Geschrieben am 4. April 2012 von für DeutschCult, Litmag

Eric T. Hansens DeutschCult: Günter Grass

Günter Grass beleidigt unsere Intelligenz, der  in Deutschland lebende Amerikaner Eric. T. Hansen pöbelt zurück. Eine österliche Wutrede.

Was geschwafelt werden muss

– Ach, warum schweige ich, verschweige zu lange, was offensichtlich ist? Vielleicht, weil keiner was von mir hören will? Weil ich nichts zu sagen habe? Weil ich schlechte Gedichte schreibe?

Nein, es ist das behauptete Recht auf Geschwafel in einer intellektuellen Szene, die von Maulhelden angeführt und von organisierter moralischer Selbstbeweihräucherung geprägt ist; in einer Demokratie, wo demokratische Werte uncool und leere Sprüche salonfähig sind; in einem Land, das intellektuell stagniert und versucht, dies durch vorgetäuschte Sorgen um die Zukunft der Menschheit zu vertuschen.

Und allen voran steht Herr Grass, der davon ausgeht, dass ein Erstschlag durch Israel den „ohnehin brüchigen Weltfrieden“ gefährde. Hoppla! Weltfrieden? Wo finde ich den denn heutzutage? Ich will ihn auch schützen.

Schon jetzt hat das Gedicht Großes geleistet: Es hat zur Freude aller wieder mal die vertraute Diskussion um Antisemitismus losgetreten. Das hatten wir seit Eva Herman nicht mehr – wie wir es vermisst haben! Und wie immer erfüllt diese Diskussion den Zweck, vom eigentlichen, viel schockierenderen Thema erfolgreich abzulenken: Das Land der Dichter und Denker dichtet noch, aber denkt nicht mehr.

Das ganze Gedicht atmet die Sehnsucht nach einer einfacheren Welt. Die schöne Sci-Fi-Fantasie vom atomaren Erstschlag, der ein ganzes Volk „auslöschen könnte“, ist die Neuauflage einer anderen, noch schöneren nuklearen Gefahr: Als die USA und die UdSSR einander noch bedrohten, als ein Atomschlag mit einem weiteren Atomschlag beantwortet werden würde, bis eines Tages von der Welt nichts mehr übrig bleibt.

Ach komm wieder, du kaltes, entschwundenes Idyll des Kalten Krieges!

Die unstillbare Nostalgie, die aus jeder Zeile der Grass’schen Vision von atomarer Völkerauslöschung spricht, ist nichts anderes als die Sehnsucht nach seiner Glanzzeit, als er mit solchen Schlagworten wie „Auslöschung“, „Erstschlag“ und „Weltfrieden“ noch punkten konnte. In der Vergangenheit zu leben ist halt das Vorrecht Alzheimerkranker und deutscher Intellektueller.

Das Grass’sche Gedicht ist die literarische Weiterentwicklung eines Schlagwortes.

Es schlägt vor, Israel und Iran gleichermaßen auf Atomwaffen zu kontrollieren. Jene Länder, scheint das Gedicht zu glauben, seien gleich gefährlich, weil eben beide Atomwaffen besitzen: „Jedes Land, das Atomwaffen besitzt, ist grundsätzlich gefährlich“. So lautet dieses Schlagwort in Kürze.

Der Spruch ist gut. Er ist scheinbar logisch und einfach genug, dass ein Kind ihn versteht. Und er ändert die Welt: Plötzlich gibt es keinen Unterschied mehr zwischen einem sein Volk unterdrückenden, nach allen Seiten Drohungen ausstoßenden Diktator und demjenigen, der sich gegen diesen schützen will.

