Geschrieben am 19. Februar 2005 von für Litmag

Hilflose Journalisten

Über (fehlende) Gesten der Solidarität mit der entführten Journalistin Giuliana Sgrena.

Von Carl-Wilhelm Macke

Jeder Journalist lernt es schon in der ersten Woche eines Volontariats: das ‚Ich‘ hat in einem journalistischen Beitrag nichts zu suchen. Man schreibt als Beobachter mit möglichst großer Objektivität und Genauigkeit eine Reportage oder präsentiert in einem Kommentar seine Meinung, aber nie in der ersten Person Singular. Als Journalist darfst du niemals ‚Ich‘ schreiben und dann sieht man auf einem Pressephoto in die Augen der um ihr Leben flehenden, vollkommen verhärmten, todesbleichen italienischen Kollegin Giuliana Sgrena. Als Journalist darfst du niemals ‚Ich‘ schreiben, auch in der Konfrontation mit diesem Bild der entsetzlichen Todesnähe einer Kollegin?

Wenn man Porträts der freien, selbstbewußten Giuliana Sgrena gesehen hat, wie sie auf den Plakaten der ‚Reporters sans Frontiers‘ in Paris oder der ‚manifesto‘-Redaktion in Rom zu sehen ist, dann vergisst man hoffentlich – schockartig jede journalistische Grundregel. Die um ihr Leben flehende Giuliana Sgrena zerreißt mir das Herz. Ich bin entsetzt, aber weiß auch, wie beschränkt die Möglichkeiten sind, der Kollegin zu helfen. Man kann und sollte wenigstens Solidaritätsadressen an die Redaktionen schreiben, für die die freie Giuliana Sgrena gearbeitet hat. Oder man sollte sich um Gesten der öffentlichen Anteilnahme bemühen, wie sie in Italien und Frankreich so vorbildlich und ermutigend gezeigt werden.

Wo aber haben deutsche Kolleginnen und Kollegen in großer Zahl wenigstens diese hilflose Geste gezeigt? Gut, ‚DIE ZEIT‘ auf deren Seite in der Vergangenheit Beiträge von Giuliana Sgrena publiziert worden sind, hat sich mit einem großformatigen Titelbild und mehreren Hintergrundartikeln solidarisch gezeigt. Ansonsten aber scheint es sich im Falle von Giuliana Sgrena um eine italienische, im Falle von Florence Aubenas und Hussein Hanoun, um eine französische Angelegenheit zu handeln. Die Solidaritätsbekundungen deutscher Journalistinnen und Journalisten mit ihren entführten Kolleginnen und Kollegen sind durch ein beschämendes Schweigen geprägt. Wir sind von diesen gewaltsamen Entführungen ja nicht betroffen. Die öffentlich um ihr Leben flehenden Reporter anderer Länder sind ja keine von uns (abgesehen von der erwähnten Ausnahme der ‚ZEIT‘).Business as usual. The (Talk-) Show must go o­n… Und was kann man schon ausrichten, um die gewaltsam Verschleppten wieder zu befreien? Man verläßt sich da nolens volens ganz auf die professionelle Arbeit der zuständigen Geheimdienste. Nüchtern gesehen und in Einschätzung realer Einflussmöglichkeiten, bleibt einem zur Befreiung der entführten Kolleginnen und Kollegen vielleicht auch nichts weiter übrig als auf die Effektivität diverser offizieller und geheimer Vermittlungen zu hoffen.

Aber wäre es nicht endlich an der Zeit, dass sich auch Journalisten bei Film, Funk, Fernsehen, Zeitungen (online und offline) wenigstens ihrer europäischen Zusammengehörigkeit besinnen und Zeichen der Solidarität jenseits der nationalen Grenzen setzen? Sind denn die bereits seit Wochen durchgeführten vielen Solidaritätsaktionen in Italien (sogar in den Fußballstadien) und in Frankreich (mit größeren Kulturveranstaltungen) kein Anstoß, auch hier wenigstens Gesten der Solidarität zu zeigen? Was muß geschehen, dass auch in Deutschland und bei deutschen Medien arbeitende Journalisten mit Gesten und Aktionen ihre Solidarität, ihr Mitgefühl in der ersten Person Singular mit den um ihr Lebenden flehenden entführten Kolleginnen und Kollegen anderer Länder manifestieren? Auch in scheinbar oder tatsächlich ausweglosen Situationen können Gesten einen Sinn haben. Mit ihnen könnte man gemeinsam und öffentlich manifestieren, dass es vielleicht noch eine „speranza vagabonda“ (Natalia Ginzburg), eine streunende Hoffnung für das Leben von Berufskollegen gibt? In früheren Zeiten, einige der in den 68er Jahren politisierten Journalisten erinnern sich vielleicht noch, nannte man das „Internationale Solidarität“. Heute aber überläßt man lieber alles schweigend und achselzuckend den Geheimdiensten. Dabei sollten gerade Journalisten um die Bedeutung öffentlicher Zeichen und Gesten wissen…
Auch das lernt man doch bereits in den ersten Wochen eines journalistischen Volontariats.

Carl Wilhelm Macke