
Von der Natur der Bilder
– Ein Spagat zwischen Jiro Taniguchi und Hiromi Kawakami: „Der Himmel ist blau, die Erde ist weiss“ von Charlotte von Bausznern.
Jiro Taniguchi ist eigentlich gar kein japanischer Mangaka mehr. Denn wenn japanische Mangas aus großen Kulleraugen gucken und mit Hochgeschwindigkeit Gefühlsausbrüche feiern, dann sind die Erzählungen von Jiro Taniguchi das pure Gegenteil. Aber ganz so einfach ist es dann zum Glück ja doch nicht.
Das erste Bild bei Taniguchi ist fast immer der Fuß des Protagonisten, der ins Panel tritt, in seine Geschichte. So auch Tsukiko, diese junge Frau mittleren Alters, die gerne allein den Abend in Bars oder Restaurants verbringt und dort von ihrem ehemaligen Japanischlehrer angesprochen wird. Tsukiko ist keine blendende Schönheit, herrlich schnippisch, genießerisch, „nicht immer nur hübsch“, aber sinnlich.
Einen Roman adaptieren
Nun (das heißt: 2008 im Original, 2010 auf Französisch, 2011 auf Deutsch) hat Taniguchi sich also an eine Romanadaption und mit ihr an eine Protagonistin gewagt, den Roman lieferte Hiromi Kawakami.
mehr 1 // Allein mit der Titelvergabe könnte hier ein ganzer Absatz gefüllt werden, ich versuchs mal in einem Satz: Denn es ist ja schon verwunderlich, dass ein Original mit dem Titel „Sensei no kaban“, die Tasche des Sensei, die den ersten Moment des Lesens mit dem der letzten Seiten verbindet und damit höchst symbolkräftig alles umdeuten kann, zusammenfassend stilisiert zu sanften Jahren wird („Les annés douces“) und bei uns den Haiku feiert, um gleich im Titel die kulturelle Herkunft anzuzeigen („Der Himmel ist blau, die Erde ist weiss“) – aber zumindest bezieht sich der letzte auf eine durchaus zentrale Stelle in der Erzählung. Die bildliche Präsenz der titelgebenden Tasche des Sensei geht damit ebenso unter wie ihre Deutungsschiene. Jetzt ist es doch ein Absatz geworden.
Tatsächlich gehen die zeichnerische Präzision Taniguchis und die detaillierte Beschreibung Kawakamis Hand in Hand. Taniguchi visualisiert Sätze: Man meint, in den einzelnen Szenen eine Verbildlichung eines Satzes zu lesen, dann begreift man, dass man selbst Sätze formuliert für das, was man sieht, hört – der Wind in den Blättern, die Schatten und Nachtlichter der Stadt. Und in der Entschreibung, in der Umkreisung emotionaler Zustände sind Kawakami wie Taniguchi kunstvolle Jongleure. Dabei wahrt Taniguchi stets eine bestimmte Distanz zu seinen Figuren, während in Kawakamis Erzählung die Intimität des Lesers mit jener der Figuren wächst. In einer der eindrücklichsten Passagen, dem Traum oder der Volltrunkenheit im Watt, da packt Taniguchi den Raum und löst ihn unvermittelt auf und Traum und Wirklichkeit sehen genau gleich aus, das ist traumhaft. Und das vervollständigte Lied des deutschen Titels, das zaubert Kawakami in Worten, die Menschen wie Satzteile ineinanderfügen.
mehr 2// Zeichnerisch schildert Taniguchi (in diesem Video), wie er mit einer Zusammenfassung der Geschichte beginnt, nach der Absegnen durch den Herausgeber mit Panellinien beginnt, dann Figuren zeichnet, die Tintenfeder kratzen lässt, schließlich die Hintergründe zum Großteil an seine Mitarbeiter abgibt. Er entwirft die Geschichte während des Zeichnens anhand abgemachter Koordinaten und benötigt den Freiraum der Entwicklung. „Sensei no kaban“ also ist einmalig, ist Illustration nach Vorlage, eine neue Herausforderung. Dass er sich für diesen Schritt ausgerechnet eine Frau ausgesucht hat – vielleicht eine doppelte Herausforderung.
