Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Kinderbücher, Litmag

KidBits: Neue Bücher für Kinder ab 8 Jahren

Neue Kinderbücher von Judith Allert („Die unglaublichen Schockingers“), Kirsten Boie („Entführung mit Jagdleopard“), Lisa-Marie Dickreiter & Winfried Oelsner („Max und die wilde 7“), Nikolaus Heidelbach („Rosel von Melaten“), Kai Lüftner („Das Kaff der guten Hoffnung“), Katarina Mazetti („Die Karlsson-Kinder“), Timo Parvela („Pekkas geheime Aufzeichnungen“) und Janne Teller („Krieg: Stell dir vor, er wäre hier“). Vorgestellt von Frank Schorneck.

Allert_schockingersDer unheimliche Brühwürfel-Fluch

Eine wilde Mischung aus Grusel- und Mystery-Elementen, gespickt mit absurden Gags und Sprachwitz bietet die neue Kinderbuchreihe „Die unglaublichen Schockingers“, die in diesem Herbst gleich mit zwei Bänden startete. Als sich ihr Familienschloss auf seltsame Weise auflöst, muss Familie Schockinger, deren Mitglieder die ungewöhnlichsten Fähigkeiten aufweisen, in eine stinknormale Reihenhaussiedlung ziehen, wo sie ordentlich für Aufregung sorgt. Von den Nachbarn wird sie misstrauisch beäugt, und schon bald stellt sich heraus, dass es die Familie nicht ohne Grund hierher verschlagen hat – vielmehr kehren sie zum Ursprung eines generationenalten Fluchs zurück. Einzig Schockinger-Sohn Henry findet die Normalität seiner neuen Umgebung trotz diverser Probleme mit seinen Mitschülern ziemlich reizvoll und sehnt sich danach, den seltsamen Brühwürfel-Fluch zu brechen.

Judith Allert verpasst den temporeichen Geschichten eine hohe Gagdichte und bevölkert sie mit allerlei skurrilem Personal, nimmt sich aber zu wenig Zeit, die Charaktere der Figuren auszuarbeiten oder der Geschichte Tiefe zu verleihen. So rauscht die Story comichaft am Leser vorbei, sorgt zwar für viele Lacher, zieht aber nicht wirklich in den Bann. In den Worten unserer Tochter: „Das ist sehr lustig, aber gar nicht spannend.“

Judith Allert: Die unglaublichen Schockingers. Band 1: Auf fürchterliche Nachbarschaft, Band 2: Der Brühwürfel-Fluch. ars edition 2015. 160 / 176 Seiten, je 9,99 Euro. Empfohlen ab 8 Jahre

boie_leopardJagdleoparden küsst man nicht

Aus ihrer Feder stammen einige der beliebtesten Kinderbuchreihen unserer Zeit: „Der kleine Ritter Trenk“ und „Seeräubermoses“ – aber auch das Meerschweinchen „King-Kong“ oder die „Kinder aus dem Möwenweg“. Egal, was die Hamburgerin Kirsten Boie literarisch anpackt – vom Bilderbuch für die ganz Kleinen über Abenteuer für Leseanfänger bis hin zum Jugendbuch, das sich ernster gesellschaftlicher Themen annimmt – sie hat stets ein sicheres Händchen. Und mit ihrem neuen Roman „Entführung mit Jagdleopard“ ist ihr ein weiteres Glanzstück gelungen.

