Geschrieben am 2. Februar 2011 von für Litmag, Porträts / Interviews

Im Porträt: Sebastian Broskwa, Comicvertrieb Pictopia

Ein Porträt von Sebastian Broskwa, Gründer des Comicvertriebs Pictopia in Wien.

„All You need to create a comic scene is one good comic store“

– diesen Tipp gab Fantagraphics-Verleger Kim Thompson 2003 seinem Wiener Praktikanten Sebastian Broskwa. Und ist Broskwa hingegangen und hat einen Comicladen aufgemacht? Hat er nicht. Stattdessen überzieht er ganz Österreich mit seinen Lieblingscomics. Von Brigitte Helbling

Sebastian Broskwa ist ein freundlicher Mensch mit einer unheimlichen Begabung. Die Begabung ist … nun, fangen wir anders an.

Beim zweijährlich stattfindenden Comicsalon Erlangen gibt es Ausstellungen, Künstlergespräche, Preisverleihungen, Signierstunden, Verlags- und Ladenstände … und dann gibt es noch den Stand von Pictopia neben dem oberen Kaffeeausschank (kein schlechter Ort!). Was Pictopia ist, war mir bei der ersten Begegnung nicht klar. Was der Typ, der dahinter steht (Broskwa), anzubieten hat, dagegen schon: Bei ihm lag so ungefähr alles, was ich in den letzten Jahren an Comics großartig gefunden hatte, ferner eine Menge, von dem ich vermutete, dass ich es großartig finden könnte.

Die Sachen nimmt man also zur Hand. Broskwa lässt einen dabei ganz in Ruhe.

Broskwa hinter seinen Büchern

Vielleicht fragt man nach. Was hat es mit diesem Heft auf sich, das irgendwie aussieht wie von Ted McKeever, aber McKeever nicht ist? Prequel? Aha. Eine Comic-Combo aus Graz? Interessant! „Tonto“, sagt Broskwa dann, könnte Sie dann auch interessieren, und hier, kennen Sie das hier, Mahler aus Kanada? Und klar, der neue Chris Ware …, und eh man sich’s versieht, ist die Einkaufstasche voll und die Geldbörse leer.

So ist das mit Broskwa.

Unsinnig ist es zu sagen, „Comics sind nicht nur für Kinder“. Natürlich sind Comics für Kinder – manche davon. Die liest man in der Schule und bei Freunden und tauscht sie und wird ein bisschen süchtig danach und dann lässt man das Ganze sein für das andere Geschlecht, für Videogames oder Partys oder Kino oder Sport oder was eben kommt, wenn man in die Pubertät rein- und aus den Comics rauswächst.

Die Frage ist, wie man zu den anderen Comics kommt: Die, die nicht für Kinder sind. Das passiert später, in den Zwanzigern sind die meisten Leser dann schon. Und es spielt auch keine Rolle, wie viele Comics man als Kind gelesen hat: Diese Bücher und Hefte können einen wie ein Erweckungserlebnis treffen. WOW! So können Comics also auch sein? Und die Frage ist dann eigentlich nur noch, wie man an den richtig guten Stoff rankommt.

Die Antwort lautet wie bei jeder Droge: über den Dealer.

Eigentlich wollte ich einen Bericht über eine Reihe von Comic-Dealern schreiben, die mich in den letzten Jahrzehnten arm und glücklich gemacht haben, aber dann war ich in Wien und mir fielen Pictopia und Sebastian Broskwa wieder ein, der gesagt hatte: Wenn ihr in Wien seid, meldet euch, ich hab zwar keine festen Öffnungszeiten, aber ihr könnt einfach anrufen und vorbeikommen. Also habe ich das getan.

Wäre mein Besuch vor den März 2010 gefallen, wäre ich im Wohnzimmer von Broskwas Wohnung gelandet, wo er mit seiner Frau lebt und von wo aus er die ersten Jahre seinen Comicvertrieb und -Vertretung betrieb. Seit März hat er ein Ladenlokal im 9. Bezirk, der zweimal wöchentlich auch für Laufkundschaft geöffnet ist. Dort haben wir uns getroffen.

Ich will mich kurz halten. In diesem Bericht wird es nur um einen Dealer gehen: Broskwa, der keinen Comicladen besitzt und trotzdem an der Verbreitung von Comics in Österreich maßgeblich beteiligt ist, und zwar schlicht dadurch, dass er real existierende Buchläden überredet, sich in Comicläden zu verwandeln – zumindest mit der einen Ecke, wo dann seine Graphic Novels und Independent Comics ausliegen.

Und mehr braucht es für eine Einstiegsdroge ja auch gar nicht.

