Geschrieben am 18. Oktober 2008 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Musikmag

History: Ice-T und Body Count

Do the white thing?

Bushido oder Sido, Pose oder Posse – der Original Gangsta, der die mean streets hinter sich ließ, um seinen Shit zu vergolden, ist Ice-T … denn er knackte als einziger den Jackpot, mit Body Count, einem Album wie kein anderes.

Matthias Penzel rückt Bushido & Co ein wenig zurecht und erinnert an ihre Voraussetzungen, an die verbrecherischen Umstände, die die Gangsta formiert haben – Musik und Literatur und viel, viel Reality, aber erst mal in L.A. und anderswo ….

L.A. …

Als 1992 Gesetzeshüter des Los Angeles Police Department, allesamt weiß wie Toast, auf offener Straße den wehrlosen Rodney King zusammenschlugen, war daran nichts neu. Neu war, dass man bei King von einem „Afroamerikaner“ sprach – aber man dachte natürlich, was man immer gedacht hatte. Auch neu war, dass es zu der Zeit erschwingliche Videokameras gab. Und so ergab es sich, dass der ungleiche Fight der vier Officer gegen den einen Zivilisten gefilmt und kurz darauf gesendet wurde. Weltweit. Die Video-Aufnahme, die die Welt schockte, sah auch die Jury in Simi Valley, Vorort von L.A., weiß wie die Unschuld. Die Jury sah das, hörte Zeugen, Anklage und Verteidigung – und befand, die Ordnungshüter müssten freigesprochen werden. Auch das nichts Neues. Jetzt lief das Video weltweit fast rund um die Uhr. Das Urteil – Freispruch für die Weißen, die zu viert einen Schwarzen prügeln – entfachte nun in größerem Maß als sonst Empörung, und zwar eben jenseits der Gettogrenzen. In einigen Stadtteilen von Los Angeles zogen die Leute los, randalierten, zerschlugen Sachen, raubten Läden aus, gerieten so außer Kontrolle, dass Präsident Bush senior die National Guard losschickte. Rassenunruhen hatte es schon zuvor gegeben, in den 60ern in Newark und Watts, doch diesmal wurde der Bürgerkrieg-im-Getto weltweit ausgestrahlt, live. Die Eskalation der Gewalt, von Spike Lee 1989 in „Do the Right Things“ ins Kino gebracht, war dagegen ein Klacks.

… und New Orleans … und wieder L.A. …

Augenzeugen widersprachen dem von TV-Bildern präsentierten Casting. Fast Forward, TV-Bilder aus dem untergehenden New Orleans und die Worte dazu. Rewind, 1992: Es seien nicht nur Farbige, keineswegs nur Schwarze unterwegs gewesen. Allerdings vor allem Arme, Latinos und white trash, sowie speziell zugereiste Randalierer. Alle Versuche, den Hass und das Feuer zu erklären, die mit Ungerechtigkeit potenzierte Ungerechtigkeit gegen koreanische Ecklädchenbetreiber zu kommentieren, füllten Airtime, brachten viel Quote, wenig Aufklärung. Einblicke in die Welt und Wahrheit, um die es hier ging, bot eine CD, die vier Wochen nach der Urteilsverkündung erschien.
Die CD brachte Töne und O-Töne, die besser informieren als jeder gutbezahlte Kommentator, treffsicherer als herbeizitierte Kulturphilosophen, staatlich subventionierte Systemkritiker et al. Eine CD erklärte, wo die Wut herkam? Yep. Das war neu.

Body Count

Body Count, Monate zuvor veröffentlicht, ist ein Album wie kein anderes. Spätestens seit der Leere statt Lehre, die auf die Aufstände folgte, die wiederum auf das Urteil folgten, das auf das Unrecht folgte. Body Count, das war nicht – wie Chuck D mit Public Enemy feststellte, CNN für die Schwarzen, es war viel mehr, es war vielmehr ein Documentary, das jeder kapierte, ob schwarz oder weiß, Rap oder Rock, ob in Amerika oder anderswo. Verkündet, mit nasaler Stimme, in einem Sound aus Zement und Mauern, von Tracy Marrow, mehr berüchtigt als berühmt unter dem Decknamen Ice-T, Original Gangsta Rapper.

Mit Hiphop reich geworden, in Filmen als versierter Player (z.B. gegenüber Denzel Washington in „Ricochet“) etabliert, hatte sich Ice-T mit ein paar seiner Homies zusammengetan, um der Musik zu huldigen, die er als Kid gehört hatte. „Body Count ist eine Rockgruppe, keine Rapgruppe“, so Ice in seiner Autobiografie. „Das haben wir gemacht, weil ich auf Rock stehe. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass es sich für mich nicht gehört, darauf zu stehen, aber ich habe das immer gehört – Black Sabbath, Blue Öyster Cult, Deep Purple, Black Flag, Circle Jerks, X, dann Minor Threat und No Means No, Cannibal Corpse, GWAR.“ Anderer Sound, andere Message, straight. Mehr from the hip, als off the mouth. Ein Dutzend Songs, davor und dazwischen Newsbites, Snippets, die ironisch und sachlich, knochentrocken und sarkastisch Einblicke gewähren in den Alltag von Menschen, die in einem Land leben, das von und für Freiheit redet, auch lebt, dessen Legislative und Exekutive allerdings bis heute keinen Weg gefunden hat, wie mit den Einwohnern umzugehen ist, die nicht als Einwanderer freiwillig in dieses Land gekommen sind.