Diesmal führt uns die Autorin nicht ins Mittelalter oder in die beschauliche Bullerbü-Welt des Möwenwegs, sondern an den Rand der Gesellschaft, wo der Aufzug im Hochhaus defekt ist, der Schulbesuch eher unregelmäßig erfolgt und die Mutter trinkt. Die zehnjährige Jamie-Lee hat in der Schule einiges über Umweltzerstörung aufgeschnappt und nimmt sich gemeinsam mit ihrer Freundin Ebru vor, die Welt zu retten. Vorher jedoch hat sie ein paar ganz andere Probleme zu lösen: Ihre Oma hat einen neuen Freund und der will sie seinen Eltern in Polen vorstellen. Aber wer kümmert sich dann um Jamie-Lee und ihren großen Bruder Baron Chuck? Die Mutter der beiden liegt den größten Teil des Tages sturztrunken auf der Couch und Jamie-Lee hat bereits traurige Erfahrung darin, rechtzeitig einen Eimer zu holen, um größeren Schaden vom Teppich abzuwenden. Um das Betreuungsproblem vorübergehend zu lösen, wird kurzerhand die 112 gewählt und die Mutter wegen eines angeblichen Suizidversuchs in die Entzugsklinik eingewiesen. Das Jugendamt darf nicht erfahren, dass die beiden Kinder nun ein paar Tage allein in der Wohnung sind. Der Plan hätte aufgehen können, wäre Jamie-Lee nicht beim Einkaufen auf dieses merkwürdige dicke Mädchen gestoßen, das ausgerechnet Fee heißt und dringend ein Versteck sucht. Es stellt sich heraus, dass Fee eine Milliardärstochter ist, die auf keinen Fall in ein Abnehm-Internat gesteckt werden will. Nur wenig später nimmt Jamie-Lee auch noch den Obdachlosen Herrn Wildeck in der Wohnung auf, der einen alten und gebrechlichen Geparden aus dem Zirkus mit sich führt. Als im Fernsehen immer öfter Fees Foto gezeigt wird, beginnt ein turbulentes Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei und dem Jugendamt – und Baron Chucks Idee mit dem Erpresserbrief trägt nicht gerade dazu bei, die Situation zu verbessern.

Manchen Eltern mag die Ausgangssituation dieses Romans zu problembehaftet erscheinen. Für Kinder aus Vorlesefamilien dürfte Jamie-Lees Welt exotischer sein als die Geschichten aus Kiplings Dschungelbuch, obwohl sie vielleicht manchmal nur einen Steinwurf weit entfernt ist. Von daher sollten jüngere Kinder mit dem Buch nicht allein gelassen werden und Eltern bereit sein, auf Fragen einzugehen. Wenn aber ein Kind zum Beispiel gern die Kindernachrichten „logo“ schaut und vor gesellschaftlichen Problemen nicht die Augen verschließt, kann auch die gemeinsame Lektüre mit einer Achtjährigen schon ein großer Spaß sein. Spaß? Genau – denn „Entführung mit Jagdleopard“ ist alles andere als ein sozialkritisches Rührstück. Vielmehr ist es eine temporeiche Komödie voller irrwitziger Wendungen und auch großartiger Dialoge. Kirsten Boie lässt Jamie-Lee selbst erzählen, gibt dem Mädchen einen rotzig-naiven Tonfall, ohne sie dabei bloßzustellen. Überhaupt ist es eine große Leistung, dass auch Figuren wie die 48-jährige, ganz in Pink gekleidete Oma nicht zur Karikatur verkommen, sogar der versoffenen Mutter gibt der Roman noch einmal eine Chance. Kirsten Boie beschränkt sich nicht darauf, die Verwahrlosung in einer Prekariatsfamilie zu schildern, sondern zeigt sehr deutlich auf, wie lieblos auch die Milliardärstochter behandelt wird – oder der Gepard, der im Alter für den Zirkus wertlos geworden ist. Und dass der Supermarkt-Müll von einem Wachdienst vor hungrigen Augen und Händen geschützt wird, zeigt noch weitere Probleme unserer Zeit auf.

Kirsten Boies Figuren sind keine klassischen Kinderbuch-Helden. Doch mit all ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten wachsen sie einem schnell ans Herz – dem erwachsenen (Vor-)Lesern genauso wie dem jungen Selbst-Leser. Gemeinsam lacht man Tränen mit ihnen (nicht über sie!) und wenn es am Ende heißt, Abschied von einem der Akteure zu nehmen, fließen erneut Tränen.

