Geschrieben am 21. März 2012 von für Comic, Litmag

Finnish Comics Annual 2011

Himmel im Hirn

– Es ist jetzt ziemlich genau eine Messe her, dass ich stromernd in etwas sehr Großes, Pinkes in Frankfurt am Main reingelaufen bin. Abholen durfte ich mir dieses Große, Pinke, auf dem in gewaltigen Lettern FINNISH COMICS ANNUAL 2011 prangt, übrigens im Finnland Institut in Berlin, das eine ausgesuchte Bibliothek und Schönes aus dem hohen Norden in hellen Räumen von freundlichen Finnländerinnen bietet (mir ist kein Mann über den Weg gelaufen). Charlotte von Bausznern über die gewichtige Werkschau finnischer Comickünstler.

Man muss die ersten rabenschwarzen Seiten nach dem pinken (ich will‘s nur nochmal betonen) Umschlag fest halten, denn diesem Band, der ein Koloss ist, wohnt eine Menge Spannung inne. Auf mehr als 300 großformatigen Seiten (etwa so groß wie mein Brustkorb) präsentiert die Finnish Comics Society (Suomen Sarjakuvaseura im Original, klingt schöner) kürzere und längere, neuere und ältere Comcis von zwanzig Autoren und Autorinnen. Manche sind dem Kenner ein Begriff, viele wohl noch nicht. Ich bin kein Kenner und hab mich drum ganz willig an die Hand nehmen lassen von Ville Hänninen, dessen urpersönliche Zusammenstellung diese erste Ausgabe des Finnish Comics Annual ist.

Kompromisslos und leidenschaftlich zwischen Panels

Hänninen, selbst Autor und Journalist, führt ein in den „Himmel im Hirn“, in die oft beängstigende Realität der finnischen Comickünstler, die schon nur deshalb kompromisslos und leidenschaftlich sein muss, weil es Finnland nie zu einer „Comic Industrie“ von nennenswerter Größe geschafft hat. Sagt Hänninen: Wer in Finnland zeichnen will, wird damit kaum reich werden. Umso reicher die Welt zwischen Panels.

Eine wilde Stilzusammenstellung, manchmal brutal mit schnellem Strich, manchmal von scheinbarer Weichheit in der Farbe, dann wieder die klaren, kalten Umrisse von Marko Turunen, dessen Protagonisten man trotz ihrer zeichnerischen Absurdität lieb gewinnt, die feine Farbigkeit von Amanda Vähämäki und Terhi Ekebom, die minimalistische Tusche von Jenni Rope, natürlich der unverwechselbare Matti Hagelberg …  Alle Geschichten beginnen in einer Realität, alle arten aus, in beinah allen schiebt sich eine zweite, fantastische Welt in die Bilder, die dann mehr klaffende Abgründe und Himmelsrichtungen im Inneren in aufregender Parallelität zum Äußeren zeigen.

Kaleidoskopische Höhepunkte

Um ehrlich zu sein, interessiert hat mich diese Anthologie hauptsächlich wegen Pauliina Mäkelä, die Panelgrenzen auflöst, wie es mir noch nie begegnet ist: kaleidoskopische, plastische Bleistiftzeichnungen um ein Mädchen im Wolfspelz und magische Eulen. Das ist zu schön, um Fantasy zu sein, zu befremdlich, um klischiert zu wirken. Überhaupt haben die Comics der vertretenen Künstlerinnen eine Zärtlichkeit, die erschreckend brutal gewohnte Erzählstränge aufbricht.

Artist: Pauliina Mäkelä

Man kann sich wundern, warum Hänninen unbedingt mit Kati Kovâcs beginnen und den Leser mit viel körperlichen Details provozieren muss – wo die Provokation in den folgenden Comics auf ganz anderer Ebene, zwischen Erzählung und Zeichnung, stattfindet. Dennoch liegt die Glanzleistung des Finnish Comics Annual 2011 gerade in der persönlichen Zusammenstellung eines Herausgebers, die so offensichtlich nicht allen gerecht werden will und muss.

Wer soll das denn tragen

Die nächste Ausgabe ist übrigens bereits angekündigt für diesen Monat, und auf der Homepage der Finnish Comics Society finden sich endlos aufblätternde weitere Beispiele der Autoren und solcher, die man vielleicht demnächst bewundern darf. Abschließend möchte ich deshalb das Wort an Mari Ahokoivu abgeben, die ebenso finnisch und traurig-humorvoll zeichnet und das vielleicht einzige Manko benennt: „Thank god I didn’t win in the comics battle at the Nordicomics party tonight, I don’t want to carry any Finnish comics annuals back home.“ (Für solche Bücher braucht man Goethes Stehlesetischchen!)

Charlotte von Bausznern

Ville Hänninen (Editor): FINNISH COMICS ANNUAL 2011. HUUDA HUUDA & The Finnish Comics Society 2011. 304 Seiten. 32.5x25cm. Pink. 30,00 Euro. Artists: Terhi Ekebom, Matti Hagelberg, Jyrki Heikkinen, Ina Kallis, Kati Kovács, Reijo Kärkkäinen, Jarno Latva-Nikkola, Hanneriina Moisseinen, Tommi Musturi, Pauliina Mäkelä, Jyrki Nissinen, Ville Pirinen, Aapo Rapi, Jii Roikonen, Jenni Rope, Jukka Tilsa, Marko Turunen, Riitta Uusitalo, Jari Vaara and Amanda Vähämäki

Und da würde ich unbedingt weitergucken: Die offizielle Seite der Finnish Comics Society, Mari Ahokoivu’s Blog, was richtig Verrücktes: „Glömp X“ im Huuda Huuda Verlag und das Finnland Institute in Deutschland.

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