Geschrieben am 27. August 2014 von für Litmag, Porträts / Interviews

Kerstin Grether im Gespräch über ihren Roman „An einem Tag für rote Schuhe“

kerstinLeidenschaft für Musik und Texte

Kerstin Grether ist Mitherausgeberin der Buchhommage „Madonna und wir“ und war eine der Organisatorinnen der Berliner SlutWalk-Demonstrationen. Sie ist außerdem Sängerin und Songwriterin bei Doctorella und arbeitet seit ihrer Jugend als Popkultur-Journalistin, derzeit u.a. wieder für „Spex“. CULTurMAG hat sich mit ihr über den neuen Roman „An einem Tag für rote Schuhe“ unterhalten.

Die Harmonielehre hat Clarissa, besser bekannt als Lilly Vegas, kein Glück gebracht: Die Sängerin des Electro-Swing-Duos Café Prag ist aus heiterem, nur ganz leicht bewölktem Himmel von ihrer großen Liebe Ivor verlassen worden. Mit ihm verlor die in Berlin lebende Deutsch-Britin auch den letzten musikalischen Verbündeten. Es ist ein langer Winter, und es ist noch nicht mal Weihnachten, da nimmt das Drama seinen Lauf…

Auch im Nachfolgeroman zu ihrem Debüterfolg „Zuckerbabys“ erweist sich Kerstin Grether als Meisterin des Tabubruchs mit poetischem Nachhall. „An einem Tag für rote Schuhe“ ist sowohl ein melancholisches Wintermärchen als auch ein Aufruf zur Revolte. Ein atmosphärisch dichter, psychologisch feinsinniger Roman, eine lyrisch-überdrehte Feier von Freundschaft, Rock´n´Roll, Queerness, Mut, Zusammenhalt und Exzentrik. „An einem Tag für rote Schuhe“ ist leuchtendes Manifest gegen die allgegenwärtige Rape Culture. Wie nebenbei wird das Musikgeschäft präzise beschrieben, wie es seine weiblichen Genies auflaufen lässt, sie in den Wahnsinn treibt und mit Gewalt an tradierten Geschlechternormen festhält.

Du bzw. Ihr (du und Sandra) seid ja seit Langem in verschiedenen Bereichen unterwegs: Ihr seid Journalistinnen, Autorinnen, Musikerinnen, wollt eine Musikschule gründen – was treibt euch an?

Die Leidenschaft für Musik und Texte! Das aufregende Gefühl, etwas selbst gestalten zu können. Ich fühle ein Kunstwerk in mir, und das muss raus. Sandra geht es genauso. An diesem Punkt sind wir uns wirklich ähnlich. Man fühlt einen Text, einen Song, einen ganzen Roman in sich und kann gar nicht anders, als sich ihm zu nähern. Das ist der stärkste Antrieb. Dass man im einen Moment denkt, ich möchte mal einen Song darüber schreiben, dass ich noch nie am Meer war. Und ein halbes Jahr später steht man auf der Bühne und singt diesen Song schon. Es gibt ihn dann wirklich, obwohl er doch zunächst nur eine Fantasie war. Das ist dann womöglich toller, als tatsächlich ans Meer zu fahren. Es macht mir auch wirklich Spaß, die Kunstwerke anderer zu rezipieren, wie im Journalismus, oder sie zu inspirieren und Techniken weiterzugeben. Deshalb die Schule.

Ihr schreibt (wieder) für die Spex – hat sich eurer Ansicht/Erfahrung nach in den letzten Jahren für weibliche MusikschreiberInnen etwas geändert? Positiv sogar? Oder eher nicht?

Ich habe das Gefühl, es werden wieder weniger Frauen, die ernsthaft Musikjournalismus betreiben. Nachdem es eine Zeitlang mal so aussah als würden es mehr. Neulich meinte der Promoter einer großen Plattenfirma zu mir: „Das gibt’s doch nicht, dass wieder keine einzige Frau ein Interview mit Jan Delay gemacht hat.“ Ähnliches habe ich auch von Musikern selber schon gehört. Ich erinnere mich an keine Frau, die sich im deutschen (Musik-)Feuilleton zum letzten Morrissey-Album geäußert hat. Die ganzen musikalischen Großthemen, die werden wieder hauptsächlich von den Männern verhandelt. Auffallend ist auf jeden Fall, dass Musikjournalistinnen selten Redaktionsposten haben.

