Geschrieben am 23. Juli 2014 von für Litmag, Porträts / Interviews

Im Porträt: Der Enthüllungsjournalist und Pulitzerpreisträger Seymour Hersh

Hersh_WikimediaEinzelkämpfer, Nestbeschmutzer, Patriot

–Begegnung mit einer Legende: Pulitzerpreisträger Seymour Hersh beim Hamburger Jahrestreffen der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. Von Peter Münder

„You´ll never walk alone“ war das Leitmotiv der Hamburger Netzwerk Recherche-Jahrestagung in diesem Jahr – für den berühmtesten Muckraker aller Enthüllungs-Journalisten, den amerikanischen Einzelkämpfer und Pulitzerpreisträger Seymour Hersh, der zu Diskussionen über den Stand des Investigativ-Journalismus eingeladen war, muss das eigentlich wie Hohn klingen. Schließlich hat der 77jährige Reporter und Autor von acht Büchern nur vorübergehend als festangestellter Journalist (bei der Agentur AP und bei der New York Times) gearbeitet. Seine großen Skandalgeschichten über das My Lai-Massaker 1969, die illegalen Abhöraktionen von Kriegsgegnern während der Nixon-Ära und über die Folter-Hölle von Abu Ghraib 2004 hatte er als freier Journalist recherchiert und veröffentlicht. Den Pulitzerpreis erhielt er 1970 für die Enthüllung des My Lai-Massakers, bei dem während des Vietnamkriegs insgesamt 509 Frauen und Kinder von US-Soldaten umgebracht wurden.

Hersh deckte auf, dass es eben keine Einzelaktion des jungen Leutnants William Calley war, sondern systematisch durchgeführte Verbrechen, die von oberen Rängen angeordnet waren. Diese „Chain of Command“ als durchgehende Struktur entdeckte er dann auch hinter dem Abu-Ghraib- Skandal 2004. „Impact“ und „Change“ waren die häufig zu hörenden Stichworte in den auf Englisch geführten Diskussionen: Natürlich gab es heftige impacts (Reaktionen) nach seinen My-Lai-Enthüllungen, auch nach dem „Camelot“-Band, in dem Hersh Verbindungen des Kennedy-Clans zur Mafia nachging und beweisen wollte, dass Kennedy durch seine diversen Affären – speziell durch die mit Marilyn Monroe – erpressbar geworden war. Wenn man ihn aber fragt, was sich seit dem My-Lai-Skandal geändert hat am politischen System, inwieweit die Politkaste an den Hebeln der Macht aufgrund der veröffentlichten Skandalgeschichten – nach dem Irak-Krieg, der mit einem Lügenkonstrukt begründet wurde, nach dem Abu Ghraib-Skandal – lernfähig geworden sei, dann reagiert Hersh mit einer zwischen Zynismus und Stoizismus liegenden Reaktion: Diese Kaste sei zwar lernresistent, aber natürlich arbeite er weiter unbeirrt an großen Investigativgeschichten. „Das ist schließlich mein Job“, meint er.

Zum Nachhaken und Weiterbohren in diesem paradoxen Themenkomplex gab es nach den Netzwerk-Diskussionen zwar noch Gelegenheit. Aber natürlich ist es „ein weites Feld“, wie Hersh anmerkt. Denn Nixon wurde nach dem Watergate-Skandal und den Enthüllungen der Print-Journalisten (Woodward, Bernstein von der „Washington Post“ und Hersh, der damals für die „New York Times“ berichtete) zum Rücktritt gezwungen. Aber heute, nach den vom Bush-Regime angezettelten Kriegsverbrechen, nach den sinnlosen Afghanistan- und Irak-Abenteuern, die ja noch gravierender waren, kann der Bush-Clan inklusive der indolenten Neo-Con-Fraktion um Perle, Rumsfeld, Wolfowitz trotz der ans Tageslicht gebrachten skandalösen Zustände – trotz all der Lügen und Fehleinschätzungen – ungeschoren zur nächsten Tagesordnung übergehen.

Was also können die US-Medien heute noch ausrichten als Korrektiv? Sind wir auf dem Weg zur Massenverdummung, die von Typen wie Roger Ailes (Fox News-Chef) systematisch betrieben wird und nur noch von Zeitungen wie der „New York Times“ und Magazinen wie dem „New Yorker“, in dem Hersh zuletzt seine wichtigsten Artikel veröffentlichte, abgebremst werden kann?

