Geschrieben am 26. Februar 2014 von für DVD, Film/Fernsehen, Litmag

DVD: Michel Gondrys verfilmt „Der Schaum der Tage“ von Boris Vian

Der-Schaum-der-Tage_dvd_coverDas Sein und der Schaum

– Michel Gondry hat sich ein französisches Nationalheiligtum vorgenommen – das Kultbuch von Boris Vian „Der Schaum der Tage“(„L’écume des jours“). Von Christopher Werth

Wenn ein berühmter Roman verfilmt wird, dann nimmt jeder Zuschauer seine eigenen Bilder, seinen eigenen Film im Kopf mit ins Kino.

Gondry weiß natürlich, dass so ein Buch irgendwie allen gehört. Es gibt deshalb eine Rahmenhandlung, die in einer Fantasiefabrik spielt. Hier wird das Buch kollektiv von vielen Arbeiterinnen und Arbeitern gemeinsam an Fließbändern getippt. Jeder darf dabei immer nur einen Satz schreiben. (Gegen Ende schleicht sich sogar der Held Colin in diese Fabrik ein, um die Handlung in seinem Sinne zu manipulieren – aber natürlich vergeblich.)

Vians Buch ist ein bisschen wie eine surrealistisch angehauchte Jazz-Version von Henri Murgers „La Vie de Bohème“: Eine sorglose Gruppe Freunde feiert sich nach allen Regeln der Kunst durch Paris, bis Colin durch die Krankheit seiner Geliebten Chloé mit dem Ernst des Lebens konfrontiert wird und – ganz schlimm – sogar arbeiten muss.

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Der Film aus Michel Gondrys Kopf ist vor allem handgemacht. Für die Sprache Vians erfindet und baut er ganz konkrete Bilder und haptische Effekte. Und die sind so, dass man immer sieht, wie sie gemacht sind; hochkreative, analoge Maschinerien, wie von einem verrückten Tüftler ausgeklügelt. Das sorgt natürlich erst Mal für eine Art brechtschen Verfremdungseffekt. Die akute Kitschgefahr wird gedämpft und der Zuschauer kann sich über die durchgeknallten Einfälle der Umsetzung freuen, anstatt sich an der vorhersehbaren Handlung zu stören. Außerdem gibt der Verzicht auf CGI und Greenscreen dem Zuschauer Raum, die Bilder weiter zu spinnen, eigene Fantasien zu entwickeln – weil sie eben nicht hyperrealistisch bis ins Detail ausgepinselt sind. Es gibt Stopmotion-Feuerwerke mit tanzenden Torten, Aalen oder tausendfüßigen Türklingeln; großartige Szenen, in denen z.B. auf Sonnenstrahlen Harfe gespielt wird, ein Altar wie eine Rakete abhebt und der Pfarrer mit einem Fallschirm abspringt oder in denen ein Schatten lebendig wird, als Puppe den rennenden Colin durch die Stadt verfolgt und schließlich von einem Bus überfahren wird.

Das Innere der Figuren wird konsequent in Szenografie übersetzt. Die Schauspieler ordnen sich arbeitsteilig dem Visuellen unter und spielen stereotype Komödienfiguren. Im Lauf der Story wird der anfangs knallbunte Film immer dunkler und reduzierter. Pflanzen überwuchern Colins Wohnung und Chloés Lunge und schließlich ist alles nur noch schwarzweiß – wie in einem Zombiefilm von Ed Wood.

Der Film lebt nicht von vielschichtigen Charakteren und überraschender Dramaturgie, sondern von der lustvoll-anarchischen Kraft der visuellen Einfälle. Und wenn er mit der maximalen cinematografischen Reduzierung endet – einer von Audrey Tautou gezeichneten Daumenkino Sequenz, dann hat er sein Ziel erreicht: jeder Zuschauer hat jetzt noch mehr eigene Bilder vom Schaum der Tage im Kopf.

Christopher Werth

„Der Schaum der Tage“. Frankreich 2013. Regie: Michel Gondry. Buch: Michel Gondry, Luc Bossi. Schauspieler u.a.: Romain Duris, Audrey Tautou, Gad Elmaleh. Musik: Étienne Charry. Kamera: Christophe Beaucarne.  Schnitt: Marie-Charlotte Moreau. Szenenbild: Stéphane Rosenbaum. Art Direction: Pierre Renson. Abbildung: Still aus dem Film.

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