Kirsten Boie: Entführung mit Jagdleopard. Oetinger Verlag 2015. 320 Seiten. 12,99 Euro. Empfohlen ab 10 Jahre

oehner_maxCoole alte Knacker

In einer echten Burg zu wohnen, könnte so cool sein! Gar nicht cool ist es, wenn sich diese Burg als Seniorenheim entpuppt. Max hat es an seiner neuen Schule nicht leicht, als sich herumspricht, dass er in einem Altersheim wohnt, weil seine Mutter dort arbeitet. Dass unter der strengen Fuchtel von Oberschwester Cordula hier von Rennen bis Pfeifen fast alles verboten ist, macht es kaum leichter. Glücklicherweise gibt es mit der ehemaligen Schauspielerin Vera, dem früheren Fußballtrainer Horst und Professor Kilian ein aufmüpfiges Seniorentrüppchen, das im Speisesaal an Tisch 7 sitzt und daher „Die wilde 7“ genannt wird.

Es dauert eine Weile, bis Max bemerkt, dass gerade diese drei Senioren gar nicht so uncool sind, wie er dachte. Und als eine rätselhafte Einbruchserie ausgerechnet Max‘ Mutter in den Focus der polizeilichen Ermittlungen rückt, stehen sie Max bei und klären gemeinsam mit ihm den Fall auf. Dabei kommen die unterschiedlichen Talente der Senioren zum Einsatz und auch Max erhält eine gehörige Portion Selbstbewusstsein – und voller Stolz wird er zum Mitglied der „Wilden 7“.

Im zweiten Band scheint es zu spuken auf Burg Geroldseck. Unheimliche Stimmen aus der Wand und eine gruselige Geisteroma sorgen für schlaflose Nächte –ausgerechnet jetzt, wo Max zeigen will, dass er fit für die Fußballmannschaft der Schule ist. Und dann legt sich Horst auch noch ausgerechnet mit dem Trainer der Schulmannschaft an und provoziert ein Fußball-Duell zwischen Schülern und Senioren.

Die neue Kinderbuchreihe „Max und die wilde 7“ des Autorenduos Dickreiter/Oelsner vereint Witz und Krimihandlung zum Mitraten mit der Erkenntnis, dass auch „alte Knacker“ was auf dem Kasten haben können. Die Figuren der Bücher sind echte Charaktere mit schrulligen Eigenheiten, es gibt also auch jede Menge Stoff zum gemeinsamen Schmunzeln und Lachen. Ganz unaufdringlich thematisieren die Bücher aber auch Aspekte wie die Freundschaft über Generationen hinweg, das Gefühl, Freunde zu haben, die einem möglicherweise auch ein wenig peinlich sind, und auch Mobbing in der Schule.

Für März 2016 ist der dritte Band angekündigt, in dem es gilt, einer Tierfänger-Bande das Handwerk zu legen.

Lisa-Marie Dickreiter / Winfried Oelsner: Max und die wilde 7. Band 1: Das schwarze Ass, 208 Seiten, 12,00 Euro. Band 2: Die Geisteroma, 272 Seiten, 12,00 Euro. Empfohlen ab 8 Jahre

heidelbach_roselDer stumme Schrei

An diesem Bilderbuch werden sich die Geister scheiden – mehrere Kinderbuchverlage wollten es nicht veröffentlichen. Dabei werden Bücher des Autors und Illustrators Nikolaus Heidelbach regelmäßig für Kinder- und Jugendliteraturpreise nominiert und mit Beltz & Gelberg hat er eigentlich seit den 1980er Jahren einen renommierten „Hausverlag“. Seine Illustrationen tragen eine sehr eigene Handschrift, setzen sich von der Niedlichkeit gängiger Titel ab. Er möchte Kinder fordern, ihre Phantasie auf Touren bringen und äußert eine sehr deutliche Meinung gegenüber den Regalmetern Lillifee und Co., die er als „Meer aus rosa Scheiße“ empfindet.

