Ach Deutschland, mein Deutschland, komm‘ wieder nach Hause
– Deutschland, du bist wieder da! Ich freue mich so!
Ach, wie hab ich dich vermisst. Die letzten Wochen hast du so abwesend gewirkt, du warst so ganz und gar nicht du selbst. Ich dachte schon: Wenn das so weitergeht, muss ich raus hier, nur weg. Wirst du jemals wieder zu dem Land werden, in das ich mich verliebt habe?
Doch jetzt bist du wieder da, und ich freue mich einfach.
Der Schreck begann, als Angela Merkel begann, Atomkraftwerke abzuschalten. „Mein Gott!“, dachte ich, als es mir kalt über den Rücken lief, „Deutschland, sag bloß nicht, du würdest so weit gehen, einmal tatsächlich das tun, wovon du sonst immer nur redest! Was ist nur in dich gefahren!?“
Ich sehnte mich nach den guten alten Tagen, als noch Schröder und Fischer an der Macht waren. Damals war klar, dass das Land mit dem angedrohten Atomausstieg niemals ernst machen würde. Vor allem die Grünen würden sich damit ins eigene Bein schießen – vermutlich mit einem sonnenenergiebetriebenen Gewehr. Sollte eine grüne Regierung mit dem Atomausstieg tatsächlich Erfolg haben, gäbe es ja gar keinen Grund mehr, sie zu wählen.
So war ich gar nicht überrascht, als Rot/Grün beschloss, den Ausstieg um ein paar Jahre zu verschieben und sich danach schleunigst aus dem Amt wählen ließ aus lauter Schiss, sie müssten irgendwann auch eine echte Entscheidung treffen. Wieder mal knapp entkommen!
Doch danach fing die Zeit der Angst und des Bangens an, als die CDU an die Macht kam. Denn wie jeder weiß, haben die verdammten Konservativen die unangenehme Gewohnheit, mit brutaler Gewalt tatsächlich das zu tun, was sie auch vorhaben. Zum Beispiel Frauen: Die SPD waren die Ersten mit einer Frauenquote, schon da war es klar, dass die erste Bundeskanzlerin natürlich von der CDU kommen würde. Deswegen brach ich in Schweiß aus, als genau jene verkündete, tatsächlich aus der Atomkraft aussteigen zu wollen: „Könnte es diesmal wirklich wahr werden?“
Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht so, dass ich als Ami etwas gegen den Atomkraftausstieg hätte. Das lässt mich so oder so völlig kalt.
Doch all die langen Jahren, die ich schon in Deutschland verbracht habe, war es mir eine Trost und eine Quelle der Genugtuung, dass die Deutschen, die ständig und zu jeder Gelegenheit über die verantwortungslose Umweltpolitik meines Landes herziehen, es selber nicht fertig bringen, aus der Atomkraft auszusteigen. Die Tatsache, dass die tiefe Liebe der Deutschen zu ihrer Umwelt und ihr hoher moralischer Anspruch rein theoretisch sind, erleichtert einem Ami das Zusammenleben mit den Deutschen ungemein.
Deshalb bangte ich die letzten Wochen, damit könne es vorbei sein. Bis gestern.
Denn gestern fiel dem Spiegel endlich ein, dass auch er ohne Atomkraft wesentlich weniger zu meckern hätte, und er fing gleich an, sich dagegen zu stemmen. Und wir alle wissen von den Beispielen Guttenberg und Westerwelle: Was der Spiegel nicht mag, das gibt’s irgendwann nicht mehr.
Gleich zwei große Artikel sind online erschienen, die gegen den Atomkraftausstieg wettern. In einem wurde angeprangert, wie sehr Windräder die deutsche Heimat verschandeln; im anderen, wie sehr Erdgas die Umwelt verschmutzt. Und wir alle wissen ja, was wir von der E10-/Biosprit zu halten haben.
Ah, die Deutschen kriegen schon wieder, wie es sich gehört, in letzter Minute Muffensausen. Damit ist der Atomausstieg gegessen.
Das hätte ich wissen sollen. Denn es ist eine ganz andere Sache, etwas zu tun, als darüber zu meckern, dass nichts getan wird. Im Meckerstadium ist man moralisch überlegen und stolz auf sich selbst, ohne dass es einen Cent kostet. Das tut einfach gut. Erst, wenn man etwas anpacken soll, merkt man den Preis – Überraschung!
Manchmal schaffen es die Deutschen nicht rechtzeitig Kehrt zu machen. So war es mit der Wende: Vor und während des Mauerfalls war noch alles supi. Erst danach merkte man, dass es was kosten könnte, ein fremdes, völlig marodes Land zu schlucken. Doch dann war es schon zu spät.
Seitdem ist das Volk aber klüger geworden. Diesmal werden die Kosten des Atomausstiegs schon vorher beklagt und rechtzeitig zum Gegenangriff getrommelt. Es hat bereits angefangen. Wer wissen will, wie er sich schnell noch Anti-Windkraft-Gruppen anschließen kann, braucht nur Spiegel Online anzuklicken.
Ach, bin ich stolz auf Deutschland, das sich nicht länger an der Nase herumführen lässt, nein, es steht mutig auf und sagt dieser unsäglich aktivistischen Landschaftsverschandlerin Merkel klar und deutlich: „Er reicht! Das nehmen wir nicht mehr hin! Sie können Ihren Atomausstieg nehmen und ihn sich sonst wo hinstecken!“
In nur ein paar Wochen wird das Leben wieder das sein, was es sein soll: aufgeregte Stammtischtreffen, lange Artikel in den Feuilletons, empörte Gespräche im Polit-TV, schicke Politiker, die gern mal demonstrativ mit wehenden Schals Fahrradfahren. So ist das Deutschland, das ich kenne und liebe. Es würde mir das Herz brechen, wenn es anders wäre.
Denn dann müsste auch ich als Amerikaner widerwillig zugeben, dass der Atomausstieg vielleicht doch möglich ist; ja, vor den Deutschen müsste ich sogar den Hut ziehen. Und das muss nun wirklich nicht sein.
Danke Deutschland, dass du mich davor bewahrst.
Eric T. Hansen
Der Amerikaner, Hawaiianer und Wahlberliner Eric T. Hansen lebt seit 25 Jahren in Deutschland und schreibt Bücher über die seltsamen Menschen, die er dort vorfindet, zuletzt „Nörgeln! Des Deutschen größte Lust”. Mehr Info auf der Homepage von Eric T. Hansen. (Foto: Ralf Ilgenfritz)