Geschrieben am 1. September 2016 von für Kinderbücher, Litmag

KidBits: Neue Bücher für Kinder

Kirsten Boie_Thabo_1Miss Marples Enkel in Afrika

– Kinder aller Altersklassen lieben die Bücher von Kirsten Boie, seien es die Geschichten um das Meerschweinchen „King-Kong“, die Erlebnisse der „Kinder aus dem Möwenweg“, die Abenteuer des „Kleinen Ritter Trenk“, die Kaperfahrten des „Seeräuber-Moses“ oder einen der zahlreichen Einzeltitel. Nun hat sie eine neue Reihe ins Leben gerufen, in der sie ein Herzensprojekt mit kindgerechter Krimihandlung verknüpft: „Thabo – Detektiv und Gentleman“ spielt in einem fiktiven südafrikanischen Königreich, das allerdings eng an Swasiland angelehnt ist. Kirsten Boie engagiert sich seit einigen Jahren für AIDS-Waisen im zweitkleinsten afrikanischen Land, die von ihr gegründete  Möwenweg-Stifung legt hier einen wichtigen Schwerpunkt ihrer Arbeit. 2013 verarbeitete die Autorin erstmals ihre Erfahrungen aus Swasiland im hochgelobten Geschichtenband „Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen“. Weil die geschilderten Kinderschicksale in erschütterndem Kontrast zur hiesigen Rundum-Versorgt-Kindheit stehen, wird dieses Buch erst ab 14 Jahren empfohlen.

Mit „Thabo“ bringt sie nun Afrika jüngeren Kindern unterhaltsam und spannend näher. Der Junge Thabo wohnt bei seinem Onkel Vusi in den Ranger-Quartieren der „Lion Lodge“. Hier gibt es sogar Strom, im Gegensatz zu den Hütten im Dorf, wo Thabos Freund Sifiso lebt, der sich nach dem Tod der Eltern allein um seine drei kleineren Geschwister kümmert. Weil die Ranger-Unterkünfte näher an der Lodge liegen als an den übrigen Hütten des Dorfes, genießt Thabo das Privileg, fast wie ein Familienmitglied der Lodgeleitung aufgewachsen zu sein. Mit deren Tochter Emma hat er früher immer gespielt, bis sie auf ein Internat in England geschickt wurde  – doch in den Ferien wird sie zurückkommen. Emmas Tante Agatha wohnt in einem vornehmen Cottage gleich hinter der Lodge und Thabo hilft ihr nicht nur bei SMS und Internet, sondern schaut regelmäßig mit der alten Dame Krimis, vorzugsweise alte Miss Marple-Filme. Aus diesen Filmen bezieht der Junge auch seine beiden Berufswünsche, entweder Gentleman oder Privatdetektiv zu werden. Doch als Privatdetektiv hat man es nicht leicht auf „Lion Lodge“, denn hier passiert nie etwas. Das ändert sich schnell, als am Ende einer Pirschfahrt ein totes Nashorn aufgefunden wird – und durch eine ungünstige Indizienlage wird ausgerechnet der gutmütige und nicht ganz so helle Ranger Vusi von der Polizei der Wilderei verdächtigt. Keine Frage, dass Thabo und seine Freunde alles daran setzen, diesen Fall aufzuklären. Die Ermittlungsarbeiten gestalten sich als keinesfalls leicht, weil Emma und Sifiso sich gegenseitig eifersüchtig um die Freundschaft Thabos streiten, und weil Sifisos kleinste Geschwister Pilot und Lemonade allerlei Unruhe stiften. Dennoch stoßen die Kinder bald auf Spuren, die der Polizei entgangen sind.

Kirsten Boie_Thabo_2Kirsten Boie gelingt ein spannender Krimi mit falschen Fährten und scheinbar aussichtslosen Situationen – allerdings immer kindgerecht erzählt und in einem gedrosselten Tempo, das sich durchaus an Agatha-Christie-Romanen orientiert. Ganz nebenbei zeichnet sie ein sehr lebendiges Bild Afrikas, sei es in der Schilderung einer Safari durch eine von artenreicher Flora und Fauna geprägte Landschaft, sei es in der Beschreibung von Sifisos windschiefer und regengeschädigter Lehmhütte. Dabei wird Afrika nie zur exotischen Kulisse eines Kinderkrimis, sondern man merkt, dass Kirsten Boies Afrika dem eigenen Erleben entspringt. Sie betreibt kein Name-Dropping auf der Grundlage von Merian-Heften, sondern weiß ganz genau, worüber sie schreibt.

