Geschrieben am 16. Dezember 2017 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2017, Litmag

Essay: Markus Pohlmeyer: Weihnachten kommt aus Indien – Interdependenzen. Ein Versuch

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Prolog                                                               

„Im Anfang war das Wort, /
und das Wort war bei Gott, /
und das Wort war Gott.“[1]
„Die Benennung von Dingen,
die »der erste Anfang der Rede ist« (RV X 71,1),
läßt diese erst ins Dasein treten.
So ist die Göttin Vāc,
zumindest in den Augen der Dichter,  
die eigentliche Schöpferin der Welt.“[2]

Das Problem

Der Titel könnte entweder eine neue These formulieren (die im Grunde gar nicht so neu ist) oder einfach nur das Interesse der geneigten Leserschaft gewinnen wollen, aber sich bei näherer Analyse verflüchtigen. Es wäre aber – um des Gedankenexperiments willen – erstens zu klären, wie Weihnachten überhaupt entstanden und was darunter zu verstehen sei:[3] die exegetische Basis des Neuen Testamentes, die Entwicklung womöglich unter Konstantin dem Großen beginnend, die dogmatischen Voraussetzungen und Problematisierungen, die missverständliche und missverstandene Formulierung wie Jungfrauengeburt (mit einer fatalen Wirkungsgeschichte) usw. Hinzukommt eine ungemein produktive Rezeption: in Literatur und Kunst, auch in Hinblick auf ethnologische Dimensionen. Und schließlich das globale Konsumfest …

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Kulturkontakt: Alexander der Große und die Seidenstraße

Und zweitens: Was wäre mit Indien gemeint? Welches Indien? Das der Antike bzw. all jenes, was die Antike zur Zeit eines Alexanders des Großen oder im Römischen Reich der Kaiserzeit davon zu wissen glaubte?

indien1„Doch Alexanders kurzer Eroberungszug wirkte in kaum zu ermessender Weise auf der kulturellen und wirtschaftlichen Ebene weiter: Einflüsse der hellenistischen Kultur, die schon im Maurya-Reich aufgenommen wurden, prägten zutiefst die im Nordwesten Indiens entstehende einheimische Gandhara-Kultur (1.–5. Jh. n. Chr.) sowie die dortige buddhistische Kunst […]. Nordwestindien, im unmittelbaren Einzugsbereich der Seidenstraße[4], der uralten west-östlichen Fernverbindung, gelegen, erwies sich damit als Drehscheibe kultureller Einflüsse; seine Funktion als Brücke des west-östlichen Austausches auch in wirtschaftlicher Hinsicht fand, nun zusammen mit weiteren Schwerpunkten in Südindien, Ausdruck im intensiven Indien- und China-Handel der römischen Kaiserzeit.“[5]

Der Untertitel vom Klimkeits Buch über die Seidenstraße: „Handelsweg und Kulturbrücke zwischen Morgen- und Abendland“[6] verweist prägnant sowohl auf Momente der Nähe und Annäherung eines riesigen geographischen Raumes via Handel als auch auf Aspekte des kulturellen, d.h. religiösen wie künstlerischen Austausches, der zu interessanten Konfrontationen, Transformationen[7] und Kohabitationen[8] führte.

Ex oriente lux[9] – eine alte Formel mit überraschender Bedeutung

Und hier spielt auch noch der Aspekt des Buddhismus hinein, der – so die These – zumindest irgendeinen Beitrag zur Formierung christlicher Aspekte, alles sehr offen formuliert, geleistet haben könnte:

indien3„Clemens von Alexandrien erwähnt den Buddha und bewundert die philosophische Tiefe und asketische Strenge der buddhistischen Mönche. Möglicherweise hat es eine buddhistische Gruppe in Alexandrien gegeben. Wie weit der buddhistische Einfluss auf das frühe Christentum des 1. und 2. Jh. n. Chr. geht, ist umstritten. Daß es wechselseitige Beeinflussungen gab, ist wahrscheinlich. Immerhin haben in Nordwest-Indien bereits um 200 n. Chr. christliche Gemeinden bestanden, und eine Begegnung mit der buddhistischen Welt ist auch hier wahrscheinlich. Zumindest die Organisation religiöser Orden, der von christlichen Betern verwendete Rosenkranz sowie andere Aspekte des christlichen Mönchtums sind vermutlich buddhistischen Ursprungs.“[10]

Die Erwähnung Buddhas durch Clemens von Alexandrien ist nach Dihle bemerkenswert, weil sie einen klassischen, etablierten Indien-Kanon durchbricht:

„Schon im 2. Jh. n. Chr. gab es viele Christengemeinden außerhalb der griechisch-römischen Welt. […] Clemens von Alexandrien, wohl der erste wirklich umfassend gebildete christliche Autor, registriert einmal nach einem doxographischen Handbuch, das für den Unterricht die Philosophen und ihre Lehren aufzählte, die Vertreter der barbarischen Philosophie in den verschiedenen exotischen Ländern. Dabei erscheinen, wie in allen vergleichbaren Texten nichtchristlicher Herkunft, die Brahmanen Indiens, die Druiden Galliens, die Magier Persiens und andere. Diese Gruppe war in der literarischen Tradition kanonisiert worden.[11] Clemens erweitert sie durch die «Anhänger des Buddha, den viele in Indien wie einen Gott verehren». Damit ergänzt er, ganz gegen die feste philosophisch-literarische Tradition, einen herkömmlichen Kanon durch eine neue, vermutlich aus dem Indienhandel gewonnene Information. Diese Unbefangenheit rührte daher, daß der Gegensatz Grieche/Barbar nunmehr durch den Gegensatz Christ/Nichtchrist überlagert wurde.“[12]

Die Positionen hinsichtlich einer möglichen historischen Beeinflussung des Christentums durch den Buddhismus (ein Sammelbegriff!) bewegen sich in der Forschung (wie immer) zwischen überzeugter Ablehnung, vermittelnden Haltungen und überzeugter Bejahung: „For the birth-stories of Jesus found in the canonical and apocryphal gospels, the primary giver was India and the reciever Christianity for the simple reason Christianity was an upstart movement with little to give while Hinduism and Buddhism were already well-established religions with their own rich theologies and mythologies and were in a better position to give than in any desperate need to receive.”[13] Für diesen generellen adaptiven, borgenden Charakter des Christentums sei als zusätzliches Beispiel verwiesen auf dessen Integration in das Imperium Romanum bis hin zu einer Imitation von dessen Herrschaftsstrukturen[14] –  ein Prozess, der immer wieder in der Forschung die Frage aufwarf, ob das Christentum durch Hellenisierung und Romanisierung verfremdet und seines Ursprungs entfremdet wurde.

Chaiber-Pass

Chaiber-Pass. Der Makedonier führt seine Truppen über das „Ende der Welt“ nach Indien.

Oder: Eine Beeinflussung durch Indien wird kategorisch abgelehnt – wegen fehlender Beweis(ketten) oder der Imagination bzw. Simulation eines Absolutheits- und Exklusivitätsanspruchs des Christentums.[15] So betont Winter in seinem Buch „Das frühchristliche Mönchtum und der Buddhismus. Religionsgeschichtliche Studien“[16]: „Es fehlt einfach an zu vielen Stellen der Beweis für eine über einen bestimmten Zufallsgrad hinausgehende Bekanntschaft. Und es fehlt gänzlich an einer eindeutig ersichtlichen Bekanntschaft mit den Ausformungen des religiösen Lebens, oder gar an Beweisen für die Bekanntschaft mit buddhistischen Lehrtexten o.ä.“[17]

Legendarisches

Was hier über Buddha gesagt wird, kann auch für Jesus gelten: „Die Legende hat nun im Verlauf der Zeit die Geburtsgeschichte mythisch überhöht, um die Bedeutung und überirdische Herkunft des Kindes hervorzuheben. Dabei haben die meisten Motive und Erzählkomplexe religionsgeschichtliche Parallelen.“[18] Folgende Feststellung wirkt darum ernüchternd: „Historisch nachprüfbar ist kaum etwas an Buddha Gautamas Leben, fast alles ist legendär. Zeitgenössische Quellen gibt es nicht.“[19] Und noch einen Schritt weiter: „[…] Wir wissen nicht einmal, ob in der Heimat des Buddha eine indoeuropäische Sprache gesprochen wurde und ob in diesem Gebiet eine Schrift in Gebrauch war. […]“[20] Diese Befunde führen zu divergierenden Ergebnissen in der Datierung des historischen Buddha: „Das einzige, was sich aus der anhaltenden Debatte gesichert festhalten lässt, ist, daß der Tod des Buddha zwischen 420 und 350 v. Chr. eintrat. Viele gehen heute von 430-370 v.Chr. (±10 Jahre) als Lebenszeit aus, aber auch diese Ansetzung beruht zum Teil auf Vermutungen.“[21] 370 v. Chr. liegt sehr nahe an der Ankunft Alexanders des Großen in Indien! Die Datierung des historischen Jesus dagegen erscheint dagegen geradezu genau.[22] Für solche Unschärfen in der Buddha-Biographie gibt es aber einen mentalitätsgeschichtlichen Grund: „Übrigens ist die physische Existenz des Individuums Gautama […] für den buddhistischen Glauben von sehr geringer Bedeutung. Denn der Buddha ist ein Typus, der in diesem Individuum seine Verwirklichung gefunden hat – und nur der Typus interessiert das religiöse Leben.“[23] Die Kanonisierungen der Reden Buddhas sind Ausdruck ihrer bleibenden Relevanz für die Erlösung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten: „Wäre die Lehre des Buddha nur die Aussage eines Individuums, so könnte sie keine verpflichtende Autorität haben. In Wahrheit stammt sie aus dem geistigen Prinzip, aus der Buddha-Natur […].“[24] Wäre Jesus nur ein armer Wanderprediger gewesen und nicht der Sohn Gottes …