Sebastian Broskwa (mit T-Shirt) am Nextcomicfestival Linz 2009

Broskwa ist Psychologe. Das sagt die Pictopia-Website: „Sebastian Broskwa, Psychologe & Buchhändler“. Mir kam das einigermaßen merkwürdig vor, man weiß ja, wie das ist mit den Österreichern, immer gleich Mag. art. hier und Dipl. irgendwas da vorm Namen, aber einfach nur „Psychologe“?

„Mein Vater hat gesagt, ich soll das so hinschreiben“, sagt Broskwa. Weil er Psychologie studiert habe und das dann auch da stehen solle (den Mag. wollte Broskwa dann aber nicht dabei haben).

Dieser Vater taucht in unserm Gespräch mehrfach auf. Bei der Autoindustrie hat er gearbeitet, als Manager für Marketing, als Pensionist steht er dem Sohn nun bei seinem Comic-Vertrieb-plus-Vertretung bei. Er zweifelt, ob das Unternehmen Bestand haben kann. Aber er hilft bei der Buchhaltung, und wenn der Sohn den einen Wagen mit Comics zum Festival nach Linz fährt, fährt er den andern, er macht sich also ziemlich nützlich, und im Übrigen ist es nicht das schlechteste, wenn einer da ist, dem man beweisen möchte: Doch, das geht, was ich mir ausgedacht habe.

Broskwas Mutter ist Französin. „Mit Comics hatte ich deswegen schon früh Kontakt.“ In Comicläden war er aber nie. „Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt – abgesehen von diesen staubigen Läden mit den tausend Figuren im Schaufenster. Aber da wäre ich doch nie reingegangen!“ Erst mit Anfang zwanzig, um 1996, fand der gebürtige Wiener den Weg zu „The Comic Shop“ im 4. Bezirk, einem Laden, der ihm die Art von Erweckungserlebnis verschaffte, von dem ich eben geschrieben habe. „Black Orchid“ und Frank Miller. Jim Woodring und Chris Ware und Mike Mignolas „Hellboy“. Es war alles da, und dass der Verkäufer ein klein wenig dem Comichändler bei den Simpsons glich, machte gar nichts.

Als „The Comic Shop“ einige Jahre später schloss – der Laden hatte sich nicht rentiert –, beschreibt Broskwa das als minderes Trauma (nachvollziehbar, wenn das Lieblingswohnzimmer für die Freizeit einfach weg ist). In seinem Studium war in Seminarien über Wirtschaftspsychologie von möglichen Ursachen die Rede: mangelnde Erfahrung, kein Businessplan, mangelndes Wissen über den Markt (Wer sagt denn, Studieren bringt nichts?).

Also blieb’s erstmal bei der Fan-Liebe zum Comic, und als die Arbeitswelt sich vor Broskwa aufbaute, ging’s in die einträglichere Marktforschung, und nimmer sollten die beiden zusammenkommen.

Nur war da dieser Freund, der Broskwa riet: Mach deinen Job, und das, was du verdienst, steckst du in Praktika für das, was du machen willst. Ein guter Rat mit erstaunlichen Folgen: Weil Broskwa (und da war ich bei unserm Gespräch zum ersten Mal platt vor Bewunderung) ganz einfach im Sommer 2003 nach Seattle flog, um bei der damaligen weltweiten Adresse Nummer Eins für innovative Comics, dem Fantagraphics Verlag, ein Praktikum zu machen.

Ich habe gesagt, ich halte mich kurz. Aber bitte: Manchmal dauert es eben, und wer nicht alles lesen mag, überspringt eben einfach ein paar Absätze. Kein Problem!

Fantagraphics

2003 war auch der Sommer, als Fantagraphics wegen Nichtzahlungen eines Vertriebspartners beinah pleiteging und mit einem Hilferuf an Comicfreunde, die ihre Unterstützung durch Backlist-Käufe zeigten, gerettet werden musste. 2004 fand der Verlag dann erstmals in seiner Geschichte einen beständigeren Boden mit dem Auftrag für die Herausgabe von Charles Schultz’ gesammelten „Peanuts“. Seither ist er kontinuierlich solider geworden, als wachse er gerade in ein behäbigeres mittleres Alter hinein. 2003 dagegen war die Zentrale in Seattle (noch) Brennpunkt der Avantgarde des US-Comics. Peter Bagge, die Hernandez Brüder, Jessica Abel, Chris Ware, Dan Clowes – sie alle waren ab Anfang der 1990er bei Fantagraphics ein- und ausgegangen und hatten den Verlag zum Zentrum der Comicwelt für Erwachsene gemacht (auch im wörtlichen Sinne: Eine Zeitlang half eine lukrative Erotikreihe mit, das ambitionierte Programm zu finanzieren). Natürlich musste damals ein angehender Comic-Geschäftsmann aus Europa bei Fantagraphics ein Praktikum machen. Nur: Wer kommt schon auf die Idee (und setzt sie auch noch um?)

