Geschrieben am 11. Juli 2012 von für Kunst, Litmag

Foto: Wim Wenders: Places, strange and quiet

Romantische Verklärung

– Zugegeben, Wim Wenders hat einen sehr eigenen und durchaus fesselnden Blick, wie er seit Anbeginn seiner Tätigkeit als Filmemacher konsequent bewiesen hat. Wer bislang vermutete, die ausgeprägte Bildsprache des Regisseurs Wim Wenders verdanke sich seinen jeweiligen Kameramännern, wird überrascht umdenken dürfen, wenn er sich dem Photographen nähert, der hierzulande bislang weitgehend ignoriert worden ist. Was interessanterweise soweit geht, dass der Eintrag in der deutschen Wikipedia, diesen Bereich der künstlerischen Tätigkeit gleich völlig unter den Tisch fallen lässt. Von David Kregenow

Wer also ist der Photograph Wim Wenders? Eins ist er jedenfalls nicht: ein passionierter Amateur, der die Vorteile seines Hauptberufs dafür nutzt, piktorales Namedropping zu betreiben oder mit der Oberflächlichkeit exotischer Plätze zu kokettieren. Und obwohl die Orte, an denen er seine Motive findet, abseits der Reiserouten der meisten Pauschaltouristen liegen dürften, werden sie niemals zum Selbstzweck, zur Kulisse oder zum Klischee.

Unabhängig davon, wo er seine Motive findet, die auf konsequente Art „sonderbar ruhig oder auf eine ruhige Art sonderbar sind“, ob auf dem Balkan, im Süden Japans, in einem Tunnel bei Wuppertal oder an einer Straßenkreuzung im Westen der USA, eint sie eine menschenleere Verlorenheit, eine Trennung von ihrem jeweiligen kulturellen Kontext – was nicht zwangsläufig zu einer Allgemeingültigkeit führt – und eine Ästhetik, die von dem Stilempfinden und der Perfektion des Menschen hinter der Kamera Zeugnis ablegt.

Bei all der Ausgefallenheit der Motive, der technischen Perfektion der Aufnahmen und der sehr persönlichen Sichtweise, drängt sich aber auch ein gewisses Unbehagen auf. Menschenleere Orte, Verfall und Unbehaustheit, Ruinöses und Reliktiertes sind mittlerweile ein bildnerischer Allgemeinplatz, der in allen Fotoforen in epi(demi)scher Breite wiedergekäut wird und sich doch nur immer wieder um sich selber dreht, ohne dem Anspruch, eine Form von Gegenwartsarchäologie zu betreiben, gerecht zu werden.

Wie auch? Jegliche Form von bildlicher Zivilisationskritik ist automatisch zum Scheitern verurteilt, wenn man den Menschen aus dem Bildkreis verbannt. Der Blick, der sich ausschließlich auf die Hinterlassenschaften der Spezies richtet, geht unvermittelt ins Leere, weil die Relation fehlt: Lilliput oder Brobdingnag, wer immer diesen Spuren folgt, bewegt sich auf spekulativem Terrain.

Wim Wenders, Foto: David Kregenow

Diesem Dilemma ist auch Wim Wenders nicht entkommen und er umschifft es, indem er den Bildern Anmerkungen gegenüberstellt, die den Versuch unternehmen das zu leisten, was den Bildern an sich nicht immanent ist: einen Bezug herzustellen. Tatsächlich manövriert er sich damit aber in eine Situation, die er unbedingt vermeiden wollte. Wenn der Photograph sich explizit als Vermittler zwischen einem Ort, den er ablichtet, und einem potentiellen Betrachter des Bildes versteht, dann sollte der grundlegende Anspruch darin bestehen, dass ein Bild für sich selber steht und vom Betrachter verstanden wird. Indem die Bilder mit anekdotischen Erklärungen versehen werden, beraubt der Photograph den Betrachter nicht nur der Möglichkeit, eine eigene Geschichte zu entdecken, er kapituliert damit auch vor der Wirkung der eigenen Schöpfung und spricht seinen Bildern das Misstrauen in ihre Aussagekraft aus.

Diese Ambivalenz zeigt sich nicht nur in den Werken und dem Umgang mit ihnen, sondern ebenfalls in seinen Reflektionen zu dem Medium Photographie.

Am Auffälligsten wird dies vielleicht in einem Satz, der quasi das Credo seines Schaffens darstellt: „Jedes Bild erzählt eine Geschichte. Aber manchmal erzählt nur der Gegenschuss die Wahrheit.“ Wenn man einer Photographie überhaupt die Möglichkeit zugesteht, die Wahrheit abzubilden, wie kann man dann eine Unterscheidung treffen, dass die eine Photographie diese Wahrheit beinhaltet und die andere nicht? So einfach und verlockend das auch klingen mag, es ist eine gefällig formulierte Floskel, die keinen verwertbaren Inhalt aufweist. In einem Drehbuch würde sie dazu dienen, denjenigen, der sie ausspricht, als vermeintlich schöngeistigen Banalisten zu kategorisieren und auch im Zusammenhang mit den Photographien, entsteht daraus nicht mehr, als ein feuilletonistisches Bonmot mit begrenzter intellektueller Halbwertzeit.

Explizit kritisch wird es allerdings, wenn Wim Wenders weiter ausholt und deklariert, dass nur ein analoges Negativ bildliche Wahrheit und Wirklichkeit beinhaltet, weil digitale Bilddateien manipulierbar seien. Seiner Meinung nach ist ein analoges Bild etwas Unwiderrufliches und Einmaliges, ein digitales Bild hingegen auf Grund der sofortigen Sicht- und Löschbarkeit etwas Widerrufliches, Obsoletes.

Man könnte es dabei belassen, solche Äußerungen zu ignorieren oder bestenfalls als rhetorische Irrungen abzutun, würden sie nicht von jemandem stammen, bei dem man eine genaue Kenntnis der Geschichte des Mediums grundlegend voraussetzen kann. Welch seltsamer Lapsus ist es dann, wenn er in einem Satz eloquent kritisiert, wie einfach man ein digitales Bild verändern kann, um dann damit fortzufahren, dass er für eine seiner Aufnahmen, an einer Straßenecke platzierte Betonblumenkübel entfernen ließ. Was ungewollt zeigt, dass es weder die Wahrheit an sich gibt, noch irgendeine Kamera die in der Lage wäre, diese einzufangen – womit sich en passant eine der hartnäckigsten Plattitüden von Jean-Luc Godard erledigt hätte, der die Wahrheit ebenfalls auf Film verortete – vierundzwanzig Mal in der Sekunde.

All dies einmal außer Acht gelassen, bleiben immer noch die Photographien. Und die verdienen es, jenseits jeglichen Diskurses, dass man sich in Ruhe mit ihnen befasst. Zumal die knapp sechzig Großformate auf den drei Ebenen der ehemaligen Lagerhalle der Phönix-Reifenwerke, außergewöhnlich präsentiert werden. Und während man dort umherschlendert und das Dargebotene goutiert, könnte man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass der selige Geheimrat wohl nicht so gänzlich falsch lag, als er seinem Eckermann diktierte: Bilde, Künstler, rede nicht!

David Kregenow

Wim Wenders: Places, strange and quiet. HatjeCantz 2011.124 Seiten. 20,7 x 17,3cm. Hardcover. 24.80 Euro.

Wim Wenders – Places, strange and quiet: 14. April – 19. August 2012, eine Ausstellung der Deichtorhallen in der Sammlung Falckenberg in Hamburg.

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