buddaDas Kommen des Buddha

Ein solch typologisches Denken überformt und transzendiert die einzelnen historischen Momente, die zugunsten einer metaphysischen Sinnstruktur marginalisiert werden. Jesus und Buddha: das sind vor allem Rezeptionsgeschichten! „Es ist bezeichnend, dass die legendären Buddha-Biographien besonders Geburt, Lebensende und Tod ausmalen, hingegen die ältesten Textschichten dies kaum beobachten. […] Die ausgeschmückten Buddha-Biographien sind wirkungsgeschichtlich folgenreicher als die realistischeren religionsgeschichtlichen Darstellungen und Zweifel an der Historizität des Buddha.“[25] Ähnlich wie bei Jesus wurde auch die Funktion der irdischen Eltern umgeschrieben: „Bemerkenswert in der Legende von Siddhārthas Geburt ist, daß der Vater von der Zeugung ausgeschlossen ist. Einige Quellen sprechen über Keuschheitsgelübde von Vater und Mutter, es ist aber keine Rede von einer Jungfrauengeburt. Die Ausschaltung biologischer Geburtsvorgänge in den Legenden von Heiligen sind unabhängig von Religionstyp verbreitet.“[26]

budda1Osamu Tezukas (1928-1989) 10-bändige Graphic Novel über Buddha[27] buchstabiert den Buddha des Mythos und der Legendenbildung zurück in seine Menschlichkeit. Die Buddha-Werdung Siddhārthas ist zugleich seine Menschwerdung. Diese Werke stellen den Versuch dar, eine Skizze des historischen Buddhas zu entwerfen. Der Gefahr, den geschichtlichen Anspruch zu überhöhen, begegnet Osamu Tezuka mit vielen imaginären, vor allem tragischen Figuren und Geschichten, die oft, aber nur vordergründig, den Fokus von Buddha abwenden und welche die sozialen und religiösen Probleme[28] sehr deutlich und krass darstellen, und dann dadurch, dass Szenen, vor allem Emotionen, überzeichnet und Bezüge zu unserer heutigen Welt im Sinne einer (bisweilen ironischen) Verfremdungsstrategie hergestellt werden.[29] Gerade die sinnlos erscheinende Askese, das menschenverachtende Kastensystem, kriegerische Fehden und allgegenwärtiger Tod (durch Raubtiere, Krankheiten und Naturkatastrophen) zwingen den jungen Prinzen zur Suche nach neuen, anderen Antworten jenseits der hinduistischen Tradition: „Warum fand gerade der Buddha als einer von vielen Wanderasketen und –predigern besonderen Anklang? Ein Grund liegt darin, daß der Buddha nicht nur eine weltflüchtige Befreiungslehre für den, wie Max Weber sagen würde, religiösen Virtuosen lehrte, sondern sich – wie Jesus – um das ‚Seelenheil‘ aller sorgte, fast unabhängig von ihrem sozialen Stand, ihrer Herkunft, ihren rituellen Beziehungen und Fähigkeiten.“[30] Anrührend wirkt besonders die Geschichte des kleinen Assaji (fast mit der Wucht einer griechischen Tragödie), der von den Eltern aus ihrer kinderreichen Familie einfach in Richtung Buddha abgeschoben wurde. Ihm ist vorherbestimmt, zu einem festgesetzten Zeitpunkt zu sterben. Er soll von Tieren zerfleischt werden, weil sein Vater als Jäger viele Tiere getötet habe. Buddha rennt gegen dieses Verhängnis an, aber Assaji lässt sich schließlich freiwillig von einer hungernden Wolfsfamilie zerfleischen.[31] Da Assaji in die Zukunft sehen kann, prophezeit er auch Buddha die Art seines Todes. Wie damit umgehen? Assaji: nicht daran denken![32]

