Geschrieben am 25. April 2015 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Hinter der Linie, vor dem Spieltag (30)

Mara Braun_neuHinter der Linie, vor dem 30. Spieltag

– Eine Fußballkolumne von Mara Braun.

Sanft streicht der Wind durch die Gassen und trägt bereits den Geruch des nahenden Sommers in sich. Die Aprilsonne wärmt die ersten nackten Kinderarme der Saison, während sie greifen nach Zügeln und Lenkrädern, kleine Hintern sich niederlassen auf kühlen Pferderücken oder in knallroten Feuerwehrautos. Über allem oszilliert ein Lärmen und Lachen, der Geruch nach süßem Popcorn und heißer Bratwurst. Wattewölkchen, die den tiefblauen Himmel kreuzen: Jahrmarkt. Einsteigen, alle Mann einsteigen! Gleich geht’s los! Schnell noch den Chip lösen, ein Gefährt wählen, eine Gondel reservieren, um bei der Fahrt dabei zu sein. Schon dreht sich das Karussell wie angetrieben vom Kinderlachen, folgt dem ewigen Kreislauf des Vergnügens, stillt die Sehnsucht der Mitreisenden, entfacht schwindeligen Zauber.

Es ist nicht originell, dass beim Posten des Trainers von einer Position mit Schleudersitz die Rede ist – das Trainerkarussell aber mutet angesichts der Assoziationen, die der zweite Teil des Begriffs außerhalb des Fußballkosmos hervorruft, schon seltsam an: doch nur auf den ersten Blick. In beiden Fällen geht es schließlich darum, überhaupt einen Platz zu ergattern – im zweiten Schritt ist dann die Qualität eben jenes Sitzes bedeutsam. Gelingt der Sprung auf den ersehnten, breiten Pferderücken der sich drehenden Rummelattraktion, oder wird es doch nur ein wackliger, alter Roller? Meldet sich vom Ende der Leitung der erhoffte Bundesligist, oder klingt ein Angebot aus dem Hörer, das man nur aus der Not heraus bereit ist, überhaupt in Erwägung zu ziehen? Und geht es nicht bei dem einen wie dem anderen darum, den eigenen Platz, ist er denn endlich eingenommen, für sich und in der Zukunft zu verteidigen – nicht bereits in der nächsten Runde, der kommenden Saison, wieder abtreten zu müssen?

Unstrittig ohnehin – die übergeordnete Gemeinsamkeit. Fußball, Jahrmarkt, Brot und Spiele erfüllen verwandte Funktionen: Abstand zum Alltag. Ein Türstopper für quälende Gedanken. Abwechslung, planbar und regelmäßig. Die Hängematte, in der wir unsere Seele baumeln lassen, bevor sie wieder eingespannt wird im Zaumzeug des Alltags. Auflösung in der Masse, Emotionen, Jubelarien. Dazu die schiere Vielzahl der Möglichkeiten: Schiffsschaukel oder Kettenkarussell, der Ritt in der Raupe oder die Fahrt im Autoscooter. Meister-Ambitionen in München vs. Ligaverbleib in Freiburg, Mainzer Kontinuität vs. Stuttgarter Unruhe. Freilich wird auch Trennendes offenbar zwischen dem rummeligen Vergnügen und dem Job am Ball. Die runden Kinderwaden im Inneren des Feuerwehrwagens geraten in nervöse Unruhe, wenn das Karussell an Geschwindigkeit verliert. Weil sich damit der nahende Halt ankündigt, der Moment, in dem erwachsene Arme wild gestikulierend und unsanft greifend signalisieren: Schluss mit lustig, aussteigen, dies ist das Ende der heiteren Fahnenstange, nichts geht mehr.

