Geschrieben am 28. August 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Kommentar: Füller, die TAZ und die Pädophilie-Diskussion rund um die Grünen

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– Wolfram Schütte zur Polemik in Füllers Anti-Grünen Pamphlet in der Causa Pädophilie.

Die Weigerung der TAZ-Chefredakteurin Ines Pohl, einen bereits umbrochenen polemischen Artikel des TAZ-Redakteurs Christian Füller nicht erscheinen zu lassen, hat sowohl im Internet als auch in der TAZ selbst – wie auch bei der Printkonkurrenz – zu vielfältigen hämischen Reaktionen geführt. Der Blogger Stefan Niggemeier hat den redaktionellen Vorfall öffentlich gemacht, den nicht in Print erschienenen Artikel Füllers ins Netz gestellt & sogleich polemisch ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Grünen & TAZ unterstellt wie zwischen der CSU & deren Parteiorgan „Bayernkurier“. Auch war schnell im Netz von „Zensur“ die Rede, zumindest aber davon, dass die Chefredakteurin die Partei der „Grünen“ dadurch habe schonen wollen, weil die „Grünen“ durch eine bereits laufende öffentliche Diskussion über pädophile Tendenzen in ihrer jugend- & sexpolitischen Frühzeit ins Zwielicht geraten ist.

Zwar hatte die Partei unverzüglich einen Wissenschaftler mit der Aufklärung beauftragt und dessen erste peinliche Rechercheergebnisse auch publiziert. Das hält aber Gegner der „Grünen“ in der Presse & der Politik unisono nicht davon ab, ihnen ihre vergangenen „Sünden“ pauschal immer wieder vorzuhalten, um sie bei ihrer kinderfreundlichen jungen Klientel, ihren potentiellen Wählern, nachhaltig in Verruf zu bringen.

In der Tat ist die TAZ einmal aus der grünen Bewegung hervorgegangen & noch heute unterhält sie zu den „Grünen“ eine sympathetischere Beziehung als zu allen anderen deutschen Parteien.

Möglicherweise gibt es aber in der TAZ-Redaktion Journalisten, denen diese historische & heutige lose politische Liaison von Zeitung & Partei aus den unterschiedlichsten Gründen unlieb oder sogar obsolet (geworden) ist. Der Redakteur Christian Füller gehört ganz offensichtlich dazu & wohl auch jene Kollegen, die seinen Artikel sowohl bestellt & gebilligt als auch ins Blatt gehoben haben.

Füller, der über die pädophilen Ereignisse an der Odenwaldschule geschrieben hat, ist ohne Zweifel ein kompetenter Autor für das Thema, das eine peinliche, nachhaltige, folgenhafte Aberration in der bundesdeutschen Moral-, Gesellschafts- & Politikgeschichte ist.

Wenn man aber den Artikel Füllers liest, stehen selbst einem Leser, der kein Sympathisant der „Grünen“ ist & dir Polemik schätzt & praktiziert (wie mir), die Haare zu Berge. Flügge schreibt in einem unverkennbar hasserfüllten Tremolo. Seine Philippika wider „die Grünen“ tritt im Tenor einer veritablen katholischen Kapuzinerpredigt auf (wobei ja solche pfäffische Empörung ausgerechnet über pädophile Vergehen heute ganz & gar obsolet geworden ist).

Nun kann man Füllers Emphase in diesem Fall durchaus verstehen. Dabei wissen wir doch: „Auch der Haß gegen die Niedrigkeit / verzerrt die Züge. / Auch der Zorn über das Unrecht / Macht die Stimme heiser“ (Brecht). Aber der Autor geht noch einen Schritt weiter: Indem er die Grünen, die er mit seinem Furor verfolgt, metaphorisch bewusst als „Schreibtischtäter“ tituliert, die mit „Menschenmaterial“ umgegangen seien, will er – der weiß, was er damit tut – „die Grünen“ ohne Umschweife direkt mit der „Sprache des Unmenschen“ i.e. den Nazis identifizieren.

Wenn das nicht „infam“ ist, was dann?

Ich weiß nicht, ob die TAZ-Chefredakteurin diesen metaphorischen Sprachakt Füllers meinte, als sie von dessen „Infamien“ in einer internen Debatte sprach, die teilweise in der FAS kolportiert wird, oder ob sie nur allgemein ihr „Bauchgefühl“ von der intendierten infamen Wirkung des Artikels meinte.

Natürlich ist es für die TAZ nicht angenehm, über die pädophilen Verirrungen Ihrer grünen Gründungsgeneration berichten zu müssen. Es mag für sie so peinlich sein wie für die „Welt“ die usamerikanischen NSA-Aktivitäten, die sie als einzige deutsche Tageszeitung rechtfertigt: päpstlicher als der Papst, bzw. mit deutscher Nibelungentreue.

Dagegen sind sowohl die Grünen-Partei als auch die mit ihr sympathisierende TAZ Musterbeispiele von Transparenz & Selbstaufklärung. Denn wer kehrt schon gerne öffentlich vor der eigenen Tür? Wollen wir doch bitte die Kirche im Dorf lassen.

Aber eine infame, bewusst auf moralische Herabsetzung abzielende üble Nachrede wie Füllers metaphorischer Grünen-Vernichtungsversuch hätte journalistisch nirgendwo ihren Platz – außer vielleicht in Springers „Welt“, die sich Dank Edward Snowden gerade wieder zur (alten politischen) Kenntlichkeit verändert hat.

Ist hier also von Zensur die Rede? Aber gewiss doch. Ines Pohl hat keine Zensur ausgeübt. Sie hat eine Zensur erteilt. Zurecht fiel sie negativ aus. Nicht mehr & nicht weniger.

Wolfram Schütte

 

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