – einen Text veröffentlicht, der sich mit der Existenz und dem Einsatz der vom US-Militär & besonders dem Friedensnobelpreisträger-Präsidenten Barak Obama favorisierten unbemannten Flugobjekten, den Drohnen, beschäftigt.

Der in Oxford lebende Heathcote Williams hat darin wohl vieles versammelt, was man über die Drohnen & ihren Einsatz in Afghanistan & Pakistan weiß, bzw. wissen könnte. Das fünfseitige poetische Prosastück besteht – zumindest in seiner vom Rainer G. Schmidt ins Deutsche übertragenen Form – aus einer Vielzahl von ungereimten Vierzeilern. Ausgehend von dem mittlerweile berühmten Youtube-Film, der den amerikanischen Präsidenten während eines Interviews dabei zeigt, wie er eine ihn irritierende Fliege erschlägt & darauf offensichtlich stolz ist, hat der Brite zusammengetragen, was er zu den Drohnen, deren Einsatz Obama exzessiver angeordnet hat als sein Vorgänger Bush jr., weiß.

Die Drohnen werden von einem tausende Kilometer entfernten militärischen Kommandozentrum in den USA gesteuert & auch von dort aus zum Einsatz ihrer Waffen gebracht. Es handelt sich um das modernste Waffensystem der Welt, auch die Bundeswehr & der Hessische Innenminister würde es gerne erwerben.

Es ist, wie gesagt, ein poetischer Text – wie ja auch Golding die Romanform wählte, um seine pessimistische Reflexion über die menschliche & gesellschaftliche Gewaltbereitschaft am Beispiel von Kindern zu erzählen, die ohne die elterliche & gesellschaftliche Schutzhülle der Zivilisation in nackte gegenseitige Barbarei abstürzen.

„Der Herr der Fliegen“ (1954) wurde als große Metapher für die „Entmenschlichung“ im II. Weltkrieg verstanden. Heathcote Williams versteht offenbar sein „Herr der Drohnen“ als Aufklärung über die schon eingetretenen jüngsten Entwicklungen der (amerikanischen) Kriegsführung mit unbemannten Flugkörpern, die, wie der Brite berichtet, über Teile Pakistans sichtbar schweben – wie ein Damoklesschwert, ohne dass die davon traumatisierten Bevölkerungen wissen, wann aus ihnen die „Blitze“ schlagen & wen sie ins Visier genommen haben, obgleich ihre gestreute mörderische Gewalt nicht dem angeblich zielgenau separierten militärischen Feind gelten, sondern – wie bekannt – „Unschuldige“, z.B. Kinder oder Hochzeitsgesellschaften treffen & grausam vernichten.

Die „Kriegsverbrechen“, welche die Drohnen schon angerichtet haben (ohne dass jemand das inkriminierende Wort in den Mund genommen, geschweige denn die als „Kollateralschäden“ semantisch verkleinerten Verbrechen geahndet hätte), sind das eine Skandalon, das der Text in seiner poetischen Form, die auch ein Angriff auf den amerikanischen Präsidenten ist, uns geballt in literarischer Rede vor Augen stellt. Nebenbei zitiert der englische Schriftsteller auch launige Witzeleien amerikanischer Militärs und sogar des Präsidenten, die sich auf die Zerstörungskraft der „Drohnen“ beziehen – die Herren wissen offensichtlich, womit sie ihre ekelhaften Scherze treiben – & man sieht sich plötzlich in die Fortsetzung der von Karl Kraus für das k.u k.-Militär dokumentierten mörderischen Humoristik versetzt. Das andere aber, was Heathcote Williams empört & beunruhigt, sind die Implikationen des ferngesteuerten Kriegsgeräts.

