Schön schön schön.
– Henrike Heiland über die Literaturverfilmung „Anna Karenina“.
Werfen wir gleich zu Beginn mit Namen um uns: Regie: Joe Wright („Stolz und Vorurteil“, „Abbitte“, „Der Solist“). Kamera: Seamus McGarvey („The Hours“, “Abbitte, „Der Solist“). Musik: Dario Marianelli („Stolz und Vorurteil“, „Abbitte“, „Der Solist“). Hauptdarstellerin: Keira Knightley („Stolz und Vorurteil“, „Abbitte“, „London Boulevard“), und die anderen Schauspieler kennen sich und das Team bestimmt auch schon von früher. Das Drehbuch schrieb Tom Stoppard (den kennt man als Dramatiker, definitiv aber als Drehbuchautor von „Shakespeare in Love“). Da kann man einen Strich drunter machen und sagen: Historiendramen, das können die alle, das haben die schon zigmal gemacht, mit Erfolg, mit Auszeichnungen, mit Lob. Und jetzt, never change a winning team, „Anna Karenina“.
Schöne Frauen der Filmgeschichte spielten diese Rolle schon, Greta Garbo, Vivien Leigh, zuletzt Sophie Marceau, und jetzt eben Keira Knightley. Diese tritt leichtfüßig in die Fußstapfen ihrer Vorgängerinnen, wird wunderschön und makellos präsentiert, zeigt selbst die Gefühlsverwirrungen der Karenina am liebsten durch zuckende Mundwinkel und geworfene Blicke. Nicht nur Knightley ist schön, sondern auch so ziemlich alles andere (außer Jude Law, der ihren Ehemann spielt, der ist diesmal nicht schön, aber das ist Absicht). Die Kostüme, die Kulissen, die Bilder, wunderschön. Und dazu noch dieser Regieeinfall, alles, was in den Städten spielt – Moskau, St. Petersburg – vor erkennbar gemalten Kulissen wie in einem Theater spielen zu lassen. Die Darsteller laufen auch schon mal durch die Seitenbühnen und direkt an den Scheinwerfern vorbei, begegnen sich beim Szenenwechsel, und wenn die Kamera aufzieht, um die Eisenbahn in der Totalen zu zeigen, sieht man, es ist eine Spielzeugeisenbahn in einer Modelllandschaft. Sehr schöne Idee. Macht tolle Bilder, öffnet Raum für weitere interessante Regieeinfälle.
Die Bühne verschwindet nur in den Szenen auf dem Land, wo Gutsbesitzer Kostja Ljewin lebt – einfach, aber frei und vor allem ehrlich. Im Reinen mit sich, gut zu seinen Arbeitern. Und als die von ihm über alles geliebte Kitty nun doch nicht vom Grafen Wronski geehelicht wird (es kommt ja Anna dazwischen), heiratet er sie und bildet damit als Gegengewicht zur Liebe, die nicht sein darf, das perfekte Beziehungsglück. (Darüber, wie glücklich das Landleben 1874 in Russland gewesen sein mag, mag an dieser Stelle nicht spekuliert werden.)
Die Spielereien mit Verfremdungseffekten gehen noch weiter: In der Ballszene, die zum Thema hat, wie sich Anna und Graf Wronski ineinander verlieben, erstarren die anderen Gäste, bis sie durch das sich drehende Paar wieder zum Leben erweckt werden. Die sehr artifiziellen Tanzbewegungen werden von den Schauspielern fast schwebend ausgeführt, und wie dann das Liebespaar herumwirbelt und der Rest der Welt die Luft anzuhalten scheint … Ja, das sieht gut aus.
Kein Gefühl, nirgends
Und ja, jetzt sind wir beim Problem des Films: Denn statt mitzuerleben, wie sich da zwei so sehr ineinander verlieben, dass ihnen gesellschaftliche Konventionen auf immer und ewig egal sind, denkt man darüber nach, was einem der Regisseur gerade sagen will und freut sich, dass man seine Intention zu verstehen glaubt. Ah, die bessere Gesellschaft, jaja, Theater, die Stadt, die Welt ist eine Bühne, alles künstlich und unecht. Oh, das Liebespaar dreht sich im Tanze, und um sie herum bleibt die Welt einfach stehen, deshalb erstarren die anderen, interessant.
Schön, solche Erkenntnisse zu haben, und es werden noch mehr. Jede Figur hat irgendwann den Punkt, an dem sie einen Schlüsselsatz äußert, der dann erklärt, warum etwas geschehen ist oder geschehen wird, warum jemand so oder so handelt. Dramaturgisch gesehen ist alles da. Keine Fragen bleiben unbeantwortet, keine Enden lose. Und doch fehlt etwas: Emotionen. Ausgerechnet die Verfilmung einer der bekanntesten Liebesgeschichten schafft es nicht, Emotionen zu erzeugen. Die Schauspieler bleiben Schauspieler, die Figuren darstellen, auch wenn sie in ihren Rollen so tun, als würden sie die Bühnenscheinwerfer nicht sehen, die Kulissen nicht bemerken.
Das Wichtigste dieser Geschichte, das Entstehen und sich Entwickeln der Liebe zwischen Anna und Wronski, wird durchweg nur behauptet oder auf Distanz gehalten. Knightley mag hübsch anzusehen sein, wie sie sich innerlich erst noch ein wenig gegen Wronski sträubt, aber warum sie ihm so verfällt – es bleibt ein Rätsel. Mit Aaron Taylor-Johnson fehlbesetzt, ist dieser Wronski niemand, der sich für große Liebe eignet: wirkt er doch viel zu jung und oberflächlich, ohne Abgründe, ohne echten Reiz, zumal albern mit seinem Bärtchen und den blondierten Löckchen. Was wiederum auf die Rolle Karenina negativ zurückfällt, denn sie erscheint angesichts dieses Liebhabers nur egoistisch, ja ihrem unattraktiven, strengen Ehemann gegenüber aufsässig.
Ihr späterer Kampf um ihren Sohn präsentiert sich hysterisch statt durch Mutterliebe motiviert, und wenn sie dem Opium verfällt, ist dies nur noch ein Abhaken von Plotpoints, um endlich zum unvermeidlichen Selbstmord zu kommen. Nein, man weint nicht, wenn sie sich vor den Zug wirft. Warum auch. Es ist sowieso nur eine Spielzeugeisenbahn. Und sie war sowieso nur in den Kerl verknallt, weil es im Drehbuch stand. Außerdem war es die ganze Zeit nur Keira Knightley, die Schauspielerin. Nie eine Anna Karenina.
Aber schön fotografiert ist er, der Film.
Henrike Heiland
Anna Karenina, 2012. Drama nach einem Roman von Leo Tolstoi. Regie: Joe Wright. Cast und Crew finden Sie hier.