In Thabos zweitem, noch druckfrischem Fall geht es um das mysteriöse Verschwinden von Kindern und die Hintergründe sind ähnlich traurig und realitätsnah wie im Fall der Nashornwilderei. Doch keine Angst: Auch diesen Fall lösen die Kinder mit Witz und Köpfchen.

Kirsten Boie: Thabo – Detektiv und Gentleman. Band 1: Der Nashorn-Fall. Band 2: Die Krokodil-Spur. Oetinger-Verlag. Hamburg 2016. Je ca. 300 Seiten, geb., 12,99 Euro. Ab 10 J.

cov_978-3-314-10361-2_CS6_001.inddKein leichter Stoff

Das Thema Flucht ist derzeit allgegenwärtig und längst im Alltag unserer Kinder angekommen: Anspruchsvolle Kinderbücher versuchen, sich dem schwierigen Komplex zu nähern. Die 1991 in Sardinien geborene Illustratorin und Autorin wagt sich dabei an die ganz junge Zielgruppe heran – zumindest empfiehlt der Verlag das Bilderbuch ab vier Jahren.

Francesca Sanna studierte Illustration und Design in Calgari und absolvierte den Masterstudiengang Illustration an der Hochschule Luzern. Wie sie in einem kurzen Nachwort erläutert, entstand dieses Buch während des Masterstudienganges. Die Begegnung mit zwei Mädchen in einem italienischen Flüchtlingszentrum inspirierte sie, Fluchtgeschichten von Menschen verschiedenster Länder zu sammeln. Aus diesen vielen Einzelschicksalen hat sie dann Elemente zu einer Geschichte zusammengefügt.

Das Buch beginnt mit einer friedlichen Strandszenerie mit Sandburgen und -Moscheen. Ein namen- und geschlechtsloses „Ich“ erzählt vom Leben in einer Stadt am Meer, auf den Illustrationen ist sowohl ein Mädchen wie auch ein Junge zu sehen, so dass sich beide Geschlechter mit der Erzählstimme identifizieren können. Die Familie hat im Sommer viele Wochenenden am Strand verbracht, doch dann brach Krieg aus und diese Zeit ist vorüber. Der Krieg „nimmt den Vater weg“ und alles wird dunkler. Mutter und Kinder hören Erzählungen von einem Land mit Bergen, in dem man in Sicherheit sei und sie machen sich auf den Weg. Zunächst mit eigenen Koffern im Auto, später in immer einfacheren Gefährten und mit immer weniger Gepäck führt sie die Reise zu einer streng bewachten Grenze. Es folgen Begegnungen mit Grenzern und Schleusern, es geht übers Meer und auch danach noch weiter. Sannas Buch endet nicht mit einer Ankunft, es bleibt offen, aber voller Zuversicht, dass am Ende der Reise eine neue Heimat und Frieden stehen könnten.

Die Sprache des Buches ist einfach, die Sätze sind zumeist sehr kurz. Die Zeichnungen sparen die Schrecken des Krieges aus, er wirkt jedoch als schwarze Fläche, die nach den Sandburgen greift, nicht minder bedrohlich. Traumhafte Elemente, wie die Tiere, die die Kinder in jenem verheißungsvollen Land vermuten, mischen sich unter die Realität. Aufmerksame Kinder entdecken diese Details, wie die Tränen der Mutter, die erst fließen, als sie ihren Kindern in den Schlaf geholfen hat.