Der im Frühjahr gestorbene deutsche Komponist Hans G Helms hat über Jahrzehnte hinweg die Entwicklung der us-amerikanischen Waffentechnik beobachtet. Was er darüber aus zwar abgelegenen, jedoch frei zugänglichen amerikanischen Artikeln, Aufsätzen, Büchern zusammentragen konnte, hat er in mehreren großen Abendstudios des WDR ausgebreitet. Dort ist´s „versendet“ worden, will sagen: kaum bemerkt & folgenlos geblieben, denn gedruckt wurden Helms´ einzigartige Essays & Features zur fortgesetzten waffentechnischen Entwicklung nicht.

Der Tenor von Helms´ Recherchen war das nun mit den „Drohnen“ erreichte Ziel des US-Militärs, an der Stelle von menschlichem „Kanonenfutter“, also Soldaten, keine Menschen mehr in den Krieg zu schicken, sondern ferngelenkte Objekte. So würden die USA Kriege führen können, ohne mit Menschenverlusten rechnen zu müssen – was die Kriegsführung für die Weltmacht erheblich „einfacher“ machen würde, weil sie auf eine allgemein zustimmungswilligere US-Bevölkerung rechnen dürfte. (Die Kriegsindustrie, der von US-Präsident Eisenhower einst schon warnend beschworene „technisch-militärische Komplex“, würde zudem auch darüber glücklich sein.)

Mit der Entwicklung solcher Waffensysteme tritt aber erst recht auf, was Günther Anders als die „Antiquiertheit des Menschen“ in seinem gleichnamigen Essay bereits 1956 erkannt hatte. Gegenüber seinen technischen Erfindungen, prognostizierte Anders damals, werde die moralische Qualifikation des Menschen zunehmend ins Hintertreffen geraten.

Schon ein B 52 -Bomberpilot, der seine Bombenlast aus ein paar Tausend Kilometer Höhe ablädt, hat keine Vorstellung mehr von den Verheerungen, die seine Handlung auf dem Boden anrichtet. Allerdings setzte sich eine solche Bomberbesatzung noch der Gefahr aus, von einer Boden-Luft-Rakete oder einem Düsenjäger getroffen & getötet zu werden.

Der Drohnen-Lenker in Nevada aber geht seiner kriegerischen „Arbeit“ fernab von deren realen Folgen in Afghanistan wie in einem Videospiel nach; bzw. das sadistisch-gottgleiche Auslöschen von Feinden in den handelsüblichen Videospielen gleicht einer Einübung in die Skrupellosigkeit beim Umgang mit den Drohnen. Noch nicht einmal von den blutigen Folgen solcher Drohnentötungen hat der Täter eine Vorstellung zu verarbeiten. Er sieht & hört nichts – zumindest nichts, was ihm auf die Psyche drückte & moralisch zweifeln ließe.

Dem Nihilismus der Tätlichkeit sind mit diesen wie Spielzeuge handhabbaren Drohnen Tür & Tor geöffnet. Der scheinbar „unschuldige“ Tätertypus, eine Fortentwicklung des einstigen „Schreibtischtäter“ zum Global Player mit Waffengewalt wird damit zu einem Massenphänomen. Der soldatische Täter agiert quasi zivil. Seine mörderische Skrupellosigkeit erfährt er dabei nur als lässigen Spieltrieb, dem er im guten Glauben, nämlich als dafür abgestellter Soldat nachgeht. Die bislang bekannt gewordenen “Irrtümer“, die als “Kollateralschäden“ verbucht wurden & nur die Spitze eines Eisbergs von verwandten Kriegsverbrechen sein dürften, annoncieren, dass die Zukunft diese Auslöschungstechnik schon längst begonnen hat – und am Hindukusch ausgetestet wurde. Wir haben nichts davon gewusst, vor allem nichts von den mit ihr einhergehenden psychologische Veränderungen in der Psyche & der kriegerischen Tätigkeiten der damit befassten Soldaten. Es dürfte der finale Gewinn für die hohen Militärs sein, dass jene, die sie zu Tätern machen, von ihrer mörderischen Konditionierung keine Ahnung mehr haben. Wir haben nichts davon gewusst? Wieder nicht?

Heathcote Williams im 98. „Lettre International“ klärt uns spätestens darüber auf.

Wolfram Schütte

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