Zur Stelle gewesen
Von Wolfram Schütte
Das letzte Mal sah ich Gerhard Zwerenz (& sein Frau Ingrid) vor ein paar Jahren am Ausgang des Schwimmbads von Königstein i. T. Königstein liegt am Hang unterhalb des Großen Feldbergs, der höchsten Erhebung des Taunus. Hinter dem Feldberg in Oberreifenberg, auf ca. 800 Metern Höhe & im Winter häufig im Schnee, wohnen die beiden seit Jahrzehnten in ihrem eigenen Haus, das sich der Autor mit seinen Büchern redlich verdient hat.
Der in Sachsen geborene Autor ist zwar nie in die „Bundesliga“ der deutschsprachigen Literatur aufgestiegen, hielt sich aber längere Zeit auf einem respektablen Platz in der 2.Liga, mit gelegentlichen vorübergehenden Abstiegen in die 3. Liga – als er, so ehrlich & unumwunden wie von keinem zweiten einbekannte, dass er Bücher schreibe wie ein Handwerker seiner Arbeit nachgehe, um sich seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Nicht mit gedrechseltem „Kunsthandwerk“; eher wenn nötig & lukrativ (auch) unter Pseudonym mit leicht konsumierbaren Pornos.
Zwar hatte er mit dem erotischen Roman „Casanova – oder der kleine Herr in Krieg und Frieden“ (1966) einen frühen „Bestseller“ geschrieben – was ihm später aber nicht mehr gelang, so sehr er sich auch darum bemühte & wie sehr er es sich auch wünschte. Die Zahl seiner in immer wechselnden Verlagen erschienen Bücher ist kaum überschaubar & fast alle sind vergriffen – seit er mit 65 Jahren (1990) in literarischen Ruhestand gegangen ist. Danach hat der ehemalige Kupferschmied, Deserteur, russische Kriegsgefangene & Volkspolizist, der bei Ernst Bloch in Leipzig studiert hatte & 1957 mit seiner Frau in die BRD geflohen war, noch von 1994 eine Legislaturperiode für die PDS (!) im Bundestag gesessen – bevor er 1998 sich ganz aus der sogenannten „Öffentlichkeit“ zurückzog.
Der heute, am 3. Juni, neunzigjährige Gerhard Zwerenz war immer stolz besonders auf zwei biographische Fakten: sein proletarisches Herkommen & seine Desertion aus der nazistischen deutschen Armee 1944, das ihm jedoch vier Jahre Arbeitslager in der SU eingetragen hat. Gerhard Zwerenz, so meinungsfreudig & sozialismusfreundlich er trotz seiner biographischen Erfahrungen mit dem „Realen Sozialismus“ geblieben ist, war jedoch auch immer ein großherziger, verständnisvoller, menschenfreundlicher „Copain“ – um das derzeit vielfach ambivalente korrumpierte Wort „Genosse“ zu vermeiden.
Mir liegt daran, diese schätzenswerte Seite seines aufrechten, kämpferischen Charakters heute zu betonen. Als FR-Redakteur habe ich mehr- & vielfach Zwerenz kennen & schätzen gelernt. Weil der als Herausgeber & Chefredakteur unumschränkt autoritäre Herrscher der FR, Karl Gerold, in dem sächsischen „Proleten“, der „unter die (westdeutschen) Intellektuellen gefallen war“ (G.Z. ad se ipsum), sich selbst gespiegelt sah, wurde uns Redakteuren von Gerold – je nach seinen Launen – Zwerenz einmal „verordnet“ & ein andermal verboten. Zwerenz lebte in jenen Jahren bei Frankfurt, dem er seinen umfänglichen Gegenwartsroman „Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond“ widmete, aus dem Fassbinder sein skandalisiertes Theaterstück „Die Stadt, der Müll & der Tod“ destilliert hat. Zwerenz aber, der die Machtgefüge in der (bürgerlichen) Gesellschaft kannte (& missbilligte), wusste mit den Gunst- & Missgunstbeweisen seines Verleger-Verehrers & unseren Verlegenheiten souverän- freundlich umzugehen, so dass wir einen für uns beiderseits akzeptablen modus vivendi fanden & praktizierten.
Umso mehr, als wir ja sowohl seine Autobiografica („Kopf und Bauch“, „Der Widerspruch“) & seine kritische Wahrnehmung & Aufmerksamkeit der westdeutschen Gesellschaft (z. B. „Bericht aus dem Landesinnern“) durchaus schätzten.
In seiner „großen Zeit“ – den Sechziger & Siebziger Jahren – war der rebellische G.Z. ein guter, politisch verlässlicher bundesdeutscher Zeitgenosse, der sich mit Verve in Ernst Blochs aufrechtem Gang fortbewegte. Als Bundestagsabgeordneter hat er wie kein anderer die Ehre der deutschen Deserteure in einem Parlament verteidigt, in dem böswillig-unbelehrbare Nationalisten wie der furchtbare Alfred Dregger von der hessischen CDU sich auf ihre „soldatischen Tugenden“ an der Ostfront frech & schamlos auf die Schulter klopften.
„Alles hat seine Zeit“, heißt es lebensphilosophisch im Alten Testament. Gerhard Zwerenz hatte sie. Das weiß er, ohne Bitterkeit – weil mit berechtigtem Stolz. Denn als wir ihn brauchten, war er da & zur Stelle. Mehr zu wissen, bedarf´s nicht (& selbst wenn man nur noch der Einzige wäre, der´s noch wüsste).
Wolfram Schütte