Mit der Lektüre erfahren Kinder, woher die „Fremden“ in Kita und später Schule kommen, was der abstrakte, das Tagesgespräch beherrschende Begriff „Flucht“ tatsächlich bedeutet. Man wird aber nicht umhinkommen, mit pfiffigen Kindern über das Risiko sprechen zu müssen, selbst von Krieg und Flucht bedroht zu sein. Ältere Kinder lassen sich womöglich nicht mehr so gern auf ein Bilderbuch ein, doch auch unsere Neunjährige ließ sich von der Geschichte und den Bildern beeindrucken. Sie ist übrigens der Überzeugung, dass das Buch für kleine Kinder zu traurig sei …

Francesca Sanna: Die Flucht. Deutsch von Thomas Bodmer. Nord-Süd-Verlag. 48 Seiten, 14,99 Euro.

brenzin_knickerbockerSpannung rund um die Welt für junge Selbstleser

Durch meine Tochter bin ich auf eine Kinderbuchreihe aufmerksam gemacht worden, die es tatsächlich schon seit den 1990er Jahren gibt und es im Laufe der Jahre auf 63 Bände und zahlreiche Sondereditionen vom Ratekrimi bis „Knickerbocker Junior gebracht haben. Aktuell werden ausgewählte Bände neu aufgelegt.

Die „Knickerbocker“ sind die Jungen Axel und Dominik sowie die Mädchen Lilo und Poppi. Mit ihren unterschiedlichen Talenten und Eigenschaften sind sie ein perfektes Team, wenn es darum geht, rund um die Welt Geheimnisse zu lüften und Kriminalität zu bekämpfen. Dabei ist Klotzen statt Kleckern das Motto des österreichischen Autors: Die Fälle haben nichts mit der Lebenswirklichkeit von Kindern zu tun, sondern es geht um Mumien, Geisterzüge, Werwölfe oder Schneemonster. Ein Hauch von James Bond oder Indiana Jones für Kinder weht durch die Bücher. Im aktuellen Band „Der Schatz der letzten Drachen“ verschlägt es die Vier nach Indonesien auf die Insel Komodo. Als wenn die echten Komodo-Warane nicht schon erschreckend genug wären, tauchen auch noch feuerspeiende Roboter-Warane auf.  Leider hält sich Brezina nicht lange mit der Beschreibung von Land und Leuten auf, die Kulisse ist beinahe austauschbar und die Chance, den jungen Lesern einen kleinen Einblick in fremde Kulturen zu bieten, lässt er ungenutzt verstreichen. Die Schauplätze bleiben lediglich – mehr oder weniger – exotische Kulisse. Insgesamt ist die Erzählweise eher schnell und die Sprache einfach. Gerade das kommt aber jungen Leserinnen und Lesern, die an Feen- und Fußballgeschichten für Erstleser keinen Gefallen finden aber auch noch nicht die Geduld für „dicke Bücher“ aufbringen, sehr entgegen.  Das sehr großzügige Schriftbild und die zahlreichen Illustrationen führen schnell zum Erfolgserlebnis, ein Buch mit 170 Seiten gelesen zu haben.

Unsere Tochter jedenfalls hat die „Knickerbocker“ ins Herz geschlossen und sie zählt ja schließlich zur Zielgruppe …

Thomas Brezina: Die Knickerbocker-Bande. Band 10: Der Schatz der letzten Drachen. Ravensburger. 170 Seiten. 8,99 Euro.

Torben Kuhlmann- Armstron_die abenteuerliche Reise einer Maus zum MondTorben Kuhlmann-Armstron_die abenteuerliche Reise einer Maus zum MondGraphic Novel im Kinderzimmer

Aus einer Examensarbeit heraus ist im Jahr 2012 ein beeindruckendes Bilderbuch erschienen, das nicht weniger als die Geschichte der Luftfahrt anhand einer kleinen Hamburger Maus erzählt.  „Lindbergh“ war ein Riesenerfolg für den 1982 geborenen Torben Kuhlmann und wurde mittlerweile in über 20 Sprachen übersetzt.  Nachdem er mit seinem zweiten Buch „Maulwurfstadt“ die Unterwelt erkundet hat, greift er nun wieder in den Himmel, gar bis zu den Sternen: Der Held des aktuellen Buches ist wieder eine kleine Maus, ein Forschergeist, der nicht wahrhaben will, dass der Mond ein großer Käse ist, wie es alle anderen Mäuse glauben. Die Maus schleicht sich in Vorlesungen an der Uni ein, studiert in Bibliotheken das Wissen der Menschheit. Sie bastelt sich einen Raumanzug und verschiedene Fluginstrumente, mit denen sie die Reise auf den großen Käse wagen will. Hierbei muss sie einige Rückschläge einstecken und zu allem Überfluss ist ihr der amerikanische Geheimdienst auf den Fersen.