Buddha lässt sich Zeit: Tausende von Seiten, mit einem hingebungsvollen Willen zum Detail, vor allem in den Landschaften, die sowohl schön als auch erhaben, faszinierend und furchteinflößend ob der schieren Größe sind. Die Bildwerdung beispielsweise der Geburt des Erwachten arbeitet mit doppelseitigen Panoramen; wundersame Naturphänomene begleiten das Geschehen; Tiere machen sich auf den Weg (Tiger, Krokodile, Pfaue, Elefanten …).[33] Das Bild visualisiert die Sinnebene: das Neugeborene liegt wie „AUF EINER STRAHLEND WEISSEN LOTUSBLÜTE“, während der Text eine realistische Ebene beschreibt: „MIT DEM SONNENAUFGANG GEBAR KÖNIGIN MAYA IHR KIND: DER SÄUGLING WURDE AUF SAMTENE KISSEN GEBETTET UND IN SEIDENE WINDELN GEWICKELT.“[34]

Rückblick auf Jesus

Wenn, wie Whitehead vorschlägt, Religion das sei, „[…] was das Individuum aus seinem Solitärsein […]“[35] mache, dann findet diese Definition in den Viten, ob nun biographisch oder historisch, von Jesus und Buddha eine hohe Evidenz. Buddha, der den luxuriösen Palast seines Vaters verlässt und zuerst an extremer Askese scheitert, bevor er seinen mittleren Weg findet; Jesus, der in die Wüste geht, aus der Wüste kommt, kurz öffentlich auftritt, um allein und gott-verlassen am Kreuz zu sterben.

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Wenn Jesus in Rahmen christlicher Hermeneutik wahrer Mensch und wahrer Gott ist: was bedeutet dann sein Solitärsein? Gott, trinitarisch erzählt, systematisch so gedacht und so geglaubt im Christentum, ist ja in sich schon Communio: Perichorese des Nie-Allein-Sein-Könnens bzw. das Eins-sein-Können im Außer-sich-Sein. Es wäre ein freiwilliges Alleinsein: der einmalige Jesus von Nazareth und gleichzeitig der marginale, bedeutungslose Gott, der von religiös-politischen Mechanismen vernichtet wird. Ein Gott der Sym-Pathie, der mit-leidet, mit seinen Geschöpfen, der selbst zu einem Mit-Menschen wurde! „Einen Einzigen gibt es, der den Gedanken eingeben könnte, ihn in die Nähe Jesu zu rücken: Buddha. Dieser Mann bildet ein großes Geheimnis. Er steht in einer erschreckenden, fast übermenschlichen Freiheit; zugleich hat er dabei eine Güte, mächtig wie eine Weltkraft. Vielleicht wird Buddha der Letzte sein, mit dem das Christentum sich auseinanderzusetzen hat.“[36] Guardinis berühmte Beobachtung (und Herausforderung an die christliche Dogmatik) ließe sich auch so umformulieren: Einen Einzigen gibt es, der den Gedanken eingeben könnte, ihn in die Nähe Buddhas zu rücken: Jesus. Die Lehre Jesu in den Evangelien fasst Drewermann mit dem Konzept der Vergebung zusammen:

„Sie war das einzige Anliegen, das er immer wieder in allen möglichen Variationen vorbrachte, wenn es darum ging zu sagen, wie wir miteinander leben sollten. Alles andere war ihm fast gleichgültig: wie man das Eigentum ordnet – eine Farce (Mk 10,17-27); was man zur Ehe rechtlich zu sagen hat – beinahe nebensächlich (Mk 10,1-12); was man von den öffentlichen politischen Streitigkeiten denken soll – kein Wort davon bei ihm (Mk 10, 42); bzgl. der Fragen von Macht, Geld, Einfluß – nichts (Mk 12,38-40).“[37]