… in der City of Quartz

Danach, nachdem das Album darüber berichtete, textlich schwarz-auf-weiß, musikalisch so aufs Mindeste reduziert, dass es wie das Rockalbum einer Hardcore-Band rüberkam, da erst kam der 29. April 1992 das Urteil aus Simi Valley. Wie eine Eiterblase brach die Gewalt hervor, die Schüsse und Feuer von South Central waren nun auch außerhalb des Gettos zu vernehmen. Über den LA-immanenten Rassismus hatte sich schon kurz zuvor Mike Davies in City Of Quartz ausgelassen, nun galt es, das Problem, National Guard sei Dank aufs Getto begrenzt, ins Getto zurückzuschieben ($1,5 Mio. täglich verschlang die Kontrollierung des Problems, ein Schiss gegenüber den $58,6 Mio. an Steuergeldern, die während der vorigen zehn Jahre für Schadensersatz wegen Polizeigewalt fällig waren). Die Karten auf dem Tisch, der Schwarze Peter ging an Rap, Hiphop, an gewaltverherrlichenden Filme „New Jack City“, „Boyz n the Hood“, „Trespass“), da kam ein Cop in Texas auf die findige Idee, was der Kern des Übels war: eine CD.

Nicht der 1992 angelaufene Film „Unforgiven“, in dem das Publikum mitfiebert, wie der Sheriff umgebracht wird, allerdings von Clint Eastwood. Sondern eine CD. Nicht „Psycho Killer“ von den Talking Heads, auch nicht der Song „I Shot The Sheriff“, der ja eben nicht zufällig erst ein Hit wurde, als er von Eric Clapton statt Bob Marley gesungen wurde.

Nein, die CD, die ins Visier kam, war Body Count. Mithilfe einer Pressuregroup, den Freimaurern – denen auch beide George Bushs angehören – nahe, wurde nun das Augenmerk hierauf gelenkt. Es folgten Indizierungen, Morddrohungen, Druck auf die Plattenfirma, denn das Album war, anders als Ice-T’s Soloerfolge nicht im Rap-Getto, nicht bei entsprechendem Label veröffentlicht worden, sondern bei Sire/Warner Records (zu der Zeit gut am all mit Erasure, Depeche Mode, Madonna … get the picture?, sehen Sie die Vertriebsschienen, die direkt von der Shopping-Mall in die Kinderzimmer der Vorstädte führen?). Hin und her, hü und hott, Bush, im Irak gerade damit befasst, ganz andere Leichenberge loszuwerden, befand, das Album stelle eine Gefahr dar, es gehöre verboten – und schließlich machte Ice-T das, was ihm viele als Strauchelei ankreideten: nahm den Track „Cop Killer“ mitsamt Intro „Out In The Parking Lot“ vom Album, ersetzte das mit „Freedom Of Speech“ (Just Watch What You’re Saying) von dem 89er Soloalbum, das mit dem Intro von Black Sabbaths Debüt begann, darüber Jello Biafras Stimme, die wie ein Nachrichtensprecher verkündet, dass nun das Kriegsrecht gilt …

… und die connections: Chester Himes, Iceberg Slim & Co

Wie gesagt, Ice-T wurde dafür vielseits gedisst. Festzuhalten bleibt: Er fand zuvor viel Unterstützung, auch von Cops, und nachdem er sich für die Änderung entschied, sagte Chuck D auf MTV: „Die Leute, die sich nicht auf dem Schlachtfeld befinden, sollten keine Kommentare zum Krieg abgeben.“

Body Count, übrigens schon 1991 während Lollapalooza-Tournee im Studio, mit Jane’s Addiction für ein Duett, Remake von Sly And The Family Stones „Don’t Call Me Nigger, Whitey“, wurden von Warner Brothers kurz nach dem korrigierten Album gedroppt. Ice-T kommentierte die Chose auf Home Invasion, in seiner Bio, und mit glasklaren Statements, kugelsicher, auf Body Counts Born Dead 1994, mit einem diesmal eher an Pantera und Slayer gestählten Sound. Ice spielte weiter in Filmen und mit Referenzen an Klassiker schwarzer und weißer und überhaupt jeder Underdog-Kultur, er wurde mit Melvin Van Peebles Verleger von Payback Press, die Romane von Chester Himes, Iceberg Slim, Gil Scott-Heron und anderen wiederveröffentlichten. Tourneen durch Deutschland, volle Hallen. Ice-T wurde der erste – und vermutlich letzte – Gastsänger auf einem Album von Black Sabbath.

1997 kam Violent Demise: The Last Days, vermutlich das am meisten runde und perfekte Album von Body Count. Wieder Tourneen, Bodyguards auf der Bühne, Stretchlimos und das ganze Tamtam. Ice-T wurde Cop (in der Serie „Law & Order: Special Victims Unit”). Davor und danach und zur selben Zeit starben drei der fünf Musiker (an Leukämie, Schusswunden und Krebs der Lymphknoten). Ice trennte sich von Darlene Ortiz (Swimsuit-Model in Videos und auf Plattenhüllen wie „Power“). Er spielte mit neuer Band SMG (Sex, Money & Guns), dann mit neuer Freundin (Swimsuit-Model Coco, geb. Nicole Austin), es war „Lust auf den ersten Blick“, wie Ice-T fand. Yeah, einem, der seinen Einstand im Rap-Ring mit „Rhyme Pays“ begann, nimmt man das ab.

Ja, und nach neunjähriger Abwesenheit erschien das vierte Album Murder 4 Hire. Will Kill For Money beim dritten Label in der Bandgeschichte. Man kann es drehen und wenden wie man will: nach dem Debüt kann man jedes Body Count-Album blind kaufen, und doch kracht keins so wie das erste.

Matthias Penzel