„Als ich bei Fantagraphics war, war auch schon die Rede davon, dass es andere Läden braucht,“ sagt Broskwa über sein Praktikum. „Weg von den „Sammlerbuden“, hin zu ansprechenden Comicläden auch für uneingeweihte Leser – all das war bereits Thema.“

Heute gibt es diese Läden. Sie etablieren sich gerade. Die „Bilderbox“ in Wien, „Strips & Stories“ in Hamburg. Läden mit Schwerpunkt Graphic Novels und Comics, die sich mit Kunst überschneiden können (und dürfen), Venusfallen für Leser, die schöne Bücher lieben und Bilder nicht schrecken. Wir schreiben 2011. Hat lange genug gedauert! Broskwa, der im Anschluss an Praktika in Buchhandlungen seinen Buchhändlerabschluss gemacht hat, begrüßt die Entwicklung und wäre wohl nicht abgeneigt, selbst einen solchen Laden zu führen, „aber dafür braucht man ein finanzielles Polster, das ich nicht habe“.

Also reist er wie schon seit fünf Jahren an zwei Tagen die Woche über Stadt und Land in die ganz normalen Buchhandlungen, wo ihm von Kunden berichtet wird, die behaupten, „Comics nicht lesen zu können“, was ja sein mag, wenn es sich um die eine oder andere X-Men-Ausgabe handelt – aber so anspruchsvoll ist die Aufgabe nun auch nicht bei den Waren aus dem Haus Reprodukt oder der Edition Moderne oder Avant oder Edition 52 oder Schreiber & Leser.

Und auch nicht, was die inländischen Künstler angeht, die Pictopia besonders gern hochhält: Nicolas Mahler als Aushängeschild, aber auch Heinz Wolf, Thomas Kriebaum und Mixer-Comics in Wien, die Grazer mit ihrem „Tonto“-Magazin und die PreQuel-Gruppe und schließlich alles, was beim NextComic Festival in Linz aus dem Boden schießt, weil: Es ist ja etwas da. Auch in Österreich. Wo allerdings kaum ein Feuilleton über Comics schreiben mag, und irgendwie muss das Medium doch an den Mann und die Frau kommen.

„Wenn ich es schaffe, dass die Buchhändler irgendwann selbst anfangen, die Sachen zu lesen und zu empfehlen – dann steigen die Verkäufe“, sagt Broskwa.

Erfolgreiche Kunst – das sagt wiederum Kurt Vonnegut irgendwo – braucht erstens ein Genie, zweitens Menschen, die sich in dieses Genie verlieben, und drittens (zwischen den beiden) einen virtuosen Vermittler. Den hat der österreichische Comic in Broskwa gefunden – und „Comics“ in Österreich ebenso. Wenn es seit fünf Jahren in Österreich eine kontinuierlich wachsende Comic-(Leser-)Szene gibt, dann liegt das auch an Broskwas Pictopia – Vertrieb, Vertretung und Online-Buchladen in einem.

„Als ich Kind war“, sagt Broskwa, „war mir die Idee von „Arbeit“ furchtbar. Ich dachte immer, wie gut, dass ich nicht arbeiten muss. Und dann wurde mir irgendwann klar: Wenn ich erwachsen bin, muss ich ja arbeiten … Und jetzt ist es auch okay. Ich kann eh nur Comics richtig gut. Also bleibe ich dabei.“

Comic-Automat in Wien

An dem Tag, als ich bei Pictopia zu Besuch war (die Adresse ist Liechtensteinstraße 64/4), fiel mir auf, dass die ganze Straße im Begriff zu sein scheint, sich der Sache des Comics anzugleichen. Da war das Büro des Theaterkollektivs „God’s Entertainment“ mit einem Indie-Comic-mäßig gestylten Bannerschild. Da war die Werbeagentur weiter vorne, die im Chris-Ware-Design ACME hieß. Ein Zufall? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die Vorstellung ist hübsch, dass sich von Pictopia aus irgendwann der ganze 9. Bezirk in eine Art lebenden Comic verwandelt, und dann Wien und dann Österreich und dann …

„Und wenn ich mit den Buchhandlungen durch bin“, (sagt Broskwa auch), „dann mach ich mich an die Bibliotheken und die Schulen. Einen ersten Vortrag habe ich schon beisammen, „Comics im Unterricht“, den habe ich neulich an der pädagogischen Hochschule in Wien gehalten. In dieser Hinsicht lässt sich in Österreich noch einiges bewegen. Mir fehlt nur gerade die Zeit, mich darum zu kümmern. Kommt noch.“

Und ich sage: „Das klingt ja wie ein Plan zur Welteroberung!“ Und er lacht nur. Er ist wirklich ein sehr freundlicher Mensch, der Sebastian Broskwa!

Brigitte Helbling

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