Geschrieben am 13. Juli 2009 von für Litmag, Lyrik

Göran Sonnevi: Das brennende Haus

Ein tosendes Meer

Göran Sonnevi schreibt Gedichte auf der Höhe der ungeheuren Informationsflut unserer Tage. Er wendet sich nicht ab von den Schreckensnachrichten aus allen Teilen der Welt, sondern versucht ihnen Poesie schreibend standzuhalten. Carl Wilhelm Macke über die mitreißenden Langgedichte des schwedischen Lyrikers.

Gedichte zu lesen oder zu schreiben gilt oft als etwas exotisches und abseits ’normaler‘ Lektüre gelegenes Freizeitvergnügen. Manchen sind sie einfach „zu schwer verständlich“, ohne Punkt und Komma, ohne erzählerischen Plot, ohne Figuren, mit denen man sich identifizieren, die man lieben oder hassen kann. Ein Tonfall, weit entfernt von unserer Alltagssprache. Anderen sind sie zu leicht, zu wenig ‚realitätsnah‘. Romantisches Wortgesäusel und verträumte Weltabgewandtheit. Liebesgedichte – na ja, die gehen vielleicht noch, aber sonst? Die größten Probleme verschaffen dann noch diejenigen Gedichte, die sich eben nicht auf wenige Verse – möglichst noch in Reimform – beschränken, sondern sich über viele Seiten hinziehen. ‚Langgedichte‘ gelten als sehr schwer zu lesen, weil sie eine ganze besondere Konzentration auf den Text benötigen. Die ‚normale’ Lesegewohnheit, die auf handelnde Personen, auf Beginn und Ende einer Geschichte, einen durchformulierten Gedanken gerichtet ist, wird hier oft radikal enttäuscht. Dann doch lieber eine Short Story oder ein nicht zu ausufernder Roman.

Die brennende Welt

Wer sich nur so einem Text nähern kann, wird sicherlich mit der Lyrik des schwedischen Autors Göran Sonnevi seine liebe Not haben. Über viele Seiten sich hinziehende Gedichte, deren genaues thematisches Zentrum schwer zu benennen ist und die dazu auch noch in der Form variieren – da ist man als Leser schon sehr gefordert. Diesen Gedichten aber eine weltabgewandte Wortspielerei vorzuwerfen, ist nicht möglich. Hier werden die Leser geradezu sogartig mitten hineingezogen in die großen ‚Weltwunden‘ unserer Zeit: Genozide, Klimakatastrophen, Gewalt gegen Minderheiten, sinnloser alltäglicher Tod. Alles ist anwesend in diesen Langgedichten von Sonnevi, von Srebrenica, den Irak, Ruanda bis hin zu den kleinen Alltagsängsten des Autors. „“Rwanda. Ein Bild das sich immer klarer abzeichnet/ Einer der/ größeren Völkermorde, auch dieses Jahrhunderts/ die Kirchenasyle verwandelt in Schlachtstätten/ Überall/ liegen Leichen verwesende Körper, Kinder, Frauen, Männer/ die Zahlen steigen beständig……Der kleinere Völkermord in Bosnien geht weiter/ das Leiden ist unermeßlich/ wir zählen die Toten/ vielleicht sollten wir die Lebenden zählen/ Unsre Schuld wächst und wächst/ keine Kollektivschuld; die der persönlichen Verantwortung“. Was haben diese Texte in einer Edition zu suchen, die der zeitgenössischen Lyrik gewidmet ist? Schafft man es aber, sich diese Apokalypsen bis zum bitteren Ende zu stellen, beginnt man auch den diesen Autor treibenden Stachel immer besser zu begreifen. Hier schreibt jemand eine Poesie auf der Höhe der ungeheuren Informationsflut unserer Tage. Er wendet sich nicht ab von den Schreckensnachrichten, mit denen uns die Medien Tag für Tag, Stunde für Stunde ‚bombardieren’, sondern versucht ihnen schreibend, Poesie schreibend, standzuhalten. Und wie wir in dieser Flut immer mehr unterzugehen drohen, so reißen uns auch diese Gedichte über das „brennende Haus“, die überall brennende Welt mit. „Jeder individuelle Mensch der ermordet wird, brennt mit vollkommen klarer Flamme, welch ungeheures Feuer.“

“Es bleibt der Ozean“

Faszinierend aber auch, wie der Autor in den schwärzesten Apokalypsen immer noch einen Rest utopischer Glut findet. Mag sie nun religiös oder ganz und gar säkular begründet sein. „Uns erwartet ein größeres Meer, tosend“ (die letzte Zeile in dem Gedicht „Now’s the Time“) . Welches ‚größere Meer’ erwartet uns? Warum ein ‚tosendes Meer’? Man kommt einfach mit diesen episch weit ausholenden, ständig zwischen den großen Dramen der Welt und den kleinen Aufregungen des privaten Lebens hin und herspringenden Texten des Göran Sonnevi nicht zu Recht. Man liest und liest diese Langgedichte immer wieder, aber die Verstörung, die Provokation, die Erregung, die Ratlosigkeit bleibt. „Der Ozean ist in jedem Augenblick neu. Es bleibt der Ozean“.

Für den (verlegerischen) Mut, sich mit diesen Gedichtband souverän über jede ‚Marktnachfrage’ hinwegzusetzen, gebührt Ursula Heusgen, Michael Krüger und Raoul Schrott ein dickes Lob. Und die ästhetische und technische Gestaltung des Bandes als ganz ausgezeichnet zu beurteilen, erübrigt sich bei dieser Editionsreihe eigentlich. Man sagt und schreibt es aber trotzdem immer wieder gern.

Carl Wilhelm Macke

Göran Sonnevi: Das brennende Haus. Ausgewählte Gedichte, 1991 – 2005.
Aus dem Schwedischen von Klaus-Jürgen Liedtke.
Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München. 2009. 137 Seiten.