Double Feature: Trümmer-Time in Germany
– Zwei neue deutsche Filme untersuchen die junge Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Einmal als verschüchterte Hommage an den Staatsanwalt Fritz Bauer. Einmal als Kulisse für ein intellektuell aufgedonnertes Melodram. Christopher Werth war wenig begeistert.
Giulio Ricciarellis “Im Labyrinth des Schweigens”
“Im Labyrinth des Schweigens” hat ein wichtiges Leitmotiv. Die Entnazifizierung und wie wenig sie von Erfolg gekrönt war. Fritz Bauer ist dafür eine entscheidende historische Figur, er sorgte dafür, dass es überhaupt 1963 zu einem Auschwitz-Prozess kam. Ganz egal, wie man das “Labyrinth des Schweigens” qualitativ findet: Es ist gut und wichtig, dass über Bauer Filme gedreht werden. Was ebenfalls sehr positiv ist: die Besetzung des Films. Der kürzlich leider verstorbene Gerd Voss ist auf der Leinwand ein großartiger Fritz Bauer. Oft genug haben Theaterschauspieler den Drang, vor der Kamera zu viel zu machen. Nicht aber Voss. Schade, dass nicht mehr Filme mit ihm gedreht wurden. Er macht im Grunde nichts, lässt die Figur einfach durch seine zerknitterte Haut diffundieren. Sein Generalstaatsanwalt Bauer ist ein historischer Held, im Film hat er allerdings nur die Funktion eines Mentors. Was hätte man da noch alles machen können. Vor allem, wenn man den Oberstaatsanwalt Friedberg (Robert Hunger-Bühler, ebenfalls eine großartige Besetzung) zum richtigen Gegenspieler ausgebaut hätte. Ein Kampf der Giganten hätte es werden können.
Der Held ist ein anderer: ein blonder, durch Frankfurt springender Jüngling, gespielt von Alexander Fehling. Ein leicht dümmlicher Jung-Staatsanwalt, der auf einer Party zufällig von Auschwitz erfährt und dann so richtig gegen das System aufbegehrt. Und wie er aufbegehrt! Er trinkt Alkohol. Er taumelt nachts durch Frankfurt und pöbelt Passanten an. Im Büro, da fegt er das Telefon in die Ecke. Und dann widerspricht er auch noch seiner Mutter. Gut, dass der Schauspieler Johann von Bülow ein höflicher Mensch ist – er spielt als Co-Staatsanwalt Haller seinem Filmkollegen ein bisschen Glaubwürdigkeit zu: Erst macht er ihn fertig, dann respektiert er ihn. Leider hat er nur eine Nebenrolle. Ansonsten schien das große Thema den Regisseur zu komplett zu hemmen. Fast nur schablonenhafte Charaktere. Juden mit Hakennasen und hässliche, aufgedunsene Nazis. Natürlich darf da auch eine seitlich anmontierte Liebesgeschichte mit dem klassischen Operettenschema Verlieben, Verkrachen, Versöhnen nicht fehlen. Fazit: Durch und durch konventionelles Gefühlskino. Von der Dramaturgie bis hin zu den triefenden Streichern.
Christian Petzolds “Phoenix”
Petzold dagegen ist gewollt unkonventionell. Bei ihm ist die Nachkriegszeit Kulisse für ein bildungsbürgerliches Volkshochschul-Kolloquium. Am Anfang wird Film Noir zitiert. Die jüdische Hauptfigur Nelly hat das KZ mit entstelltem Gesicht überlebt. Ihre Freundin Lene fährt sie mit dem Automobil über die Grenze. Toll, freut sich der Kritiker, ich kann in der Besprechung zeigen, was ich alles kenne: Der Kopfverband ist eine Anspielung auf Bogart in “Dark Passage”. Dem folgt ein zunächst in positive Richtung irreleitender Hoffnungsschimmer: Der von Michael Maertens gespielte Arzt, der Nellys Gesicht operiert, zeigt in seinen wenigen Sätzen und den Pausen dazwischen mehr über die Zeit, als später der ganze Film. Als Gesichtschirurg ist er außerdem phantastisch – seine Patientin ist hinterher so schön wie Nina Hoss.
