Geschrieben am 9. August 2007 von für Litmag, Lyrik

Haris Vlavianos: Nach dem Ende der Schönheit

Noch nicht verloren

Eine Entdeckung: die Gedichte des Haris Vlavianos

Griechische Dichter – da fallen einem zunächst Namen wie Konstantinos Kavafis, Jorgos Seferis, Odysseas Elytis, auch Jannis Ritsos ein. In den Jahrzehnten nach ihnen haben auch andere griechische Dichter von großem Rang wunderbare Gedichte geschrieben, aber ihre Namen sind in Deutschland kaum bekannt geworden. Die letzte Anthologie „Griechische Lyrik des 20. Jahrhunderts“ ( im Insel-Verlag ) wurde im Jahre 2001 herausgegeben. Dann aber hörten und lasen wir kein neues griechisches Gedicht mehr. Jetzt ist in der so wohltuend schlichten, gleichwohl ästhetisch außergewöhnlich gelungenen „Edition Lyrik Kabinett“ bei Hanser ein Band erschienen, der uns staunen läßt.

Haris Vlavianos war bislang sicherlich nur einem kleinen Kreis von Lyrik-Kennern bekannt. Man mußte schon die griechische Sprache beherrschen, um sein bereits umfangreiches, nicht nur Lyrik sondern auch Essays und Übersetzungen umfassendes Werk, zur Kenntnis zu nehmen. Weit abseits im Kölner Romiosini-Verlag war auch schon eine deutsche Edition einer kleinen Auswahl seiner Gedichte erschienen. Aber erst mit diesem neuen Band wird Vlavianos endlich auch dem deutschsprachigen Publikum in der ihm zustehenden Form bekannt gemacht. In der Übersetzung von Torsten Israel finden wir hier Gedichte, die dem Titel des Bandes „Nach dem Ende der Schönheit“ vollkommen entgegengesetzt scheinen. Poetischer, schöner haben wir schon lange Zeit keine modernen Gedichte mehr gelesen.
Schon das den Band wie eine Widmung vorangestellte Gedicht „Abend ohne Abenteuer“ stimmt die Leser ein in eine große, ebenso poetische wie intelligente Entdeckungsreise durch die Lyrik des Haris Vlavianos:
„…was verlorengeht
bleibt bewahrt in uns als
das was verlorengeht

Die Chrysanthemen die du in den Händen hältst
sind nicht die Chrysanthemen die du hältst in den Händen.
Sie sind Staub.
Worte die versuchen den Sinn dieser vorausgeplanten
Geste zu interpretieren.“

Nein, einfach, eingängig, schnell zu lesen und zu verstehen sind diese Gedichte nicht. Man muß sich schon Zeit nehmen, sie in ihrer ganzen Tiefe, auch ihrer manchmal betörend verstörenden Schönheit zu erfassen. Etwa das Gedicht „Fin de siècle, mal de siècle“:
„…Ich wurde zu jung geboren
in eine Welt die schon gealtert war
schreibe ich meinerseits
und verabschiede mich selbst ebenso von meinem eigenen gelähmten Jahrhundert
das sich jetzt auf sein Ende zuschleppt.“

Einige Gedichte sind anderen Dichtern in Dankbarkeit gewidmet, etwa das „Das Haus“, in dem Vlavianos anspielt auf das „Haus am Meer“ von Eugenio Montale.
„Der Moment kommt näher
in dem du hinüberwechseln wirst auf die andere Seite der Zeit“.

Autobiographische Bezüge sind oft zu entdecken, zum Beispiel in dem Gedicht „Brasil“, das die brasilianische Kindheit des Dichters in Erinnerung ruft.  „Um einen guten literarischen Geschmack zu entwickeln“, hat Joseph Brodsky in einer seiner amerikanischen Lektionen einmal geschrieben, „gibt es nur den einen Weg – Gedichte zu lesen.“ Wer den Band „Nach dem Ende der Schönheit“ von Haris Vlavianos in aller dafür notwendigen Ruhe und Konzentration gelesen hat, am besten immer und immer wieder, hat einen „guten literarischen Geschmack“ gefunden. Wir garantieren dafür….

Carl Wilhelm Macke

Haris Vlavianos: Nach dem Ende der Schönheit. Aus dem Griechischen von Torsten Israel. Carl Hanser Verlag, Muenchen, 2007, 100 S.