Seymour Hersh würde dieser Einschätzung wohl zustimmen, aber ihm ist etwas unbehaglich dabei. Trotz seiner radikal-kritischen Einschätzung der US-Machtelite hält er an einem Patriotismus fest, der sich immer noch auf eine latent vorhandene Reformfähigkeit und auf eine grundsätzliche Bereitschaft zur Selbstkritik beruft. Und vor allem die Menschen nach ihren Taten beurteilt und nicht nach ihrer Schichtzugehörigkeit. „Wo gibt es denn sonst noch ein Land, in dem man Machthabern wie Nixon beide Finger in die Augen stecken kann, in dem man eine story über empörende Zustände beim Militär schreiben kann und dafür noch mit dem Pulitzer-Preis belohnt wird?“, hatte Hersh in einem Harper-Verlags- Interview nach der Veröffentlichung seines Abu-Graib-Buches konstatiert und auch seinen familiären Hintergrund erwähnt: Seine aus Osteuropa eingewanderten Eltern waren bettelarm und hatten keine akademische Ausbildung. Die märchenhaften Verheißungen des American Dream will er zwar nicht beschwören. „Aber es gibt eine ungeheure Stärke in diesem Land“, erklärt der hyperkritische Patriot – „und das bestärkt mich in meinem Optimismus – es lohnt sich, diese Skandale aufzudecken“.

Sy Hersh hat sich im Lauf der Jahre ein zuverlässiges Netz von Informanten – bis hinein ins Weiße Haus und ins Pentagon – aufgebaut, das ihm brisante Informationen zuspielt. Er geht diesen Hinweisen dann verbissen wie ein hungriges Frettchen nach; seine Devise ist: „Ohne Dokumente keine story!“ Er hat immer Probleme gehabt, wenn er trotz einwandfreier Quellen skandalträchtige stories nicht mit Dokumenten belegen konnte. Und diese mühseligen Prozeduren waren meistens zeitraubend: Oft genug wartete er über ein halbes Jahr, bis er eine Akte einsehen konnte und eine Geschichte wasserdicht war.

Hersh im Gespräch

Der worst case als Leitmotiv

Diese Einzelkämpfer-Ikone auf die Hamburger Tagung einzuladen war auch deswegen eine großartige Idee, weil man natürlich davon ausgehen kann, dass dieser verbissene Rechercheur, der so oft im Clinch mit Chefredakteuren und Herausgebern war, Anregungen und Tipps an jüngere Kollegen weitergeben kann. Auch wenn er oft mit Sentenzen auftrumpft, die Nachwuchs-Journalisten leicht irritieren können, wie etwa: „Um den gegenwärtigen miesen, angepassten und unkritischen US- Langweiler-Journalismus wieder auf Vordermann zu bringen, sollte man 90% aller Chefredakteure und alle Herausgeber sofort feuern!“ Nach den Terror-Attacken von Nine-Eleven hat Hersh auch große deutsche Berichte über die Pannen bei CIA, FBI, NSA gelesen und war vor allem von der großen Spiegel-story sehr beeindruckt – jedenfalls hält er den Stand der Dinge beim deutschen Investigativ-Journalismus für wesentlich besser als beim amerikanischen.

In diesen turbulenten Zeiten, da man immer noch rätselt, wie es mit Snowdens NSA-Enthüllungen weitergehen soll, was die Observationswut der US-Dienste zu bedeuten hat, ob der BND nun auch schon von CIA und NSA unterwandert ist, ob man seine eigenen e-Mails verschlüsseln soll usw. – da ist es natürlich interessant, von einem alten Fuchs wie Hersh dessen kritische Einschätzung der Lage zu hören. Dazu war während der Netzwerk-Tagung auf dem NDR-Gelände auch Gelegenheit: Einmal während einer Diskussion zum Stand des gegenwärtigen Investigativ-Journalismus und während einer Diskussion zwischen Hersh und Georg Mascolo ( ehemaliger Spiegel-Chefredakteur, jetzt im Rechercheteam von NDR, SZ und WDR).

Hersh liebt die klare Kante, die einfachen Wahrheiten, die man den herumeiernden Bedenkenträgern möglichst apodiktisch um die Ohren hauen kann. Nichts hält er für schlimmer als das „Einerseits-andererseits“ von Leitartikel- Schwätzern, die es jedem recht machen wollen und keine eigene Meinung haben. Der Chronist will aber nicht unterschlagen, dass Hersh selbst sich wohl auch leicht verrennen kann, wenn er erstmal Witterung aufgenommen und sich für eine These entschlossen hat, die sich vielleicht doch als falsch herausstellt. Angesprochen auf seinen letzten vermeintlichen „Scoop“ – die angebliche Beteiligung der türkischen Regierung an syrischen Militärschlägen mit Chemie-Waffen –, der von mehreren Medien sehr kritisch beurteilt und als unzutreffend abgetan wurde, erklärt Hersh nur lang und breit, wie die Konsistenz der vom türkischen Informanten beschriebenen Chemiewaffen beschaffen ist – seinen Irrtum will er jedenfalls nicht zugeben. Auch in seiner kritischen „Camelot“-Enthüllung über die ganz eigene Moral des Kennedy-Clans, der sich nur den eigenen Gesetzen verpflichtet fühlt, war Hersh offenbar weit über das Ziel hinausgeschossen. Denn die Nominierung von Lyndon B. Johnson als „Running Mate“ für die Präsidentenwahl von 1960, auf die sich John F. Kennedy aufgrund von Erpressungen eingelassen haben soll – wie Hersh in seinem Buch behauptete – sie ist laut einer Buchkritik in der „New York Times“ nur reine Spekulation. Und der Brief von Marilyn Monroe, mit dem Kennedy angeblich erpresst wurde, war offenbar eine Fälschung. Richard Bernstein schrieb damals in seiner Rezension: „Wie immer entscheidet sich Mr. Hersh für die düsterste Variante in seiner Interpretation… er giert danach, das Material seinem Vorverständnis anzupassen und will immer an den worst case glauben“.

