Geschrieben am 1. August 2017 von für Litmag, News, SEXMAG, Specials

Janina Gatzky: Sex sells – im blickdichten Umschlag

PlatzhirschSex sells – im blickdichten Umschlag

Die Erotikbranche ist das Schmuddelkind, mit dem keiner spielen will. Sie versucht seit Jahren, ihr Image zu wandeln. Durchaus mit Erfolg. Dennoch bleibt das Verhältnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Kund*innen ein gespaltenes, wenn es um Sex und Erotik geht.

Als ich neulich von der Peripherie in die Provinz fuhr, wollte ich es wissen. Der Regionalexpress war gut gefüllt, so dass ausreichend Publikum für mein Experiment zur Verfügung stand. Ich holte die aktuelle Ausgabe der Séparée aus der Tasche und begann darin zu blättern. Ich wollte erfahren, wie es wirklich um die Offenheit der Deutschen beim Thema Erotik steht. Die beiden älteren Damen, die gerade noch in Abteillautstärke über ihre Haustiere geredet hatten, begannen zu tuscheln und versuchten möglichst unauffällig einen Blick auf Cover und Titelzeilen zu erhaschen. Über meiner Schulter las jemand interessiert mit, das spürte ich. Auch meine Sitznachbarin warf verstohlene Blicke in meine Richtung. Nach einer Weile nahm sich eine der Damen ein Herz und fragte höflich nach meiner Lektüre. Eigentlich sei das ja nichts mehr für sie, aber dass es jetzt so was für Frauen gäbe, sei doch schön. Ich bot den beiden das Heft an, das sie dankend nahmen, nachdem sie sich mit vorsichtigen Blicken versichert hatten, dass niemand sie schief anschaute. Ihre Reaktionen auf einzelne Bilder und Überschriften waren entzückend. Zögerlich kamen wir ins Gespräch. Der Mitleser mischte sich bald ein, ebenso wie zwei weitere Mitreisende. In Kürze entspann sich eine Diskussion über Sexualität und Frauen, Doppelmoral und Dildos. Ich erzählte von den Anfängen der Zeitschrift, insbesondere unserem Anliegen, ein Magazin zu machen, das die erotischen Wünsche und Bedürfnisse von Frauen in den Fokus rückt und nicht die Frau als erotische Wunschvorstellung und Bedürfnisbefriedigung des Mannes.

Erotik ist weiblich

Diesen Paradigmenwechsel hat die Erotikbranche in vieler Hinsicht in den letzten Jahren vollzogen, wobei es in erster Linie Frauen sind, die den Wandel vorantreiben. In zweierlei Hinsicht: sowohl als Konsumentinnen als auch als Unternehmerinnen, Autorinnen, Produzentinnen, Bloggerinnen.

Den Umsatzzahlen größerer Erotikhändler zufolge boomt der Verkauf von Sextoys. Wichtigste Kundengruppe ist hier den Angaben nach die weibliche Kundschaft, die die männliche Käuferschaft zahlenmäßig überholt hat. Seit Frauen sich bewusster zu ihrer Lust bekennen und bekennen dürfen, hat sich auch das Angebot deutlich gewandelt.

Die Industrie hat die Zeichen der Zeit erkannt und Shops optisch lifestyliger und weiblicher gemacht – helle, pastellige Farben, hier ein verspieltes Schnörkelchen, da ein hintersinniger, witziger Slogan. Die Werbung von Sextoyhändlern stellt alte Rollenklischees auf den Kopf oder spielt bewusst mit ihnen. Aus billig wirkenden Sexläden in den dunklen Ecken von Bahnhofsvierteln sind stilvolle Boutiquen in Innenstadtlage geworden. Größere Toy-Hersteller eröffnen hippe Flagship-Stores in Szenevierteln.

Sexspielzeuge sind heute Designobjekte, die renommierte Preise wie den Red Dot Award gewinnen. Vorbei die Zeiten, als ein Dildo noch aussah wie sein natürliches Vorbild – hautfarben mit authentischen Unebenheiten und ausgeformter Eichel. Heute gibt es Dildos in allen Farben und Formen: von Delphin über Maiskolben bis abstrakte Statue. Manche so durchgestylt und edel gemacht, dass sie nicht nur ein Vermögen kosten, sondern fast zu schade sind, in Kisten und Dosen versteckt zu werden. Die Botschaft ist klar – die Branche versucht, sich im Lifestyle-Segment zu verorten. Sex als lustvoller Genuss und Must-have für Menschen, die ein geschäftiges, ausgefülltes Leben leben. Die einen fahren Fahrräder aus Carbon oder leisten sich Segeltörns in der Karibik, andere machen es sich eben im Bett schön. In gewisser Weise spielt die Erotikindustrie hier eine gesellschaftliche Vorreiterrolle, während sich andere Branchen weiterhin schwertun, Erotik als lustvollen Teil des Lebens anzuerkennen, obwohl sie unentwegt mit sexuellen Konnotationen für ihre Produkte Werbung machen. So verwundert es schon (oder auch nicht), dass Genussmittel- oder Unterwäschehersteller doch lieber nicht in einem stilvollen Erotikmagazin Anzeigen schalten wollen. Warum die Entwicklerinnen einer Verhütungs-App nicht mit Erotik assoziiert werden wollen, wirft dann aber doch Fragen auf.

Auch wenn das Schmuddelkind mittlerweile sehr schick und adrett daherkommt – die alten Vorurteile halten sich zäh. Da nutzen vermutlich auch Namensgebungen jüngerer Akteure am Markt, die man eher mit Süßigkeiten als mit Ehehygiene assoziiert, relativ wenig, solange unserer Gesellschaft ihr doppelmoraliges Verhältnis zur Erotik pflegt.