Den in solchen Phasen ohnehin längst nicht mehr heiteren, sondern vom schwarzklebenden Unglück verfolgten Trainer hingegen befällt zunehmender Ungemach, wenn das Karussell die Geschwindigkeit urplötzlich erhöht, sich schneller dreht und schneller, mit nur einem Ziel: Den missliebig gewordenen Übungsleiter aus sich heraus zu schleudern. Weit fort und in eine ferne Umlaufbahn, deren Kreise er bis zu einem neuen Engagement ziehen muss – in der Hoffnung, das dies tatsächlich kommt. Und es ist gewiss auch kein Zufall, dass aus dem einen oder anderen Riesenrad das Stadion der jeweiligen Stadt zumindest beinahe in Sichtweite ist: Cannstatter Wasen, Bremer Freimarkt, Münchner Wiesn und Hamburger Dom sind da sicher die bekanntesten, aber auch die Frankfurter Dippemess, das Mainzer Johannisfest oder die Freiburger’ Mess schleudern frustrierten Fans in wilden Fahrgeschäften verlorene Spiele aus den Knochen oder laden zur Dreipunktefeier ins Festzelt.

Eine Herkulesaufgabe für die handelnden Vereinsverantwortlichen: komplette Trainerteams neu einzustellen oder gemeinsam zu entlassen. Immerhin gilt es dabei das Problem zu lösen, wie die Trainerbank am Stück ins Karussell hinein gewuchtet oder später bei voller Fahrt vorsichtig aus selbigem heraus befördert werden kann: Fußball-Tetris für Fortgeschrittene, sozusagen. Anders nämlich als der Trainer und sein Team soll das gute Stück – immerhin Eigentum des Vereins – bei der Aktion nicht beschädigt werden. Austauschbar ist nur der Mensch, nicht aber die Gerätschaft, auf der er sich vorübergehend niederlassen durfte. Die seitens der Vereine angestrebte Schonung der Trainerbänke hat zu einem Phänomen geführt, das in vielen Stadien beobachtet werden kann – und dessen Ursprung Nicht-Eingeweihte an gänzlich falscher Stelle vermuten: Nicht etwa sind an der Seitenlinie auf und ab tigernde Übungsleiter von übergroßer Nervosität besessen oder von außerordentlichem Enthusiasmus beseelt, vielmehr dient ihr Gebaren dem Materialerhalt.

Mit ganz besonderer Leidenschaft aufgenommen wird die anmutige Begrifflichkeit des Trainerkarussells, wie jede kreative Wortschöpfung, von der Presse. Bei der darf das Gefährt sich drehen, Fahrt aufnehmen oder gar Opfer fordern, in Gang geraten, beschleunigen oder seltsame Ergebnisse, sprich Personalien hervorbringen. Ohne Belang hingegen bleibt die zärtlich-phantasievolle Beschreibung eines in der Realität eher harschen Vorgangs für den betroffenen Trainer: Ob der aus einem ausgelösten Schleudersitz katapultiert oder aus einem rotierenden Karussell geworfen wird, ist für ihn am Tag seiner Entlassung lediglich eine sprachliche Randnotiz.

Die Ergebnisse im Überblick:

  • Mainz – Schalke – 3:2
  • Dortmund – Frankfurt 2:2
  • Hannover – Hoffenheim 1:3
  • Stuttgart – Freiburg 1:1
  • Hamburg – Augsburg 1:0
  • Köln – Leverkusen 2:4
  • Bayern – Hertha 5:1
  • Paderborn – Bremen 2:4
  • Gladbach – Wolfsburg 3:2

Mara Braun

Mara Braun, geboren 1978 in Heidelberg, aufgewachsen im hessischen Odenwald mit einem Abstecher nach Mississippi, seit 1998 in Mainz am Rhein. Studium der Filmwissenschaft & Publizistik. Journalistin, Autorin, Fußballbegeisterte, Bücherwurm, Überzeugungstäterin. Im September 2013 erschien „111 Gründe, Mainz 05 zu lieben“ und am 15. Januar 2015 „111 Gründe, an die große Liebe zu glauben“ (beide Schwarzkopf & Schwarzkopf). Mara Braun bei Facebook, bei Twitter, im Blog.

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