Erlösung

In Tezukas Graphic Novel versucht Buddha, die Menschen zur Empathie zu bewegen, d.h. dafür zu sensibilisieren, auch das Unglück der anderen und dessen Ursache zu verstehen. Die Gründe für persönliche und kriegerische Fehden sind oft Neid und Habsucht, aber auch Ungerechtigkeit und Diskriminierung, die das Kastensystem hervorruft: anders gewendet, das Kastensystem als unwiderrufliche gesellschaftliche Ordnung erlaubt sogar ungestraft alle Formen von Diskriminierung. Nur dass ein solches Verhalten oft katastrophale Folgen zeitigt! Aber es geht in den Bücher Tezukas nicht um eine einfache Frontstellung böser Hinduismus versus guter Buddhismus. (Brahma ist z.B. Buddhas Lehrer!) Beide Religionen versuchen, Antworten (und daraus resultieren entsprechende Verhaltensweisen) auf das menschliche Leid zu geben.[38] Es geht zutiefst um Erlösung, die schon im Jetzt stattfinden kann. Jesus bietet noch eine Vermittlungsinstanz zwischen Transzendenz und Immanenz. Buddha ist schwerer auszuhalten: „Auch jene Götter von langem Leben, voll Schönheit und vielfältigem Glück, die in erhabenen Wohnungen ein langes Dasein verbringen, wenn sie die Verkündigung der Lehre durch den Vollendeten vernehmen, so werden die meisten von ihnen in Furcht, Erregung und Zittern übermannt, und sie erkennen: »Ach, wir sind unbeständig, die wir glaubten von Dauer zu sein. Wir sind wandelbar, die wir uns für beständig hielten. Und die wir wähnten ewig zu sein, wir sind in Wahrheit vergänglich.«“[39] Max Weber formuliert die Folgen dieser Gottlosigkeit des Buddhismus (die auch als Befreiung von den unfrei machenden Göttern verstanden werden kann):

er sei „[…]‚Erlösungsreligion‘, wenn man den Namen ‚Religion‘ auf eine Ethik ohne Gott – oder richtiger: mit absoluter Gleichgültigkeit gegen die Frage, ob es ‚Götter‘ gibt und wie sie existieren – und ohne Kultus verwenden will. Und zwar ist er, angesehen auf das ‚wie?‘ und ‚wovon?‘ wie auf das ‚wozu?‘ der Erlösung die denkbar radikalste Form des Erlösungsstrebens überhaupt. Seine Erlösung ist ausschließlich des einzelnen Menschen eigenste Tat. Es gibt dafür keine Hilfe bei einem Gott oder Heiland. Vom Buddha selbst kennen wir kein Gebet. Denn es gibt keine religiöse Gnade.“[40]

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Folgendes mag nun gewagt erscheinen (und vielleicht sehr weit hergeholt); aber eine Überlegung von Nancy zur christlichen Inkarnation und deren Folgen für Monotheismus-Konzepte scheint eine Öffnung in Richtung Buddhismus zu ermöglichen:

„In diesem Sinne ist der christliche (ja der monotheistische) Gott jener, der sich entfremdet: Er ist der Gott, der sich sozusagen atheisiert oder sich atheologisiert. […] Doch »kein-Gott« bedeutet nicht die unmittelbare Selbstgenügsamkeit des Menschen oder der Welt, sondern vielmehr: keine begründende Präsenz. (Allgemeiner gesagt ist der »Monotheismus« nicht die Reduktion der zahlreichen Götter im »Polytheismus« auf »einen«. Sein Wesen ist das Schwinden der Präsenz, jener Gegenwart, welche die Götter der Mythologien sind.)“[41]   

Eine vor allem soteriologisch motivierte Hermeneutik des Leben Jesu führte zum Christus des Glaubens. Die Betonung der heilsgeschichtlichen Eckdaten von Geburt bzw. Kreuzigung und Auferstehung – aufgrund der entsprechenden Leerstellen in manchen Evangelien – evozierten theologiegeschichtlich eine Verengung und Ausblendung der Lehre des Galiläers bis hin zur Marginalisierung seines Lebens.[42] Der historische Mensch Jesus wich dem Gott bzw. dem Sohn Gottes (der arme Menschensohn wich dem triumphierenden Pantokrator, was gut in den Kontext einer Imperialisierung der Kirche passte). Dies streicht den Grundgedanken der Inkarnation durch: wahrer Mensch!