„Rosel von Melaten“ erzählt eine morbide, zaghafte Liebesgeschichte zwischen einem siebenjährigen Jungen und einem toten Mädchen – es erzählt vor allem aber von der Gewalt, die Kindern tagtäglich widerfährt: In der großen Stadt kommen Kinder auf tragische Weise ums Leben, ein Mädchen wird aus dem Fenster geworfen, ein verhungerter Junge in einem Gebüsch abgelegt, eine Mutter verbrennt sich und ihr Kind. Jedesmal wird in der Nähe ein Mädchen in weißem Kleid und mit roter Krawatte gesehen, das über dem Ort schwebt und schreit. Schnell beherrschen wieder andere Ereignisse die Nachrichten, doch Georg, der ganz in der Nähe des Melatenfriedhofs wohnt, will dieser Erscheinung auf den Grund gehen. Er hat das Mädchen über den Friedhof schweben sehen und macht sich nächtens auf die Suche nach ihr. Er findet eine seltsame Gruft mit einer Tür und einem Klingelschild, von hier geht es direkt in die Tiefe, in deren Grund sich ein Bett befindet. Wie selbstverständlich verbringt er eine Nacht im Bett neben dem stummen Mädchen, heimgesucht von gruseligen Traumwesen. Am Morgen darauf spricht das Mädchen erstmals mit ihm und stellt sich als Rosel von Melaten vor. Sie lädt ihn ein, in der nächsten Nacht wiederzukommen – wenn er sich traut. Nach und nach eröffnet sich Georg Rosels Schicksal: Auch sie ist eines gewaltsamen Todes gestorben und wacht jeweils bei Vollmond auf. Sie weiß, wo einem Kind Schreckliches zustoßen wird und sie versucht stets, das Unglück zu verhindern – aber stets kommt sie zu spät. Beim nächsten Mal will Georg ihr helfen…

Heidelbach erzählt die Geschichte ruhig und poetisch, mit tiefem Einfühlungsvermögen und großer Zärtlichkeit. Gleiches gilt für die Zeichnungen, die bei aller Düsternis und Alptraumhaftigkeit wunderschön sind.

Der zu Hoffmann & Campe zählende Atlantik Verlag listet den Titel als „Geschenkbuch“ und drückt sich so vor der schwierigen Aufgabe, eine Altersempfehlung abzugeben. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn zum einen könnten sehr empfindsame Kinder Alpträume bekommen, zum anderen könnten ältere Kinder ein Bilderbuch uncool finden. Ich habe das Buch gemeinsam mit meiner achtjährigen Tochter gelesen, aber das kann man sicherlich nicht pauschalisieren, denn sie ist interessiert an Nachrichten und hat einen Sinn für tragische Geschichten. Sie hat jedenfalls wichtige Nuancen wahrgenommen, die zum Verständnis des Endes wichtig sind und wir haben intensiv über die Geschichte diskutiert. Gerade solche Gespräche führen Erwachsene nicht gerne, denn sie öffnen einem die Augen gegenüber einer Welt, in der Babyleichen in Gärten verscharrt und Kleinkinder zu Tode geschüttelt werden. Tagtäglich lesen wir solche Meldungen in den Zeitungen, oft in wenige Zeilen verpackt. Nikolaus Heidelbach bringt das Leiden der Kinder, das oft ungesehen mitten unter uns geschieht, in unser Bewusstsein.

Nikolaus Heidelbach: Rosel von Melaten. Atlantik 2015. 64 Seiten, 20,00 Euro. Empfohlen ab ca. 10 Jahre und für Erwachsene

lueftner_KaffRotz ‘n‘ Roll Orphanage

Ein eher unkonventionell wirkender Berliner Kampfsportler mit raspelkurzem Haar, Bart und markigen Tattoos ist derzeit einer der umtriebigsten Akteure auf dem deutschen Kinderbuchmarkt: Der Streetworker, Pizzafahrer und Türsteher Kai Lüftner hat schon lange eine Affinität zum geschriebenen Wort und als Werbetexter oder Comedy-Autor gearbeitet – aber erst mit der Geburt des Sohnes reifte der Entschluss, Kinderbücher zu schreiben. Und zwar keine braven Kinderbücher, sondern solche mit Ecken und Kanten, mit anarchischem Witz. Seit seinem Kinderbuchdebüt mit „Die weltbeste Lily“ im Jahr 2012 sind nicht weniger als elf (!) Bücher von ihm erschienen – ohne dass er je in Gefahr geraten wäre, seelenlose Fließband-Massenware zu produzieren. Denn darunter sind die ersten Bände der „Milchpiraten“-Reihe und ein ungeheuer sensibles und dennoch kitschfreies Buch über Tod und Trauer („Für immer“). Und mit der CD „Rotz’n’Roll Radio“ lieferte er zudem noch der Beweis, dass Kinderliedern der Einfluss von Punk und Rock nicht schadet.