Wie schon die Vorgänger ist auch „Armstrong“ ein Buch, das Kinder wie Erwachsene gleichermaßen zu begeistern vermag. Die Story ist gespickt mit Anspielungen auf die tatsächliche Geschichte der Raumfahrt, sie nähert sich mit Spannung und Witz der Naturwissenschaft. Vor allem aber sind es die Illustrationen, die in ihrer naturalistischen Anmutung die Tiere nicht kindlich verniedlichen und sich mit anspruchsvollen Graphic Novels für Erwachsene durchaus messen können. Ein kleiner Schritt für eine Maus – aber eine großartige Lektüre für alles Altersklassen.

Torben Kuhlmann: Armstrong – Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond. Nord-Süd-Verlag, 128 Seiten, 19,99 Euro.

fuchs_schmidt_MiesepupsJeder darf Macken haben

Vielleicht ist es ein Wahrnehmungsfehler, aber es hat den Anschein, dass in letzter Zeit häufiger Autoren, deren Werk ich als erwachsener Leser schätze, sich auf das Terrain der Kinderliteratur begeben. Nach Markus Orths und Annika Scheffel nun Kirsten Fuchs, eine Autorin, die aus dem Poetry-Slam- und Lesebühnenumfeld stammt und mit trockenem Humor zu überzeugen weiß. In diesem Jahr erhielt sie den Förderpreis Komische Literatur und ihr aktueller Roman „Mädchenmeute“ war für den Jugendliteraturpreis nominiert. Mit dem „Miesepups“ wendet sie sich nun an die ganz Kleinen:

Der Miesepups ist ein missgelauntes Wesen, das die Grafikerin Cindy Schmid in Collagetechnik als rundliche Moosgestalt angelegt hat. Er haust in einer Baumhöhle, in der er seit seinem Einzug niemals aufgeräumt hat. Wenn er gegen Mittag aufwacht, stolpert er über leere Flaschen und kaputte Schuhe – doch er kann sich nicht aufraffen, zum Schuster zu gehen oder das Leergut wegzubringen. Die Welt außerhalb seiner Höhle ist ihm zu hell und die fröhlichen Tierchen, die eines Tages vor seiner Höhle spielen, will er am liebsten auch sofort verjagen. Da trifft es sich, dass ihm eines Tages eine Fee erscheint. Der Miesepups muss feststellen, dass es mit dem Ausformulieren der richtigen Wünsche nicht ganz so leicht ist, denn das Nakinchen und das Heichörnchen verschwinden zwar tatsächlich, doch das Kucks taucht jeden Tag aufs Neue auf, um dem Miesepups zu helfen. Mit Beharrlichkeit und mithilfe der Fee, die jeden Wunsch sehr eigen interpretiert, bringt sie den Griesgram schließlich dazu, die vermüllte Höhle zu verlassen und sich des Lebens zu freuen.

Als erwachsener (Vor-)Leser erkennt man die Handschrift und den Tonfall von Kirsten Fuchs sofort wieder, diesen lakonischem Humor und diesen entlarvenden Blick auf die Skurrilitäten des Alltags – auch wenn es hier um den Alltag in einem äußerst merkwürdigen Wald geht. Als Erwachsener kann man dieses Bilderbuch auch als Beschreibung einer Depression deuten – Kinder werden im Miesepups sicherlich nur den freudlosen Erwachsenen sehen, der über Kinderlärm klagt und der das Lachen verlernt hat.

Schade an dem Buch ist eigentlich nur, dass der Verlag, der seinen Lesebühnen-Büchern und auch manchem Kinderbuch CDs beigefügt hat, diesmal hierauf verzichtet. Ich hätte diese Geschichte gerne aus dem Mund der Autorin gehört.

Kirsten Fuchs/Cindy Schmidt: Der Miesepups. Voland & Quist. 40 Seiten, 14,90 Euro. Empfohlen ab ca. 4 Jahren. Leseprobe.

Frank Schorneck

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