Japanische Erbschaften und europäische Ausblicke
Taniguchi entdeckte beinah zeitgleich mit dem Beginn seiner professionellen Manga-Laufbahn in Tokyo den europäischen Comic für sich. Und so zieht sich die Schnittstelle zwischen hier und dort durch sein gesamtes Werk: Es ist der Blick nach Europa, die Pendelbewegung von Manga zu französisch-belgischem Comic, mit Einflüssen des (japanischen) Films und Erbschaften aus der japanischen Tradition, gezeichnet in westlich anmutenden Gesichtern mit fotografischer Präzision.
mehr 3 // Es ist wohl relativ überflüssig, an dieser Stelle noch einmal darauf hinzuweisen, dass in Japan eine weitaus differenziertere Manga-Vielfalt publiziert und gelesen wird als hierzulande. Das einzige Merkmal des Mangas, dem Taniguchi’s Mangas noch zuzuschreiben ist, wäre Entfärbung der Welt: Mangas sind schwarz/weiß und sausen mit Geschrei und Sturzbächen aus Kugelaugen (speedlines und soundwörter). Die tatsächlich spannende Frage, ob sich japanische Mangaka die Kulleraugen von Disney abgeguckt haben, kann hier auch nicht ausdiskutiert werden. Erwähnenswert ist eventuell noch, dass sich Taniguchi allein vom Tempo des Zeichnens vom Manga-Mainstream abhebt: Er ist ein langsamer Zeichner, wie er selbst sagt. //
Glaubhaftigkeit der Alltäglichkeit
Die Grundfragen seiner Protagonisten sind die Gestaltungsfragen moderner Gesellschaften: die Unsicherheit und die daraus folgende Suche nach Sicherheit, Kontakt, Balance, Verständigung. Also weder universale noch zeitlose Themen, nein, Taniguchi ist ein Seismograf des modernen Lebens jenseits nationaler Grenzen. Mit „Au temps de Botchan“ vollzieht er nach dem Action-Manga den Wechsel hin zu dem, was wir heute in den Regalen finden: Science-Fiction, Bergabenteuer, Western, Alltag, jetzt: Liebesgeschichte, Taniguchi sucht nach stetiger thematischer Herausforderung, bloß keine Langeweile. Seit Botchan gilt sein Ziel, „raconter des petits riens de la vie quotidienne“, und aus diesem Realismus der alltäglichen Kleinigkeiten bildet sich die Glaubhaftigkeit seiner Figuren. Im Gegensatz zu den überzeichneten Mimiken des Mainstream-Mangas saugen Taniguchis mit der spannungslosen Spannung, mit Langsamkeit, als könnte man durch verlorenes Tempo vergessen, dass man sich verliebt, als würde der innere Trubel des Verliebtseins verzerrt, das Wasser kocht langsam, damit der Fisch nicht springt.
Delikatessen
In dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte, die eigentlich sehr gewöhnlich sein könnte, spielt das Essen übrigens eine phänomenale Rolle. Man könnte „Der Himmel ist blau …“ auch als Kochbuch oder zumindest Appetitanreger verwenden. Hier wird die Sinnlichkeit in Leichtigkeit zelebriert, die Zuneigung wächst über die Zunge und den damit verbundenen Gewohnheiten. Die unzähligen Treffen bei Satoru, bei denen Tsukiko und der Sensei jeder für sich bestellen, zahlen und einschenken, enden im Schlemmermahl während eines gemeinsamen Ausflugs, bei dem die körperliche Anziehungskraft beinah nicht auszuhalten ist (und also auch nicht ausgeführt wird). Nur folgerichtig ist dann die erste Szene des gemeinsamen, so kurzen Alltags das gemeinsame Kochen.
Vielseitigkeit
Ebenso ließe sich „Der Himmel ist blau …“ als Lyrikanthologie, als Katalog japanischer Ding-Kultur
mehr 4 // Die Präsenz von Mashiko-Keramik, Mappen, Sakeschälchen, Handys sowohl in der Zeichnung als im Fluss der Erzählung, auf dem Höhepunkt in der titelgebenden Tasche des Sensei, die zwar Haltung bewahrt, aber leer ist – von den Dingen bleibt nichts, Erinnerung ist alles.
oder als Dialog zweier Literaturformen lesen: ein Dialog zweier sich ergänzender Literaturformen. Wer würde jetzt nicht mit Yin und Yang kommen.
Charlotte von Bausznern
Jiro Taniguchi, Hiromi Kawakami: Der Himmel ist blau, die Erde ist weiss. Übersetzt von John Schmitt-Weigand. Hamburg: CarlsenVerlag 2o11. 208 Seiten. 14,90 Euro (Band 1), 232 Seiten. 16 Euro (Band 2).
Hiromi Kawakami: Der Himmel ist blau, die Erde ist weiss. Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, Kimiko Nakayama-Ziegler. München: Hanser Verlag 2008. 186 Seiten. 16,90 Euro.
Dazu wieder mal
LESEN: Jiro Taniguchi, Ryuichiro Utsumi: Von der Natur des Menschen. Carlsen 2009
HÖREN: Chapel Club: All the Eastern Girls, auf dem Album Palace
SEHEN: Sofia Coppola: Lost in Translation, 2003