Ein weiterer Geniestreich ist Lüftners Reihe um eine Gruppe Waisenkinder: Da ist Kalle Ohnenamen, der gar nicht auf der Suche nach einem neuen Zuhause oder einer neuen Familie ist, sondern der auf der Suche nach seinem verschollenen Bruder schon 136 Waisenhäuser abgeklappert hat. Nun, bei Nummer 137 („Zur guten Hoffnung. Heim für schnell vermittelbare Kinder“), vermutet er eine heiße Spur. Doch gemeinsam mit Röschen, Theobald und Magda muss er schon bald nicht nur gegen die „untersympathische“ Heimleiterin Helene-Griselde Galgenstrick aufbegehren, sondern auch noch das Waisenhaus gegen die Abrisspläne des finsteren Grafen Arg von Hinterlist verteidigen. Damit hier nicht alles für ein Wellness-Paradies eingeebnet wird, benötigen die „Makel-Kids“ die Unterstützung eines wahrhaft irren Professors. Der Graf wird rasch zu einem verlässlichen Feind, der in allen drei Bänden den Kindern das Leben schwer macht.

Die Reihe vermag mit skurrilem Personal und kreativen Wortschöpfungen auch erwachsene Leser zu begeistern. Lüftner kalauert sich durch klingende Namen und bewusst schräge Bilder und hüpft von einem Wortspiel zum nächsten, ohne dabei den Fortgang der Handlung aus den Augen zu verlieren. Um den Humor in vollem Maße auskosten zu können, sollten die kleinen Leserinnen und Leser so um die acht Jahre alt sein und womöglich nicht zum ersten Mal mit Satire und Ironie in Berührung kommen.

Kai Lüftner: Das Kaff der guten Hoffnung. Band 1: Jetzt erst recht! Band 2: Ganz oder gar nicht! Band 3: Da geht noch was! Ars edition, je um die 200 Seiten, je 9,99 Euro. Empfohlen ab 8 Jahre

Mazetti_die_karlsson-kinderFünf Freunde auf Saltkrokan

Wenn Eltern verreisen und ihre Kinder sich sträuben, zur bislang unbekannten Tante auf eine einsame Insel geschickt zu werden, dann ahnen die Leser im Gegensatz zu den Buchhelden bereits, dass ihnen abenteuerliche Ferien bevorstehen. Die Karlsson-Kinder, das sind die Geschwister Julia und Daniella sowie ihre Cousins George und Alex. Die vier kennen sich nicht, bis sie ausgerechnet bei der weltfremden Künstlerin Frida einen gemeinsamen Sommer verleben sollen. Zunächst müssen sie verkraften, dass Tante Frida ohne Fernseher und fließend Wasser lebt, doch bevor Langeweile aufkommen kann, geschieht Merkwürdiges: Seltsame Lichter bewegen sich durch den nächtlichen Wald und die Lebensmittelvorräte scheinen sich in Luft aufzulösen. Zu allem Überfluss muss Tante Frida ihre Nichten und Neffen allein auf der Insel zurücklassen, weil am Festland offenbar Fälschungen ihrer Kunstwerke aufgetaucht sind.