Fazit

Ob Weihnachten aus Indien kam? In dieser Zuspitzung ist die Frage kaum haltbar oder beantwortbar. Gegenseitige Beeinflussungen von Christentum und Buddhismus?[43] Plausibel, aber schwer nachzuweisen. Hellenismus und Römisches Reich hatten mit ihren Berührungspunkten in Indien und darüber hinaus sehr viele Ähnlichkeiten mit unserer globalisierten Welt. Das sogenannte christliche Abendland?, das weder ein abgegrenzter Raum namens Abendland noch jemals christlich war: nie endende Kriege, ruinöse religiöse Konflikte, Pogrome, Kolonisierung, Nationalismus, Massenvernichtungswaffen usw. sprechen im Grunde gegen jegliche christliche Zuschreibung. Es bleibt zu hoffen, dass heute die Kontakte zwischen diesen beiden großen Weltreligionen zunehmen, und zwar jenseits esoterischer Verniedlichung oder ideologischer Abschottung oder sich überlegen fühlender Arroganz![44]

Epilog

„Der Wind weht, wo er will;
du hörst sein Brausen, weißt aber nicht,
woher er kommt und wohin er geht.
So ist es mit jedem,
der aus dem Geist geboren ist.“[45]
„Seine Geräusche nur hört man,
nicht [nimmt man] seine Gestalt [wahr].
Diesem [Himmlischen], dem Wind,
wollen wir mit Opferspeise huldigen.“[46]

Entnommen aus: M. Pohlmeyer – B. Schmelz (Hrsg): Weihnachten. Von der globalisierten Postmoderne in die Antike – (un)gewohnte Zugänge, Hamburg  2017. Mit freundlicher Genehmigung des IGEL-Verlages. Unter „Flensburger Studien zu Literatur und Theologie“ finden sich dort zahlreiche Publikationen unseres Autors Markus Pohlmeyer.