Stellen Sie sich vor, Sie besitzen eine geladene Pistole und wollen diese loswerden. Vor ihnen stehen zwei Menschen: Ein Polizist, der im Umgang mit Waffen geübt und in eine kohärente Staatsgewalt eingebunden ist, bei dem ausfallendes oder irrationales Verhalten die Ausnahme sind; und ein Schizophrener, der Leute mit anderen Meinungen bedroht und angreift, der seine Frau und Töchter schlägt, der regelmäßig wirre Aussagen über die Weltgeschichte trifft und ebenso regelmäßig Todesdrohungen gegen seine Nachbarn ausstößt.

Nach dem Spruch, „Jedes Land, das Atomwaffen besitzt, ist gefährlich“, wäre es egal, wem Sie die Pistole geben: Beide könnten, rein theoretisch, Sie erschießen. Stimmt ja auch!

Nun könnte man argumentieren, dass, wer zwischen einer Diktatur und einer Demokratie nicht unterschieden kann, sondern nach Lust und Laune beide in die gleiche Schublade kippt, halt keine politischen Werte mehr besitzt. Stimmt ja ebenfalls, aber Grass ist nicht der einzige.

Der politische Dialog in Deutschland wird geführt wie von Autisten, die glauben, eine Katze müsse Milch geben genau wie eine Kuh, denn beide haben vier Beine. Es besteht offensichtlich keine Notwendigkeit, über diese erste Beobachtung hinauszudenken. Besonders dann, wenn man jahrelang für solche Vereinfachungen Applaus geerntet hat.

„Gewalt ist nie eine Lösung“ höre ich immer wieder mit überzeugtem Nachdruck in einem Land, das nur mit äußerster Gewalt zu Frieden und Demokratie gezwungen werden konnte; George W. Bush war der größte Terrorist aller Zeiten; Atomkraft, nein danke und keine Diskussion; Banker sind böse, Globalisierung ist böse und der Kapitalismus steckt nicht in einer Krise, sondern der Kapitalismus ist die Krise; die Welt verdummt! (Na ja, das Letztere stimmt schon, aber nicht die ganze Welt verdummt, sondern nur der deutsche Intellektuelle.)

Seit Jahrzehnten besteht ein Großteil der politischen und intellektuellen Kultur hierzulande nur noch aus politisch korrekten, an die Sache vorbeizielenden Sprüchen. Das Alterswerk des Nobelpreisträgers speist sich aus diesem Trend: „Diktator! Jude! Seid endlich lieb zu einander!“

Seit dem Ende des Kalten Krieges wartet die Welt auf die Rückkehr des wegweisenden deutschen Intellektuellen, der, wenn er den Mund aufmacht, etwas Wertvolles, Neues und Relevantes sagt. Stattdessen bekommt die Welt Schwafler.

Wo bleibt der rastlose, suchende Geist Deutschlands? Wo bleiben die neuen Ideen, der Mut, das Auskundschaften der Zukunft? Die klare, Hintergründe beleuchtende Beobachtung der wirklichen Welt, in der wir wirklich leben? Wo sind die jungen wilden Denker, die alles auf den Kopf stellen?

Der letzte deutsche Autor, nach dessen Werke ich fieberhaft griff, dessen öffentliche Auftritte und Interviews mich in Aufregung versetzt haben, war Günter Grass. Damals, meine ich, als er noch Günter Grass war. Das ist lange her. Seitdem hat sich niemand etwas Neues zugetraut – er erst recht nicht.

Auch das muss gesagt werden: Heute schon und in den nächsten Wochen werden viele deutsche Intellektuelle über Grass‘ ärgerliches, dummes Gedicht meckern – aber keiner wird über sein Niveau hinausgehen.

Eric T. Hansen

Der Amerikaner, Hawaiianer und Wahlberliner Eric T. Hansen lebt seit 25 Jahren in Deutschland und schreibt Bücher über die seltsamen Menschen, die er dort vorfindet, zuletzt „Nörgeln! Des Deutschen größte Lust“. Mehr Info auf der Homepage von Eric T. Hansen. (Foto: Ralf Ilgenfritz)

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