Das Internet eröffnet hier seit seinen Anfängen einen Ausweg. Zunächst war es die Pornobranche, die die ungeahnten Möglichkeiten des Netzes für sich nutzte. Die ersten Online-Videotheken bedienten den Bedarf an Pornos lange bevor Netflix oder Amazon mit Spielfilmen und Serien nachzogen. Erotikplattformen, Dating-Portale, Pornhub & Co., der Kauf von Sexspielzeug oder die Lektüre eines Erotikmagazins – die Anonymität des Internets öffnet Türen, die vielen Menschen sonst verschlossen blieben, weil sie sich aus Angst vor gesellschaftlichem Sanktionen scheuen, ihre Sexualität bekennend auszuleben.

Frauenpower

Sicher hat sich in den letzten Jahrzehnten viel verändert. Die Firmengeschichte von Beate Uhse ist ein illustratives Beispiel. Dass eine Frau hinter dem Erfolg stand, ist bezeichnend, denn die sexuelle Revolution im Kopf, das bejahende Bekenntnis zur eigenen Lust, wird seit je von Frauen vorangetrieben. Sie ist Teil der Frauenrechtsbewegung, auch wenn, so scheint es, politisch engagierte Feministinnen gern einen Bogen um die Erotik machen, dabei geht es hier nicht minder um Gleichberechtigung als in anderen Bereichen der Gesellschaft.

Produzentinnen wie Erika Lust oder Petra Joy haben die Pornoindustrie weiblicher gemacht. Bloggerinnen geben weiblicher Sexualität ein Gesicht. Nicht unerwähnt soll auch der Erfolg der Grautöne-Triologie bleiben, für die in jedem Falle gilt: Sex sells. Andererseits hat sie aber auch dazu beigetragen hat, dass selbst etwas härtere Gangarten der Lust mittlerweile mainstreamfähig und damit vermarktungswürdig sind. So habe ich neulich beim Unterwäschekauf eine hübsche kleine Peitsche als Werbegeschenk bekommen. Wenn es für Auflagenstärke einen Literaturnobelpreis gäbe, wäre E. L. James sicher eine heiße Kandidatin. Aber dass es ein erotischer Roman – und sei er noch so gut geschrieben – je in den Olymp der Hochliteratur schafft, ist unwahrscheinlich. Auch hier sind die Vorbehalte unserer christlich geprägten Kultur gegenüber der Erotik zu groß, wobei manch renommierter Autor durchaus nicht mit deftigen, expliziten Szenen gespart hat. Die Kunst der Kunst scheint heute allerdings darin zu bestehen, den Akt möglichst nur anzudeuten. Für ein Erotikmagazin wie die Séparée ist das eine Gratwanderung: anspruchsvolle Texte zu schreiben und doch das Kind beim Namen zu nennen! Spätestens im Zeitschriftenregal zeigte sich, wie schwierig dieser Spagat ist, insbesondere für ein weibliches Publikum, denn für eine erotische Frauenzeitschrift ist bislang kein Platz (frühere Versuche wurden nach einiger Zeit eingestellt). Bemühte Händler platzierten das Magazin deshalb in der Anfangszeit im Umfeld von Playboy, Beef, Brandeins und Rolling Stone, womit die angenommenen Eckpunkte eines modernen Männerlebens recht präzise markiert sind. Frauen, so die Aussage eines großen Zeitschriftenverlages, seien für erotische Inhalte „als Zielgruppe zu spitz“. Übersetzt heißt das: zu wenige Frauen würden sich für Sex und Erotik interessieren. Andererseits füllen Erotikromane, die überwiegend Frauen ansprechen und von diesen gekauft werden, lange Tisch- und Regalmeter in Buchhandlungen.

Unser Zuggespräch ist mittlerweile an einem Punkt angekommen, der auf einer sehr persönlichen Ebene nach wie vor Probleme zu bereiten scheint: Kommunikation oder anders gesagt: Wie sag ich’s meinem Partner/meiner Partnerin. Ich sehe der älteren Dame an, wie schwer es ihr fällt, die richtigen Worte zu finden, um auszudrücken, dass sie sich in ihrer Ehe eigentlich anderen Sex gewünscht hätte. Meine Sitznachbarin mittleren Alters nickt. Nach drei Jahren Séparée überrascht es mich nicht, dass ein Mann schließlich zugibt, durch einen Artikel im Magazin mit seiner Partnerin das erste Mal über die reale Möglichkeit eines Dreiers gesprochen zu haben. Ich werfe ein paar heiklere Themen in die Runde, über die wir in den letzten Ausgaben geschrieben haben. Niemand wird rot. Niemand muss persönlich werden, sondern kann neutral zum Thema Stellung beziehen. Redebedarf ist da. Beim Aussteigen fragt jemand leise, ob man die Séparée auch diskret beziehen könne, schließlich wolle man ja nicht, dass könne ich doch sicher verstehen, den Nachbarn ein falsches Bild vermitteln.

Ja, versichere ich, wir verschicken selbstverständlich im blickdichten Umschlag.


Janina Gatzky

 

Seit 2014 gibt Janina Gatzky gemeinsam mit Ute Gliwa das Erotikmagazin Séparée heraus, das im Eigenverlag erscheint. Die promovierte Übersetzerin lebt derzeit mit Mann und Kindern in den USA.

www.separee.com

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