[1] Joh 1, 1; zitiert nach Die Bibel. Einheitsübersetzung, Freiburg im Breisgau 1980.
[2] T. Oberlies: Der Rigveda und seine Religion, Berlin 2012, 181 (aaO bezeichnet Oberlies Vāc auch als „Göttin der Rede“). RV = Rigveda.
[3] Vgl. dazu Markus Pohlmeyer: Weihnachten: vom antiken Sonnenkult zum globalen Fest, in B. Schmelz (Hg.): Weihnachten in aller Welt, Mitteilungen aus dem Museum für Völkerkunde Hamburg, Hamburg 2016, 12-26.
[4] Vgl. dazu Kunst an der Seidenstraße. Faszination Buddha, hg. v. H. Spielmann, Hamburg 2003.
[5] J. Hahn (Hg.): Alexander in Indien. 327-325 v. Chr., Stuttgart 2000, 39 f.
[6] H.-J. Klimkeit: Die Seidenstraße. Handelsweg und Kulturbrücke zwischen Morgen- und Abendland, Köln 1988.
[7] Vgl. dazu beispielsweise: „[…] Gandhâra wird seither für den Stil gebraucht, der über das Ursprungsland Gandhāra bis ins östliche und nördliche Afghanistan gewandert war. In der sogenannten »Gandhāra-Kunst«, auch »griechisch-buddhistische Kunst« genannt, bildete sich eine Sonderentwicklung von hellenistischen und zeitgenössisch-römischen mit buddhistischen Themen und Motiven heraus. Das hat, da die »anikonische« Phase buddhistischer Kunst zu dieser Zeit auch hier überwunden worden war, zur Schaffung hellenistisch geprägter, menschlich gestalteter Buddhas geführt.“ H. G. Franz (Hg.): Das Alte Indien. Geschichte und Kultur des indischen Subkontinents, München 1990, 348.
[8] Vgl. dazu H. Kulke – D. Rothermund: Geschichte Indiens. Von der Induskultur bis heute, 2. Aufl., München 1998, 94 f.: „Die Indo-Griechen stellten den östlichsten Außenposten des Hellenismus dar und überlebten als Herrscherelite in nahezu völliger Isolation die von den Parthern in Persien besiegten hellenistischen Staaten fast um ein Jahrhundert. […] Die überragende Herrscherpersönlichkeit dieser Indo-Griechen war Menander, unter dem sich die griechische Herrschaft zeitweise bis in das westliche Yamuna-Ganges-Zweistromland ausbreitete. […] Als einziger griechischer König fand er Eingang in die indische Literatur. In den «Fragen des Milinda» (Milindapañho, Milinda = Menander) wird er von dem Mönch Nagasena in einem für die buddhistische Literatur typischen Dialog in alle wichtigen Fragen der buddhistischen Lehre eingeführt. Wegen seiner geistvollen und scharfsinnigen Ausführungen galt der Milindapanho den Buddhisten bereits im Altertum als ein dem Kanon gleichbedeutender Text. Auch wenn es sicherlich falsch ist, in dem Text einen Beweis für die Bekehrung Menanders zum Buddhismus zu sehen, so ist ein tiefes Interesse dieses griechischen Königs am Buddhismus nicht ausgeschlossen. Immerhin existieren einige Münzen Menanders, die ein dem buddhistischen Cakra ähnliches Rad zeigen […].“
[9] Ein alter Topos: Aus dem Morgenland (komme) das Licht (= Heil) …¸Übers. MP.
[10] M. v. Brück – W. Lai: Buddhismus und Christentum. Geschichte, Konfrontation, Dialog, 2. Aufl., München 2000, 44.
[11] Vgl. dazu Arrian: Der Alexanderzug, Indische Geschichte, gr./dt., hg. u. übers. v. G. Wirth – O. von Hinüber, München – Zürich 1985, 636-639.
[12] A. Dihle: Die Griechen und die Fremden, München 1994, 124 f.
[13] Z. P. Thundy: Buddha and Christ, Leiden u.a., 1993, 267.
[14] Vgl. dazu H. Cancik: System und Entwicklung der römischen Reichsreligion. Augustus bis Theodosius I., in: Die Anfänge des Christentums, hg. v. F. W. Graf – K. Wiegandt, 2. Aufl., Frankfurt am Main 2009, 373-396, hier 395: „Die letzte Stufe der Romanisierung des westlichen Christentums vollzieht sich als Einverleibung der imperialen Struktur. Die Gleichstellungsformel lautet: »wie die imperiale Macht, so auch die heilige römische Kirche«.“ 
[15] Vgl. dazu Z. P. Thundy: Buddha and Christ, Leiden u.a., 1993, 266.  Siehe aber auch A. v. Harnack (1901), zitiert nach H. v. Glasenapp: Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart 1960, 165: “[…] Ob eine dauernde und gehaltvolle Zivilisation ohne die Predigt des Evangeliums möglich ist, die Frage mag man bejahen oder verneinen – gewiß ist, daß die Völker, welche die Erde jetzt aufteilen, mit der christlichen Zivilisation stehen und fallen und daß die Zukunft keine andere neben ihr dulden wird […].” Aber: „Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht.“ Aus: II. Vatikanisches Konzil: „Nostra Aetate“, zitiert nach: K. Rahner – H. Vorgrimmler: Kleines Konzilskompendium, Freiburg im Breisgau 1982, 359. Oder Mahatma Gandhi (1908): Wege und Mittel, übers. v. S. Marla, Zürich 1996, 87: „Die westliche Zivilisation ist eine gottlose, während die indische Zivilisation auf dem Gottesglauben basiert.“
[16] Frankfurt am Main 2008.
[17] F. Winter: Das frühchristliche Mönchtum und der Buddhismus. Religionsgeschichtliche Studien, Frankfurt am Main 2008, 210.
[18] M. v. Brück: Einführung in den Buddhismus, Frankfurt am Main – Leipzig 2007, 77.