Mit dem neuen Gesicht sucht die Frau ihren Mann. Als sie ihn findet, erkennt dieser sie nicht, findet aber, dass sie seiner Frau ähnlich sieht. Er will sie deshalb dazu bringen, sich als seine Frau auszugeben, um mit ihr vor Zeugen eine triumphale Rückkehr aus dem KZ zu inszenieren. Nur, um an das Erbe ihrer umgebrachten Familie zu kommen. Und sie? Obwohl ihre smarte Freundin Lene (Nina Kunzendorf) sie über alles aufklärt, lässt sie sich auf den Deal ein. Das soll auf Kim Novak und James Stewart in “Vertigo”, anspielen, jubelt die Kritik. Das Motiv von Eheleuten, die einander nicht wiedererkennen, ist außerdem einer der ältesten Gags der Theatergeschichte, gern genutzt in mal mehr, mal weniger albernen Komödien. Hervorgehoben die Strauß-Operette “Fledermaus”, und Mozarts “Cosi van tutte”. Das Zitat in der finalen Szene ist schließlich die Interpretation eines großen Kurt Weil Songs. (Ist der so schlecht gesungen, weil die Figur traumatisiert ist? Oder ist es einfach nur Unvermögen der Schauspielerin?) Hier spielt die scheinbare und zugleich echte Frau mit ihrem Mann den Freunden als Echtheitsbeweis “Speak low” vor. Passenderweise ein Song aus dem auf dem Pygmalion-Motiv basierenden Musical “One Touch of Venus”, in dem ein Mann mit seiner Liebe eine Statue zum Leben erweckt.
Das alles ist natürlich nicht nur schlecht. Anhand des Films kann man beispielsweise wunderbar über die Themen Identität und Perfomativität (minus Gender) philosophieren, Judith Butler zitieren, darüber nachdenken, wie Bewegungen, Frisuren, Styling und Kleidung den Charakter erzeugen. Ein hochspannendes Thema. Und sowieso: über den Holocaust. Was er mit Opfern, Tätern und den Menschen in den Grauzonen dazwischen gemacht hat. Was er mit Liebenden gemacht hat (Alexander Kluges Erzählung “Ein Liebesversuch”).
Doch so brillant die Referenzen, so stupide die Figuren. Was nützen im Kino Zitate von fremden Glanzleistungen und ohne Frage gute Schauspieler, wenn man sich die ganze Zeit fragt, warum die Charaktere nur so bescheuert und eindimensional geschrieben, inszeniert und gespielt sind? Der Trick, um trotzdem das Feuilleton für sich einzunehmen: Bedeutung wird künstlich über einen virtuellen, intellektuellen Referenzrahmen und das Grauen des Holocausts erzeugt. Petzold pumpt eine sehr dünne, parabelhaft unglaubwürdige Geschichte in fast jeder Szene mit der geliehenen Macht von Schwergewichten wie Alfred Hitchcock, Humpphrey Bogart, Kurt Weil, Alexander Kluge und Judith Butler auf. Kaum ein origineller Gedanke. Ergebnis: Der Film “Phoenix” bricht unter dem Ballast zusammen und erstickt. Was ja immerhin zu den Trümmerhaufen der Stunde Null passt.
Der eine Regisseur liefert zu gewollt konventionell, der andere zu gewollt ambitioniert. Vielleicht sollten die beiden mal zusammen einen Trinken gehen.
Christopher Werth
“Im Labyrinth des Schweigens”. 2014. 123 Minuten. Regie: Giulio Ricciarelli. Drehbuch: Elisabeth Bartel, Giulio Ricciarelli. Darsteller u.a.: Alexander Fehling, André Szymanski, Friederike Becht. Musik: Sebastian Pille, Niki Reiser. Kamera: Martin Langer, Roman Osin. Schnitt: Andrea Mertens
“Phoenix”. Deutschland 2014. Regie: Christian Petzold. Drehbuch: Christian Petzold, Harun Farocki. Darsteller u.a.: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf. Musik: Stefan Will. Kamera: Hans Fromm. Schnitt: Bettina Böhler
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