Geschrieben am 4. Mai 2011 von für DeutschCult, Kolumnen und Themen, Litmag

Eric T. Hansens DeutschCult: Terroristenjagd

Wer bricht eine Lanze für unsere heimischen Terroristen?

–Noch hallen die tödlichen Schüsse in unseren Köpfen, noch sind wir vom aufsteigenden Rauch des zerstörten Hubschraubers berauscht. Doch schon bald werden die schrecklichen Bilder der vergangenen Tage in Vergessenheit geraten, sie werden Teil einer Melange an verschwommenen Gefühlen und Details, die sich nicht mehr zuordnen lassen.

Doch bevor dies passiert – bevor der menschenunwürdige Anschlag auf einen harmlosen, pensionierten Couch Potato in einem pakistanischen Vorort zu einer blassen Erinnerung unter vielen schwindet, lassen wir uns aus diesen dramatischen Ereignissen eine Lehre ziehen.

Denn es gibt eine Frage, die wir uns stellen müssen – ja, die sich das gesamte deutsche Volk stellen muss: Warum sind alle Augen in diesem Augenblick auf Amerika gerichtet? Bei uns ist es doch auch schön!

Glauben Sie, wir hätten keine sensationellen Geschichten zu erzählen? Keine atemberaubenden Terroristenanschläge, keine gefährlichen Kill Missions?

Denken wir nur an das Abenteuer in Düsseldorf am Freitag vor dem dubiosen Überfall in Pakistan. Unser Terroristendrama war nicht nur in vielerlei Hinsicht spannender, es war drei Tage früher! Vergleichen wir doch die Ereignisse, und fragen Sie sich dabei: Wo ist es spannender? In der großen weite Welt da draußen oder doch bei uns zu Hause?

-In Pakistan geschah der Zugriff unerwartet mitten in der Nacht – der Terroristenführer im Ruhestand hatte nicht mal Zeit für ein Tässchen Kaffee. In Düsseldorf fand der Angriff unerwartet in den frühen Morgenstunden statt, nachdem die Terroristen gemütlich gefrühstückt hatten.

Ist eine Konfrontation mit Terroristen nicht viel aufregender, wenn die Ganoven mit einem anständigen Frühstück für den Kampf gestärkt sind?

– Dem Angriff in Pakistan gingen zehn Jahre Observierung voraus – die deutschen Beamten brauchten dafür nur ein halbes Jahr. Stellen Sie sich vor, schwer bewaffnete Truppen hätten zehn Jahre lang die Straßenschluchten, Hinterhöfe und Kartoffelkeller von Düsseldorf nach Terroristen durchkämmt! Da hätte ja keiner mehr die BKA ernst nehmen können.

– In Pakistan knatterten zwei Hubschrauber unter Umgehung des Nachtflugverbotes über Wohngebieten zielstrebig auf die Festung des Top-Terroristen zu. In Düsseldorf jagten zwei Streifenwagen unter Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung mit Hilfe von Navigationsgeräten durch die Straßen von Düsseldorf.

Das ist deswegen viel spannender, weil es gleichzeitig umweltfreundlicher ist.

– In Pakistan wohnte der Terroristenführer in einem ausladenden, durch schwer bewaffnete Sicherheitsleute bewachten, aber höchstgeheimen Hochsicherheitstrakt in einer Villensiedlung. In Düsseldorf hausten die Schurken in einer Studentenbude mit guter öffentlicher Verkehrsanbindung.

Wenn man sich schon im Falle Pakistans fragt, warum die Anwohner nichts von Bin Ladens Aufenthaltsort wussten, muss man in Düsseldorf umso mehr fragen: Hat denn das Einwohnermeldeamt vielleicht doch alles gewusst – und schwieg, weil es sich militärisch Vorteile davon versprach? Die politischen Ambitionen des Einwohnermeldeamtes sind ja hinlänglich bekannt.

-In Pakistan stürmten 79 höchsttrainierte, schwerbewaffnete Navy SEAL Killermaschinen die Wohnanlage. In Düsseldorf klingelten zwei Streifenpolizisten mittleren Alters mit Schnurrbärten an der Tür und baten höflich, ob sie rein kommen dürften.

Da sieht man‘s mal wieder, dass eine richtige Kulturnation in der Lage ist, eine Kill Mission auch mit Anstand und Menschenwürde durchzuziehen.

Doch das unangenehmste an der amerikanischen Aktion war das Element des Voyeurismus, denn selbst der Präsident der Vereinigten Staaten verfolgte die Ereignisse in Pakistan über Satellit, während die deutsche Bundeskanzlerin sich zu einem so billigen Verhalten nicht herabließ, sondern währenddessen seelenruhig im Taxi auf dem Weg zur Bundestagsitzung ein Nickerchen einlegte.

Das nenne ich souverän.

Und was das dubiose Verschwinden des Leichnams in seinem feuchten Grab angeht, ohne dass ein Foto vom toten Bin Laden gezeigt wird – da muss man sich erst recht fragen, ob es sich nur um ein Schauspiel handelt, um das amerikanische Volk von seinen wahren Sorgen abzulenken.

Doch wo bleiben die Forderungen nach dem Foto der Düsseldorfer Terroristen?  Von denen gibt es auch keine Bilder, höchstens verpixelte. Wo bleiben die Diskussionen im Fernsehen über völkerrechtliche Bedenken – es war immerhin mitten in Düsseldorf! Und außerdem: man wird ja wohl noch Grillanzünder kaufen dürfen. Die Frauenfußballweltmeisterschaft steht schließlich vor der Tür! Die ganze Düsseldorfer Mission birgt mehr als genug Stoff für Skandale – doch wo bleiben die Schlagzeilen? Wann machen zu diesem Thema hochrangige deutsche Politiker Andeutungen von wegen „Bedenken“ und „Untersuchungen“ und „die ganze Wahrheit“?

Obwohl der Düsseldorfer Terroristenfang, wie man klar sieht, schneller, durchdachter und effektiver war – und gleichzeitig moralisch und politisch bedenklicher – spricht heute, nur ein paar Tage später, niemand mehr darüber. Selbst hier in unserem eigenen Land.

Ich frage Sie: Haben wir denn überhaupt kein Selbstwertgefühl mehr?

Eric T. Hansen

Der Amerikaner, Hawaiianer und Wahlberliner Eric T. Hansen lebt seit 25 Jahren in Deutschland und schreibt Bücher über die seltsamen Menschen, die er dort vorfindet, zuletzt „Nörgeln! Des Deutschen größte Lust”. Mehr Info auf der Homepage von Eric T. Hansen. (Foto: Ralf Ilgenfritz)