Geschrieben am 5. September 2015 von für Kolumne, Litmag, News

Einwurf: Zoë Beck über Toleranzgrenzen

zoe_beck_porträtWarum Intoleranz nicht toleriert werden darf

Offener Hass, irreale Ängste und dumpfe Ressentiments schwappen einem Momentan auf Schritt und Tritt vor die Füße. Aber was sind das für Leute, die öffentlich und ohne Scheu ihre fiesen Parolen raushauen? Zoë Beck hat sich mit einigen unterhalten.

Dass das „rechte Pack” „einfach nur dumm” sei, ist mal eine schöne, einfache Erklärung. Sie greift natürlich nicht nur viel zu kurz, sie impliziert noch so vieles mehr. Die (verharmlosend so genannten) „besorgten Bürger” gehören schließlich nicht zum „rechten Pack”, die (noch sehr viel verharmlosender so genannten) „Asylkritiker” ja auch nicht, „Pack” sind vor allem die anderen, und „dumm” – wie definiert sich „dumm”? Handelt es sich um unwissende Menschen, die keinen Zugang zu Fakten haben, und wenn doch, ziehen sie daraus die falschen Schlüsse? Weil sie es nicht besser wissen oder nicht besser können? Kann man dieser „Dummheit” beikommen? Meint „dumm” nicht eigentlich ignorant, intolerant, voreingenommen, stur? „Dumm” ist keine Antwort auf das, was gerade geschieht. Zu sagen: „Wir müssen mit den besorgten Bürgern reden” wirft die Frage auf, wie viel Toleranz gegenüber dieser Intoleranz, die sich breit gemacht hat (oder jetzt erst sichtbar zeigt) überhaupt zielführend ist. Oder weise. Oder richtig. Und was dann mit dem „rechten Pack” ist. Oder mit den „Asylkritikern”.

Diese Menschen, egal welches Stempelchen man ihnen gibt oder welches sie sich selbst aufdrücken, liegen falsch. Sie verbreiten Lügen, nachweislich. Sie bedrohen andere Menschen, nachweislich. Sie rufen zu Mord und Totschlag auf, nachweislich. Sie sind voller Unzufriedeheit und Hass und nicht bereit, mit irgendjemandem zu reden, der nicht dieselben Parolen plärrt. Sie verwechseln das Recht zur freien Meinungsäußerung damit, dass jeder ungestraft pöbeln und beleidigen dürfe. Sie glauben, zu sagen, alle Asylsuchenden gehörten vergast, sei freie Meinungsäußerung. Sie akzeptieren Gewalt gegen andere Menschen. Sie heißen sie sogar gut. Manchmal insgeheim, machmal ganz offen.

Einer, nennen wir ihn Jimmy, weil er amerikanische Namen so cool findet, bezeichnete tote Asylanten als „Gammelfleisch”. Das hatte er irgendwo auf Facebook gelesen und fand es superwitzig. Sein Musik- und Filmgeschmack ist eher, sagen wir, international. Er findet viele schwarze Musiker super. Ich – unter falschem Namen und Besorgnis vorschützend – fragte ihn, wie das zusammenginge. Jimmy schrieb, dass diese Leute ihm ja nichts wegnehmen würden. Das sei etwas anderes. Außerdem hätten die dieselbe attitude. Hass und so. Die seien auch unterdrückt.

Jimmy geht es nämlich weniger um Nationalitäten, vermutlich weiß er das nur nicht so genau. Jimmy fühlt sich irgendwie schlecht behandelt, das ganze System ist gegen ihn. Jimmy will reich und cool sein, nur klappt es nicht, und schuld sind da mal die anderen.

Karlheinz, ich nenne ihn einfach mal jetzt so, weil er schon Wert auf seinen urdeutschen Namen legt, Karlheinz hat etwas andere Probleme. Anders als Jimmy hat er Abitur, und irgendwann hatte er auch mal einen Job. Seine Rechtschreibung ist einwandfrei, artikulieren kann er sich auch. Ich stoße auf ihn, weil ich auf der Suche nach jemandem bin, der mir den Begriff „Überfremdung” in Ruhe erklärt. Karlheinz ist nicht der erste, bei dem ich es versuche, ein AfD-Anhänger wollte es mir auch schon nicht erklären. Besagter AfD-Anhänger nannte erst die Frage, dann mich „dumm”. Meine international aufgestellte Familie führte ich ins Feld, weshalb ich den Begriff „Überfremdung” definiert haben wollte. Karlheinz wollte sofort wissen, ob denn „Andersgläubige” und „Andersfarbige” dabei seien, der AfD-Anhänger konterte mit seiner eigenen internationalen Familie, schwieg sich über deren Herkunft aber aus. Karlheinz sagte, solange keine Araber oder Schwarzen dabei seien, müsse ich nicht von Überfremdung reden, das sei dann okay, da müsse man sich nicht schämen oder sorgen. (Needless to say, ich schäme und sorge mich kein Stück.) Mit beispielsweise Asien oder Südamerika wusste er nicht so genau, das müsse man „im Einzelfall” entscheiden, und „wer sich anpasst”, der dürfe ja ruhig kommen. „Asiaten passen sich ja gut an”, schob er nach, er kenne da jemanden mit einer Frau aus Thailand. Der AfD-Anhänger währenddessen blieb dabei: Wer den Begriff „Überfremdung” hinterfragt, ist – dumm.