Die schwedische Autorin Katarina Mazetti serviert in Ihrer Kinderbuchreihe einen Teller Fünf Freunde auf Saltkrokan – garniert mit Errungenschaften des 21. Jahrhunderts wie Internet und Handy. Die muntere Kindertruppe ist international besetzt und ihre Eltern gehen nicht ganz alltäglichen Berufen nach: Daniella ist neun Jahre alt und somit die Jüngste im Bunde. Wegen ihrer Figur wird sie „Hummel“ genannt. Ihre Schwester Julia ist 12 und eine richtige Leseratte. Die Eltern der beiden sind öfter auf Forschungsreise. Der elfjährige George ist der Sohn einer aufgedrehten Schauspielerin und in mancherlei Hinsicht sehr talentiert. Der in Frankreich aufgewachsene Alex hingegen entstammt einer Familie von Sterneköchen. Kein Wunder, dass er die anderen Karlsson-Kinder kulinarisch verwöhnt.

Mit viel Witz raufen sich die sehr unterschiedlichen Charaktere im ersten Band „Spukgestalten und Spione“ zusammen und kommen dabei sowohl den Kunstfälschern als auch dem Inselgeheimnis auf die Spur.

Die kleine Insel Doppingö steht auch bei den weiteren Abenteuern der Karlsson-Kinder im Mittelpunkt. Im zweiten Band hat sich Tante Frida in den Kopf gesetzt, eine Wombat-Zucht aufzumachen, im dritten geht es um einen vermeintlichen Wikingerschatz auf der Insel. In Band vier wiederum lernen die Kinder die Insel zum ersten Mal im Herbst kennen. Um Halloween herum gibt es Gruselgeschichten zuhauf und mit einer rätselhaften Einbruchserie auf dem Festland auch wieder einen spannenden Krimifall zu lösen.

Nach einem stets wiederkehrenden Erzählmuster muss Tante Frida in jedem der Romane die Kinder für eine Weile allein auf der Insel zurücklassen. In dieser Zeit müssen sich die Kinder ohne erwachsenen Beistand durchschlagen. Bislang kommt trotz dieses Wiederholungsmusters noch keine Langeweile auf, doch bleibt abzuwarten, wie viele Abenteuer Mazetti noch auf diesem räumlich sehr eingeengten Areal noch zu entwickeln vermag. So gibt es schon in Band 4 einige Passagen, die auf Handlungsstränge früherer Bücher verweisen – und zwar leider nicht, weil es dem Verständnis des aktuellen Buches diente, denn jeder Band ist in sich abgeschlossen. Vielmehr haben diese Passagen die Anmutung eines Werbeblocks.

Dennoch macht es große Freude, die Entwicklung der Charaktere und ihrer Beziehungen zueinander zu verfolgen – und mit Flüchtlingen und Schleusern werden auch hochaktuelle Themen aufgegriffen, ohne dass ein moralischer Zeigefinger im Vordergrund stünde. So wird es im für Februar 2016 angekündigten Band um Umweltverschmutzung gehen.

Katarina Mazetti: Die Karlsson-Kinder. Band 1: Spukgestalten und Spione. Band 2: Wombats und wilde Kerle. Band 3: Wikinger und Vampire. Band 4: Diebe und Dämonen. Dtv, jeweils um die 200 Seiten, 10,95 Euro. Empfohlen ab 7 Jahre

Parvela_24950_MR.inddDer Blog des Chaoten

Wer kennt sie nicht, die Geschichten von „Ella“, der weiblichen, finnischen Antwort auf den „Kleinen Nick“? Timo Parvelas Geschichten um eine chaotisch-liebenswerten Grundschulklasse atmen unzweifelhaft den Geist Sempés und haben auch im deutschsprachigen Raum eine treue Fangemeinde. Nun gibt es ein Spin-Off dieser Kinderbuchreihe, das Pekka, den Klassendödel, in den Vordergrund stellt. Parvela orientiert sich hierbei deutlich an den gerade auch bei Leseanfängern sehr beliebten comidurchsetzten Tagebuchromanen von „Gregs Tagebuch“ bis „Dein Lotta-Leben“.