Aber man muss sich leider auch mal die Frage stellen: was ist eigentlich besser, wenn Frauen über Musik schreiben? Außer dass eben geschlechtergerecht ist. Oft wärmen Musikschreiberinnen aber ja auch nur die üblichen Klischees auf. Ich muss auch sagen, dass die meisten Musikjournalistinnen mir nicht gerade dadurch auffallen, weibliche Künstler zu unterstützen oder sie wenigstens mehr nach musikalischen Kriterien zu beurteilen. Ganz im Gegenteil: gerade unter Feministinnen ist es ja zur Gewohnheit geworden, Musikerinnen nur danach zu beurteilen ob sie gute Role Models sind oder nicht. Musik und musikalische Leistung und überhaupt ästhetische Kriterien kommen zu kurz. Letztendlich läuft es bei einem Pop-Journalismus, der sich immerzu auf die Role-Model-Frage zuspitzt, und vergisst, dass es doch ursprünglich mal darum ging, Musik zu hören, darauf hinaus, die Musikerin darauf abzuklopfen ob sie eine „gute“ Frau, ein gutes Vorbild ist oder nicht.

Bei Musikern leitet man vorwiegend aus der Musik ab, wer sie sind und wofür sie stehen. Bei Musikerinnen aus dem Aussehen/Style und der ein oder anderen „frechen Message“. Die Pose wird niemals der Eigenständigkeit des Sounds entnommen. Also eine „Frauen“-Kritik, statt eine Musik-Kritik. Da müssen auch Feministinnen mal ein bisschen aufpassen. Die Musik von Gossip ist sensationell, geradezu mathematisch ausgetüftelt ist das Verhältnis von Gitarren zu den Synthies. Die Art wie sie Gitarren mit Elektronik verbinden war neu. Aber alle reden nur darüber, dass die Gossip-Sängerin Beth Ditto so ein gutes Role Model ist, weil sie „so dick“ ist. Im Endeffekt hat man sie dann doch auf ihren Körper reduziert – nur anders gewertet. Aber warum sollen Körper überhaupt gewertet werden?

„It takes two“ von Gossip ist meiner Meinung nach das „Smells like Teen Spirit“ unseres Jahrzehnts – aber keiner redet über die Musik. Der Role-Model-Musik-Journalismus behandelt Musik als Mittel zum Zweck, als wäre sie nur dafür da, einen besonders coolen Style zu transportieren. Es sollte aber so sein, dass die Musik der Grund ist, warum wir den Style interessant finden. (Auch wenn er nicht cool ist).

rote schuheDie Hauptfigur des Romans ist Sängerin einer Band – aber keineswegs „nur“ das singende Aushängeschild. Wie beobachtest du die heutige Poplandschaft – sind die weiblichen Stars heutzutage stärker und selbstbewusster als früher oder tappen viele noch in die Klischeefalle des singenden, hübschen Dummchens?

Um heutzutage als Sängerin durchzukommen muss man künstlerisch und handwerklich schon einiges draufhaben. Der Typus des Mädchens, das sich eher übers Aussehen definieren will, ist glaube ich eher ins Modelfach abgewandert. Oder versucht sich als TV-„Sternchen“.

Das Problem ist meiner Meinung nach, dass gut aussehende Sängerinnen musikalisch nicht so ernst genommen werden. Zu Tode begehrt werden. Das ist z.B. ein Problem meiner Protagonistin. Das Paradox dabei ist natürlich, dass eine Sängerin auch Begehren transportiert, und daher ein Aussehensdruck herrscht, denn Begehren geht ja bei vielen Leuten übers Aussehen. Das große Problem von Lilly Vegas ist ja, dass man ihr zugesteht eine tolle Stimme zu haben und eine tolle Performance hinzulegen, aber eben sonst nichts. Dass sie aus den Tiefen ihres Unbewussten diese Songs nach oben befördert, sie selber schreibt usw., das kriegt gar keiner mit. Selbst die Jungs in ihrer Band sehen sie nur als „Aushängeschild. Alles andere würde ihr eigenes musikalisches Selbstverständnis ins Wanken bringen. Also in die Klischeefalle tappt heutzutage eher das Umfeld der Sängerin als die Sängerin selber.

