Geschrieben am 29. Juni 2011 von für Litmag, Vermischtes

Erotische Gedichte (4): Ludwig Thoma

Gleichgültigkeit

Als ich gestern lag in meinem Bette,
Klopfte es so gegen Mitternacht.
Meine Meinung war, es sei Jeannette,
Und natürlich hab’ ich aufgemacht.
Leise kam es jetzt hereingeschlichen,
Setzte sich an meines Bettes Rand,
Hat mir über meinen Kopf gestrichen
Mit der ziemlich großen, dicken Hand.
Doch ich merkte bald an ihren Formen:
Dieses Weib ist ja Jeannette nicht,
Deren Hüften nicht von so enormem
Umfang sind und solchem Schwergewicht.
Trotzdem schwieg ich. Denn ich überlegte:
Nicht das Wer, das Wie kommt in Betracht,
Außerdem, die Absicht, die sie hegte,
War entschieden löblich ausgedacht.
Was bedeutet dieserhalb ein Name ?
In der Liebe ist das einerlei.
Man verlangt nur, daß es eine Dame
Und von angenehmem Fleische sei.

Nein, das hätte man von Ludwig Thoma irgendwie nun doch nicht gedacht, dass der solche Gedichte geschrieben hat…  Bekannt geworden ist Ludwig Thoma, geboren 1867 in Oberammergau und gestorben 1921 in Tegernsee, mit realistischen und mit satirischen Schilderungen des bayerischen Alltags und der politischen Verhältnisse. In seinen jüngeren Jahren eher linksliberaler Freigeist und Mitarbeiter des berühmten Simplicissimus, wurde er wegen „Beleidigung einiger Mitglieder eines Sittlichkeitsvereins“ zu 6 Wochen Haft verurteilt.

Seine Geschichten „Ein Münchner im Himmel“, „Jozef Filsers Briefwexel“ und die auch verfilmten „Lausbubengeschichten“ dürften zu seinen auch heute noch bekannten Werken zählen. In seinem Gedicht „Gleichgültigkeit“ kommt seine frühe libertäre Grundhaltung famos zum Ausdruck (als Halbwaise und eines von 7 Kindern, die die Mutter alleine großziehen musste, setzte er sich früh gegen Scheinautorität und Doppelmoral zu Wehr), die man eher in Flowerpower-Zeiten erwartet hätte, als um die Jahrhundertwende. Letztlich, so die Aussage, kommt es nicht darauf an, wen man vögelt, sondern dass man vögelt. Ob Jeanette oder ? – Hauptsache Sex. (Mit einer Frau.)

Manfred C. Reimann

Das Gedicht entstammt dem Band: „Darum sollte man im Leben mit dem Dorn nach vorne streben“. Moderne erotische Lyrik. Herausgeber: Manfred C. Reimann, Gesine Karge, Andreas Fischer. Zürich: Walde + Graf 2011. 192 Seiten mit Abbildungen. 19,90 Euro.