Geschrieben am 18. September 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Festivalbericht Sprachsalz Nr. 11

Sprachsalz211. Internationale Tiroler Literaturtage Hall (13.–15. September 2013)

– Auch Sprachsalz getauft. Ein Festivalbericht von Senta Wagner.

Zu viel davon soll ja schädlich sein: Salz. In der speziellen Form, wie es jetzt in Hall in Tirol dargereicht wurde, ist es unbedenklich in jeder Menge: als Sprachsalz. Geschmackssache bleibt es trotzdem.

Tirol bedeutet zunächst einmal hohe Berge. Hall ist im Inntal in der Nähe von Innsbruck gelegen, umgeben also von solchen, die in dieser Jahreszeit entweder schneebedeckt sind, als schroffe Felsen oder weiche grüne Almen daliegen. Das dreitägige herbstliche Festival Sprachsalz bettet sich genau in diese Kulisse. Stadt- und Festivalname müssen sich gegenseitig inspiriert haben, denn Hall bedeutet Salz (mittelhochdt. hal) und als deren Lieferant wurde die Salinenstadt einst reich und berühmt. Die gut erhaltene mittelalterliche Altstadt hat einen besonderen, ja musealen Charme, ein Herausfallen aus der Gegenwart ist möglich. Des Weiteren befinden sich dort so hübsche Einrichtungen wie ein Freiluftinhalatorium (Gradierwerk). Und so kommt eins zum anderen, und alles ist Sprache und Salz und gesund.

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Elfte Ausgabe

Letztes Jahr feierten die Literaturtage mit Erfolg ihr zehntes Jubiläum. Mit diesem Vorschuss an wachsender regionaler und überregionaler Bedeutung wurde jetzt die elfte Ausgabe im Haller Parkhotel veranstaltet. Die Berge ein wenig im Nebel. Festivals der Literatur haben es an sich, Autoren mit Lesungen zu präsentieren. Deren Auswahl und Anzahl obliegt den Damen und Herren der Organisation. Im besten Fall, wie in Hall um Organisator Heinz D. Heisl, sind diese selbst Schriftsteller oder Lesemaniaks. So wird herbeigeholt, zusammengewürfelt, was gefällt und gut ist, werden persönliche Lieblinge neben Literaturgrößen gestellt, in dem Wunsch ein „interessantes und hörenswertes“ Programm anzubieten, das ebenso vielstimmig ist, wie die gegenwärtige Literatur es eben ist.

Mit den aus Österreich, der Schweiz, Argentinien und den USA angereisten fünfzehn Autorinnen und Autoren ist dies unterhaltsam und lebendig gelungen. Hall ist damit kein reiner Marktplatz für Novitäten. Auch ältere Publikationen waren im Gepäck, und manch ein Autor, eine Autorin stellte gar spontan das eigene Leseprogramm um. Einen besonderen Reiz machten dabei das Horizontale und das Vertikale des Festivalgeschehens aus: bis zu drei, leicht zeitversetzte Lesungen gleichzeitig und bis zu sechs hintereinander. Das Publikum (ca. 3500 Gäste) trieb wie eine beglückte Herde durch Hall von einem Leseort zum anderen (Parkhotel, Medienturm und Stadtbücherei) – und verpasste fast keinen Autor, Autorin, da alle zweimal lasen (samt Moderation). Nähe und Austausch ergaben sich fast automatisch. An dem freien Eintritt wird dankenswerterweise seit Beginn von Sprachsalz festgehalten.

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Lyrik – gut gesalzen

In Hall wird Lyrik großgeschrieben. Mit andächtiger Stille wurde den berührenden Kürzestgedichten der scheuen österreichischen Lyrikerin Waltraud Haas gelauscht. Viel Anerkennung gab es nicht nur vom Publikum, sondern auch von den Kolleginnen und Kollegen.

Einen starken Kontrast dazu setzten die Gedichte des in San Francisco lebenden Amerikaners Alan Kaufman. Der Band „Zwangsjackenelegien“ ist 2013 erstmals auf Deutsch erschienen und aus ihm wurde zweisprachig gelesen. Das ist deftige Poetry Kultur und die Stimme einer neuen Generation. Kaufman sei in den 90ern einer der Mitbegründer der Spoken Word Bewegung gewesen, die eben nicht in Berliner oder Hamburger Literaturhäusern entstanden sei, sagt er.

Die in Berlin ansässige deutsch-türkische Dichterin Zehra Çɪrak trat ebenfalls mit bemerkenswerter Lyrik und Prosaminiaturen an.

