Geschrieben am 13. April 2007 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Europäischer Übersetzerpreis für Barbara Kleiner

Barbara Kleiner – eine preiswürdige Übersetzerin

„Die Bekenntnisse eines Italieners“ von Ippolito Nievo haben, so schrieb der italienische Schriftsteller und Literaturkritiker Claudio Magris einmal, „bislang noch nicht die ihr gebührende Beachtung und internationale Würdigung gefunden“. Zwar lag dieser Großroman aus der Tiefe des italienischen Neunzehnten Jahrhunderts schon lange in deutscher Sprache vor, aber die zähe Übersetzung des Textes von Charlotte Birnbaum machte es schwer, das im Italienischen temporeiche und auch ironische Buch wirklich von der ersten bis zur letzten Zeile zu lesen. Und dann hatte der Suhrkamp Verlag aus vermutlich marktopportunen Gründen dem Buch auch noch den Titel ‚Pisana’ verpaßt, mit dem man wohl die wichtigste Nebenfigur des Bandes aufwerten wollte. Mit dem Originaltitel hatte das alles aber nichts mehr zu tun. Eine editorische Glanzleistung war ‚Pisana’ gewiß nicht.
Seitdem Barbara Kleiner das Buch vollkommen neu übersetzt und mit einem vorbildlichen editorischen Apparat versehen hat, steht der von Magris eingeforderten Würdigung des Buches nichts mehr im Wege. Wo Suhrkamp kläglich versagte, hat der kleine feine ‚Manesse-Verlag’ (jetzt zur DVA-Gruppe gehörend), eine editorische Meisterleistung vorgelegt (Ippolito Nievo: Bekenntnisse eines Italieners. Aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Kleiner. Nachwort von Klaus Harpprecht, Band 1 & 2: 1679 Seiten / Zürich 2005 ).

In dem Anfang 2006 in den Feuilletons aufloderndem „Übersetzerstreit“, in dem Fragen einer angemessenen Honorierung für die geleistete Übersetzerleistung im Vordergrund standen, wurde die „Arbeit am Text“ nur selten thematisiert. Am Beispiel der Neu-Übersetzung des an Seitenzahl und an inhaltlichen Anforderungen großen Romans von Ippolito Nievo koennte man das einmal konkret nachholen. Das Buch umfaßt in der Edition des ‚Manesse-Verlages’ ca. 900 Textseiten und 481 zum Teil sehr umfangreiche Anmerkungen. Um ein Buch in eine andere Sprache zu übersetzen, reichen oft Kenntnisse der Grammatik und des jeweiligen Wortschatzes nicht aus. Man muß sich noch die Zeit nehmen, parallel zur Übersetzungsarbeit andere, im Zeitkontext des Buches stehende, Romane, Briefwechsel, Tagebücher, Lyrikbände etc. lesen, um den richtigen Sprachrhythmus oder eine angemessen Wortwahl treffen zu können.
Ein großer Teil des Romans von Ippolito Nievo ist in der Landschaft auf dem Festland vor Venedig situiert. Zwar dürfte es schwer sein, dort heute noch irgend etwas von dem Fluidum dieser Landschaft des 19. Jahrhunderts, als das Buch geschrieben wurde oder gar aus dem 18.Jahrhundert, dem Zeitpunkt der Handlung, zu finden, aber trotzdem hat sich die Übersetzerin dorthin begeben, um in den lokalen Archiven zu recherchieren und „vor Ort“ nach vielleicht noch vorhandenen Ruinen der Erzähllandschaft zu suchen.Erst in der Übersetzung von Barbara Kleiner kann man auch im deutschen Sprachraum die in dem Roman vorhandenen „großen Gefühle“, seine Dramatik, seinen Schmerz, seine Trauer, aber auch seine Leichtigkeit und seine Ironie entdecken. „Ein spritziges, abwechslungsreiches Gespräch, das über alle Facetten Eurer Seele hingleitet wie die Hand über eine Klaviatur, das Hirn und Zunge anregt, hierhin zu eilen und dorthin zu springen, das Euren Intellekt reizt und überreizt, bereitet besser auf das Mittagessen vor als alle Absinthe und Wermuts der Welt.“
Von diesen kleinen en-passant-Weisheiten quillt das Buch über. So bemerkt man zu keinem Zeitpunkt der Lektüre, daß man ja einen fast tausend Seiten umfassenden Schmöker vor sich hat. Kann man einer Übersetzung ein besseres Lob ausstellen?

Ohne jede Einschränkung und vollkommen zurecht hat Barbara Kleiner für diese übersetzerische Meisterleistung jetzt den diesjährigen „Europäischen Übersetzerpreis“ der Kunststiftung Nordrhein-Westfalens zugesprochen bekommen. Wenn man weiß, wie viele Arbeitsstunden, wie viele Recherchen in den Archiven, wie viele verzweifelte Vermittlungskämpfe zwischen dem Original und dem deutschen Text hinter einer solchen Übersetzungsleistung stecken, dann weiß man erst die ideelle und auch die nicht geringe materielle Würdigung durch einen solchen renommierten Preis zu schätzen. Auguri, Barbara Kleiner.

Carl Wilhelm Macke