Pekka hat von seinem Lehrer ein Heft zum Tagebuchschreiben ausgehändigt bekommen – aber so ein Blog im Internet ist doch viel cooler, findet er. Und so kommen die Leser nun in den Genuss seiner Fettnäpfchentretereien aus allererster Hand – inklusive der Chat-Dialoge mit seinen Freunden. Während bei „Gregs Tagebuch“ ein großer Reiz darin besteht, dass der Protagonist immer wieder mittels comichafter Zeichnungen und Kritzeleien erzählt, sind die Bilder in diesem Buch reine Illustrationen des Textes, die nicht aus Pekkas Feder stammen. Sprachlich kann dieses Buch natürlich nicht an die Ella-Bände heranreichen, schließlich wird hier sehr überzeugend aus der Perspektive des kleinsten Lichtes erzählt. Dafür ist der Spaß bei den jungen Lesern umso größer, wenn Pekka Redewendungen wörtlich nimmt und einfach alles falsch versteht – das aber selbst oft gar nicht mitbekommt. Das Lachen aus dem Kinderzimmer beweist jedenfalls, dass Parvela seine Zielgruppe erreicht.

Timo Parvela: Pekkas geheime Aufzeichnungen – Der komische Vogel. Deutsch von Anu und Nina Stohner. Hanser, 104 Seiten, 9,90 Euro. Empfohlen ab 8 Jahre

teller_kriegVerkehrte Welt

Angesichts von Flüchtlingsströmen und erstarkendem Nationalismus in Europa ist dieses Buch, das die dänische Autorin Janne Teller (bekannt durch „Nichts“) bereits 2004 schrieb, erschreckend aktuell. Ihr Buch gewordenes Gedankenspiel schildert eine Situation, in der das europäische Gefüge auseinander bricht und im Krieg versinkt. Die Übersetzerin hat die Handlung von Dänemark nach Deutschland verlegt; das ist sinnvoll, denn der Reiz dieses Buches besteht gerade in der Umkehrung unserer gewohnten Verhältnisse: Während in Europa das Chaos herrscht, Häuser zerbombt und Verwandte getötet werden, wird die arabische Welt zum Sehnsuchts- und Zufluchtsort. Doch hier herrschen Ablehnung und Misstrauen gegenüber den Asylsuchenden. Sie wollen sich nicht integrieren, wissen sich nicht zu benehmen und haben zudem den falschen Glauben…

Janne Tellers Erzählung steht in der Tradition klassischer Anti-Utopien. Ihre Gegenwelt erschafft sie aber nicht in einer fernen Zukunft oder einem entlegenen Ort, sondern kehrt die bestehenden Verhältnisse einfach um. Dieser Perspektivwechsel ist weitaus effektiver als jede gut gemeinte Aufforderung, sich mal in die Lage eines Flüchtlings hineinzuversetzen. Janne Teller konfrontiert die Flüchtenden in Ägypten mit ähnlichen Ressentiments und Problemen, wie sich syrische Flüchtlinge aktuell in Europa ausgesetzt sehen. Nicht nur die Sprache, auch die dazugehörige Schrift muss neu erlernt werden, das Asylverfahren zieht sich mit immer neuen Befristungen in die Länge, und die Sehnsucht nach der alten Heimat bleibt auch nach Jahren noch ein ständiger Begleiter.

Die Autorin redet den Leser unmittelbar mit „Du“ an und erzeugt dadurch eine unmittelbare Nähe. Weil aber dieses „Du“ sehr deutlich einen männlichen Jugendlichen anspricht und weibliche Figuren eher am Rand stehen, werden jugendliche Leserinnen einer eindeutigen Identifikationsfigur beraubt, was die eindringliche Wirkung des Szenarios für diese Zielgruppe schmälert.

In der aktuellen Diskussion um Asyl- und Menschenrecht kann das schmale Bändchen mit seinen eindringlichen Illustrationen möglicherweise neue Impulse geben, und dort Empathie wecken, wo bislang Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung herrschen.

Janne Teller: Krieg: Stell dir vor, er wäre hier. Deutsch von Sigrid C. Engeler. dtv, 64 Seiten, 5,00 Euro. Empfohlen ab 12 Jahre

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