Geschrieben am 3. September 2014 von für Kunst, Litmag

Gérard de Cortanze, Lorraine Audric (Hg): Frida Kahlo und Diego Rivera – gesehen von Gisèle Freund

Gerard-de-Cortanze-Frida-Kahlo-und-Diego-Rivera-Gesehen-von-Giscle-FreundWahnsinnig Verliebt: Gisèle Freund bei Frida Kahlo und Diego Rivera in Mexiko

– Das erste, was auffällt (was mir auffällt): die exaltierten Muster der Stoffe; Dolores del Rios Kleid mit Blätterranken und Zitrusfrüchten auf weißem Grund, die dunkle Bluse mit hellen, fleischigen Blumen an Frida Kahlo in dem Bild, das sie mit ihrem Arzt, Dr. Farill, zeigt, die Malerin in einer hellen Bluse, übersät mit zart-stilisierten Federn. Der Ort ist Mexiko, die Protagonistinnen sind Kosmopolitinnen, solche Stoffe trugen stilvolle Frauen in den 1950ern auch in Europa, in Paris. Die meisten Bilder sind schwarz-weiß, die Farben zu Grautönen sublimiert; man bildet sich ein, ihr Glühen werde darüber noch betont.

Gisèle Freund, die 1908 geborene Fotografin, ist in diesem Buch kurz selbst Gegenstand einer kleinen Bildserie (Urheber: anonym), die sie im Gespräch mit Frida Kahlos Künstlergatten Diego Rivera zeigt. Sie sitzt auf einer Steinmauer vor präkolumbianischen Ruinen, trägt ein Jackenkleid mit langer Jacke und eine großen Blumenbrosche am Revers. Sie schaut beglückt. In Mexiko und die Mexikaner habe Freund sich „wahnsinnig verliebt“, heißt es in dem beschwingten Vorwort von Gérard de Cortanze, dem Kahlo-Biographen, das den Weg der Berlinerin aus jüdischem Haus über Paris nach Südamerika nachzeichnet und danach den Lebensraum skizziert, in dem die drei Protagonisten sich trafen: Freund, Kahlo, Rivera, in Mexiko, 1950 bis 1952.

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Nur ein paar Wochen wollte die Fotografin in Mexiko bleiben, daraus wurden zwei Jahre, in denen sie kreuz und quer durch das Land reiste. Gisèle Freund war da bereits eine Fotografin von einigem Ruhm; eine aufsehenerregende Serie über das argentinische Präsidentenpaar Péron für „Life“ hatte 1950 für diplomatische Verstimmungen gesorgt. Sie war eine der ersten Mitarbeiterinnen von Robert Capas Agentur Magnum, deren Agenten die Welt unter sich aufteilten: Freund erhielt Lateinamerika. Sie interessiere sich etwas zu sehr für Kunst, soll Cartier-Bresson gesagt haben, er meinte damit die Trümmer und Figurinen der mexikanischen Vorzeit. Wohnhaft war Freund schon kurz nach Kriegsende wieder in Frankreich und blieb es auch bis zu ihrem Tod im Jahr 2000.

freund_gisele-diego_rivera_chez_lui_avec_sesjudas~OM607300~11162_20110527_9237_88In den Bildern, die der kompakte, gewaltige Fotoband aus Freunds Nachlass präsentiert (erschienen beim französischen Verlag Albin Michel, in Edmund Jacobys deutscher Übersetzung nun auch bei Stuart und Jacoby), steht der Haushalt des Ehepaars Kahlo und Rivera im Mittelpunkt. Frida Kahlo ist durch ihr Rückenleiden oft an Haus und Garten gebunden; Diego Rivera, der Frauenheld, brillante Raconteur und umtriebige politische Aktivist, ist es nicht. Beide sind große Maler, glühende Anhänger des Kommunismus, Rivera zudem ein hingebungsvoller Sammler präkolumbianischer Kunst. Seine Werke sind Tafelbilder, Illustrationen und vor allem große Wandgemälde durchsetzt mit marxistischen Parolen, sie malt wilde, verstörende Selbstbilder, der „aufrichtige Ausdruck meiner Selbst … , der aber leider völlig ungeeignet dazu [ist], der Partei zu dienen.“

Die Nachwelt erkennt in ihr die größere Künstlerin, ein Grund vielleicht, warum der französische Band selektiv „Frida Kahlo par Gisèle Freund“ heißt (der deutsche dagegen „Frida Kahlo und Diego Rivera – gesehen von Gisèle Freund“). Im deutschen Titel erscheint der Name des Gatten in sehr viel kleineren Buchstaben, wie ein Nachgedanke (immerhin ist er da), der Rivera in diesem Künstlerhaushalt nie war. Es ist der einzige Misston in dem schönen Band, vielleicht einem Verkaufsversprechen geschuldet, möglicherweise auch einer Auflage des französischen Verlags. Natürlich lässt sich der überlebensgroße Rivera, (das zeigt auch jede der vielen Aufnahmen in der Auswahl, die ihn zum Gegenstand haben), aus Kahlos Leben nicht wegretuschieren.

Gisèle Freund

Gisèle Freund

Freunde der Foto-Kunst wird das Nachwort von Lorraine Audric, die Leiterin der Gisèle-Freund-Stiftung, interessieren; sie leitet die Digitalisierung des riesigen Archivs, das Gisèle Freund hinterlassen hat. Was aber heißt diese monumentale Aufgabe für die bisher nicht veröffentlichten Bilder: Welche Auswahl wird getroffen, welche Form (Negativ, Presseabzug, Sammlerabzug, Duplikatnegativ…) als Grundlage genommen, welche Bildlegende (diejenige auf dem Rücken des Abzugs? auf dem Deckglas des Diapositivs?) stellt man dazu? Wie weit darf und soll die digitale (Nach)bearbeitung der Bilder gehen? „Unveröffentlicht“, stellt Audric am Ende ihrer knappen Ausführungen fest, waren auch diejenigen Bilder nicht, die bisher der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. „Sie sind einfach sichtbar geworden“ – durch das Digitalisierungsprojekt, hinter dem ein das Pariser Institut IMEC und der Verband staatlicher Museen in Frankreich steht.

Das Buch, in den ein Bruchteil dieser Archivarbeit eingeflossen ist, feiert den Blick Gisèle Freunds auf ein Künstlerpaar, das einst in Mexiko Superstar-Status einnahm. Ihre Bilder dringen in eine explosive Häuslichkeit (kein Bild zeigt die Gatten zusammen) ein, in der die Schaffenskraft an erster Stelle stand, von Kahlo mit in sich ruhender, von Rivera mit fleischig-melancholischer Unbedingtheit gelebt. In Mexiko, wird Freund später schreiben, konnte sie irgendwann nicht mehr bleiben. „Ich spürte, der Augenblick rückte näher, da Mexiko mich verschlingen würde. Die Gegensätze in diesem Land sind so gewaltsam, dass sie das Menschenmögliche übersteigen.“

Brigitte Helbling

Gérard de Cortanze, Lorraine Audric (Hg): Frida Kahlo und Diego Rivera. Gesehen von Gisèle Freund. (Frida Kahlo par Gisèle Freund, 2013). Aus dem Französischen von Edmund Jacoby. Stuart & Jacoby, Berlin 2014. 160 Seiten. 24,95 Euro.

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