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Ulrike Ulrich

Damengrüße aus der Schweiz

Bettina Spoerri las Auszüge aus ihrem Romandebüt „Konzert für die Unerschrockenen“, das von „Erinnerung und Aufbruch“ erzählt. Die Autorin selbst spricht von einem Vaterbuch. Sie spannt darin sprachlich sicher und einfühlsam große Erzählbögen um die Figur Anna. Mit Hilfe von Tagebucheinträgen aus der sensiblen Vor-, Kriegs- und Nachkriegszeit sowie präzisen Bildbeschreibungen erkundet diese das Leben ihrer Nächsten, im Besonderen ihr eigenes.

Die aus Düsseldorf stammende Wahlzüricherin Ulrike Ulrich macht bereits mit ihrem zweiten Roman auf sich aufmerksam. Bei ihrer ersten Lesung, wo sie aus „Hinter den Augen“ vortrug, musste angestuhlt werden. Aufmerksam folgten die Zuhörer ihrem besonderen Sound kurzer und kürzester Sätze, der nachhallte. Eine Stunde in der Röhre, ein Tumorcheck, bedeutet für eine Frau eine lange Stunde. Ja, was? Zeit? Jedes Schnittbild des MRTomografen ist gleichsam ein Schnitt ins eigene Leben, ins eigene Bewusstsein. Hier dehnt sich Zeit und eilt doch dahin.

Verstärkt wurden die beiden von Erica Pedretti, Anne Cunéo und der slowakisch-schweizerischen Schriftstellerin Irena Brežná. Die 83-jährige Pedretti wurde 2013 mit dem Schweizer Literaturpreis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet und trägt zu Recht den Beinamen Grande Dame.

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Markus Köhle

Herrenrunde

Die Youngsters der Literaturszene waren mit Michael Stavarič, der aus seinem neuen Roman „Königreich der Schatten“ las, dem Wiener Hanno Millesi und dem Spoken Word Meister Markus Köhle vertreten, der die Lacher auf seiner Seite hatte. Mit großer Geste und klopfenden Jamben deklamierte er von der Galerie der Haller Stadtbücherei herab auf mehr als hundert Gäste seinen artistischen „Minnesang von heute“. Hier schreibt und performt einer „um sein Leben“. Als Tiroler Autor („Knödel“) eröffnete er traditionell den Sprachreigen.

Aus Buenos Aires reiste mit Hernán Ronsino ein „Shootingstar der südamerikanischen Literaturszene“ an. Bei den ebenfalls zweisprachig gehaltenen Lesungen präsentierte er seinen jüngsten hochgelobten Roman „Letzter Zug nach Buenos Aires“ erstmals im deutschsprachigen Raum.

Wenn Humor als „Tarnung“ daherkommt: Die Würze beim Sprachsalzfestabend lieferte Max Goldt mit seinem gelassen-amüsanten Beitrag. Er kann das, scharfsinnig und voller Ironie Allerweltskleinigkeiten zu Elefanten aufdonnern. Da standen in manchen Augen Tränen.

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Max Goldt (Foto: Sprachsalz/Marc Tschudin)

Das Festival Sprachsalz schließt mit der Lesung des Überraschungsgasts, dem „Publikumsmagnet von Stunde Null an“. Martin Walser las aus „Die Inszenierung“. Der Schriftsteller fand nicht zum ersten Mal in die Berge hinein und wieder hinaus.

Senta Wagner

Zur Homepage des Festivals. Fotos: Senta Wagner

Bibliografie

Waltraud Haas: Selbstporträt auf rotem Grund. Gedichte. 2012; Zwerchfellgewitter. Gedichte. 2009. Wien: Klever Verlag.
Hernán Ronsino: Letzter Zug nach Buenos Aires. Zürich: Bilger Verlag 2012.
Markus Köhle: Hanno brennt. Wien: Milena Verlag 2012.
Alan Kaufman: Zwangsjackenelegien. Gedichte. Zirl: Edition BAES 2013.
Bettina Spoerri: Konzert für die Unerschrockenen. Wien: Braumüller Verlag 2013.
Ulrike Ulrich: Hinter den Augen. Wien: Luftschacht Verlag 2013.
Michael Stavarič: Königreich der Schatten. München: C.H. Beck 2013.
Hanno Millesi: Granturismo. Wien: Luftschacht Verlag 2012.
Martin Walser: Die Inszenierung. Berlin: Rowohlt Verlag 2013.

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