Karlheinz rückte bald damit heraus, dass ihm „deutsche Werte” einfach wichtig seien. So ein schönes Land, da dürfe doch nicht einfach jemand anderes herkommen. Ich fragte, bei so viel Stolz auf sein Land sei es doch eine schöne Sache, wenn andere sich auch drüber freuen? Karlheinz antwortete, er habe Angst, dass man ihm etwas wegnähme. Die Sprache. Die Kultur (Essen, Bier). Die Arbeit (er hat aktuell keine). Die Wohnung. Kurz: Karlheinz hat vor allem Angst davor, dass sein sozialer Abstieg weitergeht. Er sucht nach vermeintlich Schwächeren, die er verantwortlich machen kann. Die und „die da oben”, meint: die Regierung, die zu lasch sei. Grenzen zu und gut. Erstmal um die kümmern, die im eigenen Land schlecht dran sind. Die Obdachlosen? Die Rentner? Karlheinz meint sich selbst. Wie Jimmy will er mehr vom Leben, mehr Wohlstand, mehr Sicherheit, und deshalb denkt er: Erst mal bin doch ich dran. Wenn hier jemand was kriegen soll, dann doch ich. Ob er nicht selbst etwas dafür tun könne, im Leben besser da zu stehen? Nein, er hat ja mal gearbeitet, es hat nicht geklappt.

Da können wir jetzt drüber reden, wie Nationalismus die letztmögliche Identifikationsebene ist, weil sonst nicht mehr viel übrig ist. Oder wie man solche Menschen dazu bringt, Empathie zu lernen. Oder erstmal Eigenständigkeit? Ich weiß es nicht.

Detlef ist Elektriker, und ich traf ihn im Real Life, passend wenn auch ungeplant zu meiner kleinen privaten Studie. Ich verwickelte ihn in ein Gespräch, während er den Boiler austauschte. Er findet, dass Menschen mit anderer Hautfarbe, anderer Nationalität eine Zumutung sind. Er weiß es sogar mit Sicherheit, er geht ja ständig in Wohnungen, da hat er schon wirklich schlimme Dinge gesehen. Bei Deutschen nie?, fragte ich. Das sei was anderes, das sei dann halt irgendwie – asoziales Pack. Aber grundsätzlich sei der Deutsche ja reinlicher als der Ausländer. Und die „Überfremdung” führe dazu, dass immer mehr unordentliche Menschen ihre Sitten und Gebräuche einführten. Dann zog er über den Nachbarsjungen her, der ihm im Treppenhaus begegnet war. Bei dem Jungen liegt eine leichte geistige Behinderung vor. Ich sagte Detlef, dass der Junge eine besondere Art habe, sich auszudrücken. Detlef lachte mich aus und sagte, der Junge sei vor allem eins, ein „dreckiges Negerkind”. (Seine Mutter stammt aus Jamaika.) Von denen könne man nichts anderes erwarten. Ich warf Detlef, den Elektriker aus der Wohnung, er schimpfte mich natürlich Gutmensch und orakelte, ich würde es noch vor mir finden.

Detlef hat Arbeit und scheint recht zufrieden mit seinem Leben. Wovor er Angst hat, weiß ich nicht. Wie man an jemanden wie ihn herankommt, weiß ich auch nicht.

Gestern Abend saß ich im Biergarten, und ein Pärchen ging vorbei. Die Frau zeigte auf den neuen Italiener ein Gebäude weiter und sagte zu ihrem Partner: „Da war doch früher ein Schlitzauge drin.” (Sie meinte den Inder.)

Wo fängt man da die Gespräche an? Die Frau würde sagen: „Ach, das war doch nur ein Spaß. Und privat.” Aber was Sprachgebrauch mit der Wahrnehmung macht, wissen wir.

Ich habe keine Ahnung, wo man anfangen soll und muss und kann.

Ich glaube vor allem aber, dass diese Intoleranz, diese Ignoranz auf keinen Fall toleriert (meint: stillschweigend gut geheißen, meint auch: ignoriert) werden darf.

Zoë Beck

Zoë Beck ist Autorin (hier geht es zu ihrem Blog) und Verlegerin des Digitalverlags CulturBooks (mehr hier). Porträtfoto: © Victoria Tomaschko. Fotos: © Zoë Beck.

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