[19] U. Luz – A. Michaelis: Jesus oder Buddha. Leben und Lehre im Vergleich, München 2002, 16.
[20] M. v. Brück: Buddhismus (s. Anm. 18), 76 f.
[21] Luz – Michaelis: Jesus oder Buddha (s. Anm. 19), 20.
[22] Vgl. dazu G. Theißen – A. Merz: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, 3. Aufl., Göttingen 2001, 154: „Jesus wurde ca. 6/4 v.Chr. wohl noch vor dem Tode Herodes I. geboren, er trat öffentlich nur eine kurze Zeit in den Anfängen der Regierungszeit des Pontius Pilatus (26-36 n.Chr.) auf und wurde wahrscheinlich am Passafest 30 n.Chr. hingerichtet.“
[23] E. Conze: Der Buddhismus. Wesen und Entwicklung, 10. Aufl., Stuttgart u.a. 1995, 31.
[24] Conze: Buddhismus (s. Anm. 23), 32.
[25] Luz – Michaelis: Jesus oder Buddha (s. Anm. 19), 22.
[26] Luz – Michaelis: Jesus oder Buddha (s. Anm. 19), 23.
[27] Osamu Tezuka: Buddha, Bd. 1, übers. v. J. Schmitt-Weigand, Hamburg 2012. Vgl. dazu auch: J. R. Nielsen: Leben mit der Bombe. Der Manga als grafische Erzählform, in: Comics, Mangas, Graphiv Novels, hg. v. H. L. Arnold – A. C. Knigge, München 2009, 211-231.
[28] Auch Genderdifferenzen!
[29] Beispielsweise ein Hinweis auf die Atombombe: Osamu Tezuka: Buddha, Bd. 10, übers. v. J. Schmitt-Weigand, Hamburg 2012, 191.
[30] Luz – Michaelis: Jesus oder Buddha (s. Anm. 19), 21.
[31] Osamu Tezuka: Buddha, Bd. 5, übers. v. J. Schmitt-Weigand, Hamburg 2012, 147-170.
[32] Osamu Tezuka: Buddha, Bd. 5, übers. v. J. Schmitt-Weigand, Hamburg 2012, 144.
[33] Osamu Tezuka: Buddha, Bd. 1, übers. v. J. Schmitt-Weigand, Hamburg 2012, 260-265.
[34] Beide Zitate Osamu Tezuka: Buddha, Bd. 1, übers. v. J. Schmitt-Weigand, Hamburg 2012, 267.
[35] A. N. Whitehead: Wie entsteht Religion?, übers. v. H. G. Holl, Frankfurt am Main 1990, 15.
[36] R. Guardini: Der Herr. Über Leben und Person Jesu Christi, 4. Aufl., Freiburg – Basel – Wien 1985, 360.
[37] E. Drewermann: Ich stieg hinab in die Barke der Sonne. Meditationen zu Tod und Auferstehung, 7. Aufl., Düsseldorf – Zürich 2001, 188.
[38] Vgl. dazu auch D. Henrich: Das Selbstbewußtsein und seine Selbstdeutungen. Über Wurzeln der Religionen im bewußten Leben, in: Ders.: Fluchtlinien. Philosophische Essays, Frankfurt am Main 1982, 99-124.
[39] Reden des Buddha. Aus d. Pâlī-Kanon übers. v. I.-L. Gunsser, m. e. Einleitung v. H. von Glasenapp, Stuttgart 2006, 13.
[40] M. Weber: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus. Schriften 1916-20, hg. v. H. Schmidt-Glintzer, Tübingen 1998, 156.
[41] J.-L. Nancy : Dekonstruktion des Christentums, übers. v. E. von der Osten, Zürich – Berlin 2008, 143. Ebd.: „In diesem Sinne ist der christliche Leib etwas ganz anderes als ein Leib, der der Seele als Hülle dient (oder als Gefängnis oder Grab). Er ist nichts anderes als der logos selbst, der sich als logos gemäß seiner eigensten Logik zum Körper macht. Dieser Körper ist nichts anderes als der »Geist«, der aus sich selbst oder seiner reinen Identität herausgetreten ist, um sich nicht einmal mit dem Menschen, sondern als Mensch/Mann (und Frau und Materie) zu identifizieren. […] Der christliche göttliche Geist ist an sich schon außer sich (das ist seine trinitarische Natur). Vielleicht sollte man sogar bis zu dem allen drei »Buch«-Religionen gemeinsamen monotheistischen Gott zurückgehen und erwägen, dass bereits dieser wesentlich ein Gott ist, der sich durch und in einer »Schöpfung« außer sich bringt (Schöpfung, die in nichts eine Produktion ist, sondern eben jenes Außer-sich-Bringen).“
[42] Vgl. dazu T. Pröpper: Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie, 3. Aufl., München 1991 – ein beeindruckender Versuch, den ‚ganzen‘ Jesus zu rehabilitieren und Freiheit mit Erlösung zusammenzudenken.
[43] H.-J. Klimkeit: Buddha als Vater, in: Fernöstliche Weisheit und christlicher Glaube, hg. v. H. Wadenfels – Th. Immoos, Mainz 1985, 235-259.
[44] Die Buddhismus-Forschung bringt Überraschendes zu Tage, was eurozentristische Haltungen durchaus korrigieren kann: „Tatsächlich aber war das im 4. oder 5. Jahrhundert n. Chr. gegründete Nalanda eine monumentale und äußerst erfolgreiche Lehranstalt des Buddhismus gewesen. Experten erkennen ihr den Rang einer Universität zu – der schieren Ausmaße und anspruchsvollen Architektur der Anlage wegen, aber auch auf Grund des umfassenden Curriculums und der Außenwirkung: Nalanda zog Studenten aus ganz Asien an, die das Gelernte in ihren Heimatländern verbreiteten.“ „Allerdings war Nalanda dann die älteste solche Anstalt: Al-Zaytunah in Tunesien entstand 737, die Universität Bologna gar erst 1088.“ M. Deeg: Die älteste Universität der Welt, in Spektrum SPEZIAL: Monumente der Menschheit, 2.17, 48-51, 48 und 51.
[45] Joh 3, 8; zitiert nach Die Bibel. Einheitsübersetzung, Freiburg im Breisgau 1980.
[46] Gedichte aus dem Rig-Veda, übers. v. P. Thieme, Stuttgart 1983, 59.

 

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