Möchtest du mit deinem Buch „warnen“ oder Mut machen? Oder beides? Es geht ja sehr stark darum, dass die Protagonistinnen ihrem Talent/ihrer inneren Stimme folgen und ihre Pläne weiterverfolgen statt aufzugeben.

Ja, das ist schön, wie ihr das zusammenfasst. Das will ich! Ermutigen. Und die Leute zum Nachdenken bringen. Das Buch richtet sich auch ganz allgemein gegen eine zu klischierte Auffassung der Wirklichkeit. Das ist vielleicht die allerallgemeinste Klammer um dieses Buch, das ja genaugenommen viele Geschichten erzählt. Es ist nicht so einfach, der inneren Stimme zu folgen, wenn man mit einem Kübel Klischees übergossen wird. Mich selber beruhigt es immer, wenn ich analysieren kann, in welcher Welt ich lebe: Aha, das ist also die RapeCulture. Das schauen wir uns mal genauer an. Deshalb möchte ich mit „An einem Tag für rote Schuhe“ warnen und Mut machen zugleich. Aber natürlich auch unterhalten. Man kann auch einfach den Sound genießen.

Auffallend sind deine poetischen Bilder/Beschreibungen, z.B. wie Lilly Vegas wie von einer Malerin aus den Zwanziger Jahren gemalt“ im Café sitzt. Formst du erst solche Bilder oder schreibst du in längeren Zusammenhängen?

Ich habe eine sehr bildhafte Art zu denken. Die Metaphern fallen mir beim Schreiben in längeren Zusammenhängen spontan ein. Das ist eine assoziative Gabe, ohne die ich mir wahrscheinlich den Beruf der Schriftstellerin nicht zutrauen würde. Die Metaphern, Bilder, Ebenen laufen mir einfach zu. Sie müssen spontan einleuchten um zu wirken. Ich arbeite aber schon durchaus mal länger an einer Metapher und arbeite sie in verschiedene Richtungen aus.

Deiner Protagonistin geht es ja teilweise sehr schlecht, sie hat Psychosen – hattest du manchmal Bedenken, der Stoff könnte zu heftig werden?

Ja, die ganze Zeit. Als ich mit dem Roman angefangen habe, hatte ich ja schon das Gefühl, das Thema Schulhofmobbing sei zu krass. Ich dachte, die Geschichte über die Mädchen, die auf dem Schulhof gemobbt werden, nicht nur von den Schüler_innen, sondern auch von den Lehrer_innen, sei unglaubwürdig. Viel zu krass. Aber anstatt abzurüsten, habe ich eher aufgerüstet und noch mehr krasse Geschichten dazu genommen. So nach dem Motto: wenn schon Mobbing, dann aber auch sexualisierte Gewalt, dann aber auch Psychose, dann aber auch Frauen im Musikgeschäft. Weil es viele solcher Außenseitergeschichten zu erzählen gibt. Und weil diese Erfahrungen ineinander greifen. Aber jetzt zieht sich da so ein wärmender lustiger Veränderungsspirit durch das Buch. So ganz viel Liebe und Zusammenhalt auch. Das ist auch schon wieder krass. Wenn auf der einen Seite ganz viel Heftiges passiert, kann auf der anderen Seite eben auch ganz viel Schönes passieren. Aber eben nicht, in dem man das Heftige verharmlost, sondern in dem man es gemeinsam bekämpft. Und dann gibt es ja noch die Tanz- und Feier-Ebene in dem Buch…

Vielen Dank für das Gespräch!

Kerstin Grether: An einem Tag für rote Schuhe. Ventil Verlag, 1. Auflage erschienen Mai 2014. Gebunden, 368 Seiten. Zur Homepage von Kerstin Grether.
Kerstin Grether liest aus „An einem Tag für rote Schuhe“:
Hamburg, Hanseplatte, 13.9. (mit Musik: Doctorella + Helikon),
Gelsenkirchen, Flora, 20.9.,
Berlin, Laidak, 23.10.

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