Kann dieser Negativismus auf einen enttäuschten Idealismus zurückzuführen sein? Sein Rückblick auf vergangene Skandale, auf das verlogene Nixon-System, den euphorisch erwarteten und so stark enttäuschten „Yes we can“-Wechsel von Präsident Obama wird mit Sentenzen gewürzt, die völlig plausibel sind: „Kissinger gehört in den Knast – allein schon wegen seiner Beteiligung an den Attentaten und Putschversuchen in Südamerika“, erklärt Hersh etwa oder auch „Unter Obama ist vieles komplizierter und unübersichtlicher geworden, gebessert hat sich gar nichts“. Hört man da die Sehnsucht nach dem vertrauten Feindbild, nach Bush, Rumsfeld und Richard Perle, dem ehemaligen Sicherheitsberater von Bush und speziellen Intimfeind von Hersh heraus? Perle hatte sich sogar zur Behauptung verstiegen, Hersh sei jemand, der einem „Taliban-Terroristen am ähnlichsten“ sei. Der reaktionäre Neo-Con-Vordenker und glühende Irak- Kriegstreiber Perle wollte Hersh verklagen, weil er als skrupelloser, verlogener Geschäftemacher bezeichnet wurde (was er ja auch ist) und Hersh enthüllt hatte, wie der Netanjahu-Freund im Nahost-Bereich bei diversen Projekten finanziell beteiligt war und politische Entscheidungen propagierte, die vor allem seinen eigenen finanziellen Interessen nutzten. Hersh wäre gern verklagt worden, um vor Gericht diesen Sumpf der Bush-Berater bloßzulegen und auszutrocknen – doch dazu kam es nicht.

Hersh„Weitermachen mit dem, wovon man besessen ist“

Überraschend ist aber, dass sich Hersh immer noch als amerikanischer Patriot outet und das US-Militär keineswegs in Bausch und Bogen verdammt: „Das sind gute Jungs, die dem Militär da anvertraut werden und die meisten Offiziere betrachten sich auch als Stellvertreter der Eltern“, meint er. Aber die höchsten Entscheidungsträger würden mit ihren falschen oder perversen Befehlen die jungen Soldaten oft auf einen gefährlichen Weg leiten, der die Jungs pervertiere: „Ich habe ihnen meinen Sohn überlassen, und sie haben aus ihm einen Killer gemacht“, zitierte Hersh eine Mutter, die er nach dem My Lai-Massaker interviewt hatte.

Bei der Auswahl seiner Informanten geht er völlig ohne ideologische Scheuklappen vor: „Ob ein Informant nun links gestrickt oder konservativ ist, das interessiert mich nicht besonders – es kommt auf seine Glaubwürdigkeit an. Viele hohe Militärs, Pentagon- und CIA-Leute arbeiten vertrauensvoll mit mir zusammen, weil sie wissen, dass ich ihre Anonymität schütze und ihre Namen nicht preisgebe, auch wenn die Fact Checker beim „New Yorker“ mit den Quellen sprechen müssen, um ihre Angaben zu kontrollieren“.

Die Irritationen, Befürchtungen und Vorsichtsmaßnahmen mitten in den NSA-Schnüffelaktionen und während der Snowden-Enthüllungen ignoriert Seymour Hersh. Den BND hält er – ironisch und sarkastisch formuliert wie eh und je – für einen „hilfsbereiten, freundlichen Handlanger und Alliierten der CIA und NSA – auf den können sich die amerikanischen Dienste wenigstens noch verlassen“. Aber Hersh lässt sich von den Verschlüsselungs-Befürwortern nicht überzeugen: „Ich verschlüssele keine e-Mails, aber Treffen mit Informanten organisiere ich konspirativ. Natürlich könnten mich irgendwelche Agenten jederzeit umlegen – aber wenn ich erst anfange, mir über solche Machenschaften den Kopf zu zerbrechen, dann wäre ich schnell paranoid oder völlig paralysiert und käme zu gar nichts mehr“, erklärt der patriotische Nestbeschmutzer Hersh. „Aber natürlich muss man weitermachen mit dem, wovon man besessen ist“.

Peter Münder

Seymour Hersh: Die Befehlskette. Vom 11. September bis Abu Ghraib. Rowohlt 2004.
Richard Bernstein: Looking for the worst and the darkest side in Kennedy.
Rezension „The Dark Side of Camelot“ in: New York Times, 13/11/1997.
Foto ganz oben: Wikimedia Commons, Autor: Institute For Policy Studies, Quelle.
Weitere Fotos: Peter Münder

Tags :