Geschrieben am 29. September 2012 von für Comic, Litmag

Festivaltagebuch (II): Venus, Jupiter, Pluto und Saturn

Neue Empfängerdaten vom Planetenhopping am Comicfestival Hamburg von/an Charlotte von Bausznern:

II.I Mittagessen: ausgefallen.

Mit aufkeimendem Hungerast im Panterkäfig, wo keine wilden Tiere wohnen. Britta Kussin kann das: Beiläufiges in Elementares verwandeln. Bildfolgen, die eine Geschichte ergeben, die nach dem letzten Panel noch weiter geht. Mimiken und Menschen abbilden, die nicht überkippen wie Kaffeemilch bei der gestressten Kellnerin. Tiere als Moment verwenden, ohne emotionale Pappnasen draus zu machen. Ich wage mal zu sagen: Absichtlich am Handwerk Vorbeigekritzeltes bleibt halt bloss schräg. Mehr Wärme bitte.

II.II

Das Abendessen von gestern kommt zum zweiten Frühstück wieder hoch. Es war lecker.

 

 

Gabrielle Bell : Real Time Fictional Autobiographies in der Affenfaust

 Wir sind jetzt bei dem Grundsätzlichen angekommen, also bei den Monden und Planeten. Der Mond nimmt zu, Hamburg überfrisst sich an Comics, fünf Ausstellungen eröffnen gleichzeitig, Saturday, September 29th, 2012. Der Tag an dem geschrieben wird, ist nicht der Tag an dem es passierte, by the way. Start here, hat Gabrielle Bell an die Wand der Affenfaust geschrieben. Die Affenfaust hat einen blauen Plastikboden und ist ein offener Raum, der es gut mit sich und seinen Kunstwerken aushält. Lou Reed, Patti Smith, es wird gepflegt aufgelegt.

Sie hat sich nicht wirklich was gewünscht, Hauptsache Indie.

Und Gabrielle Bell sitzt auf der Treppe mit einem Schutzschild aus Papier und unterhält sich mit freundlichen Gästen. Wie aufrechte Dominosteinchen reihen sich ihre gerahmten Originalblätter an den Wänden. Kariertes Collegeblockpapier in A5, mit Tinte ins Notizpapier (das in unleserlicher Geheimschrift gefüllt ist, manchmal auch in Pink). Sie hat viele Notizblöcke. Ich frag sie nicht nach dem System dahinter, das wäre anmassend, wir unterhalten uns über Papier, Skizzen und Reinzeichung, Bären, Orientierung auf dem Blatt und die Bewegung von Körpern. Sie sieht aus wie ihr gezeichnetes Selbst, aber eher so wie wenn man sein Kind rückblickend im Säuglingsfoto wieder erkennt.

Man könnte ja auf die Idee kommen, dass ihr bei all den gezeichneten Schreibblockaden das Tagebuchzeichnen ziemlich auf den Keks geht. Aber von den kürzeren Sachen lernt man mehr, sagt sie. Muss nicht eine Sache bis zum Geht nicht mehr durchziehen.

Den Datedoctor der Affenfaust sollte ich noch erwähnen. Gestern trank er Limonade, im Dienst nur Wasser.

 

Nicolas Mahler : Kleine Philosophie- und Witzeausstellung in der Linda

 

Linda und Mahler. Ist das deprimierend? Es ist dunkel, es regnet, es läuft so gut wie keine Musik und Mahlers Sendungen in Abwesenheit sind dank ihres sagenhaften Minimahlismus schnell eingesogen. Lustig, ja, tut gut. Mal nicht so heiliger Ernst von Bleistiftzeichnungen.

Einmal hat er Nietzsche mit jemandem anderen verwechselt.

Es nutzt nichts, ein Ungeheuer zu sein, wenn man nicht gleichzeitig ein Theoretiker des Ungeheuren ist. Ist Nicolas Mahler ein Ungeheuer?

Schade lässt sich das nicht überprüfen.

 

Birgit Weyhe und Marijpol : Maschines Wege sind unergründlich… im Druckdealer

Bei Birgit Weyhe und Marijpol drängelt sich schon einiges. Geburten, Farben, russische Revolutionistas, Laufpublikum. Ich bleib auch nicht lang allein: Ein Marktstrassen-Hamburger mit Hut ist natürlich der als einziger bestens vom Lagerfeuer beleuchteter, nachdenkliche Marijpoler. Ich bin das zu lange Walross, das gerade irgendwas gegessen hat. Wer ist der grimmige Eremit mit dem geklauten Schrumpfkopf? Wir dröseln bald zu dritt die Weyhe-Marijpolsche Transmutation auf, von ganz links (Zahnbürsten) bis ganz rechts (diamantene Superheldin). Zitronen, Wischmobs, Schwerter, Brillen, programmatisch gründlich unergründlich (das Symbollexikon ist grad nicht zur Hand), manchmal technisch, so unterschiedlich, rätselhaft und dinghafter Übergänge.

 

Tom Gauld : Goliath im Hinterconti

Tom Gauld unterhält sich gerade mit jemand anderem. Seine Goliath-Blätter sind hinter Glas an die Wand genagelt. Goliath ist so eine Mischung aus Wickie, Thorgal und Asterix für Erwachsene, die zu viel begriffen haben vom Leben und trotzdem lieber Käsehochs bleiben wollen, oder? Grosse Jungs gucken sich hier rum. Ich will einen Sessel und das Buch.

Tom Gauld sagt (nicht zu mir): Illustration pays the bill. Der andere sagt zwar, es sei eine stupid question, aber was wäre denn der Trick, und Tom Gauld antwortet (das klingt nicht so sympathisch, war es aber sehr): Lass dein Auftraggeber spüren, dass du für ihr Geld ein echter Hacker der Story bist, das kommt gut. Aber eventuell hab ich da auch was falsch verstanden.

 

Marko Turunen : Der Tod klebt an den Fersen im Vorwerkstift

Von Marko Turunen darf ich keinen Originalsatz aufschreiben, sonst redet er nie wieder ein Wort mit mir. Also: Geometrische Tapegesichter. Und seine Legomasken. Und natürlich der Fremdling und E-Eisenfrau, die, macht man ihnen einmal die Tür auf, gleich zur gern gesehenen Verwandtschaft gehören.

Gabrielle Bell huscht vorbei und fragt, ob Turunen der finnische Comicstar sei. So wie er seit zehn Minuten bei der DJane hockt, um eine Widmung in sein endlich auf deutsch erschienenes Buch zu zeichnen, dürfte ihm das Stardasein mindestens so ambivalent vorkommen wie Bell.

Der Fremdling spielt auf einem nicht sonderlich fröhlich aussehenden Spielplatz, findet Bell. Wir reden noch ein wenig über Turunens eigenartige Weise, Stilmittel zu kombinieren. Das ausgelegte Buch wandert von einer ungeduldigen Hand zur nächsten. Die Gänge füllen sich mit rauchenden, feiernden Comicfreunden. Astronauten.

 

Es gab: Sternzeichen Silberfische. Laub in den Türeingängen, Zahlen an den Wänden auf Nagelhöhe, Aschenbecher vor Fensterscheiben, einen unbeleuchteten Hinterhofflur (artgerechte Übersetzung des roten Teppichs). Kettenraucher. Mehr Menschen, weniger Monster. Auch weniger Menschen im Tierfell. Grössere Umlaufbahnen (innerlich gesehen).

Jetzt: Sonne. Ab zum Börsenplaneten und in Richtung Hafen, weiter ankommen.

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